„Das bringt uns zu der Frage, wie Europa weiterhin für die Dinge aufkommt, die es sich eigentlich nicht mehr leisten kann“, sagte Kammer. Die Frage enthält viel Sprengstoff. In vielen europäischen Ländern kämpfen Regierungen für nachhaltige Reformen des Sozialstaates. In Frankreich wurde gerade eine große Rentenreform auf Druck der linken Opposition ausgesetzt. In Deutschland kämpft die Koalition seit ihrem Regierungsantritt um eine Reform der Bürgerleistungen.
Auch in vielen europäischen Ländern sind die Staatsschuldenquoten hoch und die Staatskassen weitgehend leer. Nicht nur in Griechenland, Italien und Spanien, sondern auch in Frankreich und Belgien.
„Die Finanzpolitik ist bereits in einem schlechten Zustand“, sagte Kammer, „aber die Herausforderungen, vor denen Europa steht, werden immer größer.“ Daher ist völlig klar, dass „Nichtstun keine Option mehr ist“. Wenn die europäischen Regierungen einfach so weitermachen wie bisher, wird die durchschnittliche Verschuldung in den nächsten 15 Jahren 130 Prozent der Wirtschaftsleistung betragen. Es würde eine riesige Nachhaltigkeitslücke entstehen. In diesem Fall müssten die EU-Länder zwischen dreieinhalb und fünf Prozent des BIP sparen, um die Staatsfinanzen zu konsolidieren.
„Wie jeder Finanzminister bestätigen wird, sind fiskalpolitische Anstrengungen, die zu Einsparungen von drei Prozent führen, bereits eine enorme politische Aufgabe“, sagte Kammer. „Fünf Prozent sind eine nahezu unmögliche Aufgabe und würden tiefe Einschnitte in das europäische Modell und den Gesellschaftsvertrag erfordern.“ Das Fazit des IWF ist eindeutig: Renten, Gesundheitsfürsorge und viele andere staatliche Leistungen sind in ihrer jetzigen Form mittel- und langfristig nicht mehr finanzierbar. Es muss zu rigorosen Sparmaßnahmen kommen, sonst könnte das gesamte europäische Modell in Gefahr geraten – und die Sozialstaaten möglicherweise zusammenbrechen.
