Israel wendet sich zunehmend der Hisbollah zu

Israel wendet sich zunehmend der Hisbollah zu

In der militärischen Auseinandersetzung zwischen Israel und der libanesischen Hisbollah macht sich langsam Showdown-Stimmung breit. Am Mittwoch herrschten im Libanon noch Terror und Chaos, weil nach Tausenden Pagern am Dienstag plötzlich Funkgeräte von Hisbollah-Angehörigen bei einem israelischen Sabotageangriff explodierten – damals hatte das Büro des israelischen Verteidigungsministers Yoav Gallant eine Erklärung veröffentlicht, in der es hieß, eine „neue Phase“ des Krieges habe begonnen.

Das Militär, das im Gazastreifen noch immer gegen die Hamas kämpft, wird sich künftig stärker auf die Bedrohung durch die libanesische Schiitenorganisation an der Nordgrenze konzentrieren. „Der Fokus verlagert sich nach Norden. Wir verlagern Kräfte, Ressourcen und Energie nach Norden“, sagte Gallant. Der Chef des Nordkommandos der Streitkräfte sagte, seine Truppen seien „in höchster Alarmbereitschaft“.

Solche Ankündigungen der Schlagbereitschaft gegen die Hisbollah gab es in den vergangenen Wochen und Monaten immer wieder. Für Aufsehen sorgte allerdings die Verlegung der 98. Division der israelischen Streitkräfte an die Nordfront. Dabei handelt es sich nach Angaben von Militärexperten um eine Elitetruppe aus Fallschirmjägern und Kommandoeinheiten, die Operationen vorbereitet und auf Missionen spezialisiert ist, die schnelle und harte Schläge erfordern. Truppen der Division kämpften in den 1980er Jahren im Libanonkrieg und auch im Sommerkrieg 2006 gegen die Hisbollah.

Auch im Krieg gegen die Hamas im Gazastreifen spielte die 98. Division eine wichtige Rolle. Sie war an den Kämpfen in Khan Yunis beteiligt, der zweitgrößten Stadt des Gazastreifens. Im Armeeradio hieß es, die Truppen hätten ursprünglich weiter in Gaza kämpfen sollen, in den letzten Tagen sei jedoch entschieden worden, sie in den Norden zu verlegen.

Hofft Netanjahu auf einen Deal?

In Experten-, Diplomaten- und Sicherheitskreisen wird der Truppenaufmarsch allerdings noch nicht als Zeichen dafür gewertet, dass ein Großangriff auf den Libanon bevorsteht. Es sei noch nicht erkennbar, dass die Vorbereitungen für eine Invasion abgeschlossen seien. Es gebe keine Hinweise auf eine massive Mobilisierung an der Grenze, hieß es unter Berufung auf Angaben der im Grenzgebiet stationierten UN-Friedenstruppe UNIFIL.

Es sei schwierig, eine Division unmittelbar nach einem kräftezehrenden Einsatz wieder in einen harten Kampfeinsatz zu schicken, hieß es. Zudem müssten für eine Invasion im Südlibanon erneut Reservisten mobilisiert werden. Auch das könne ein Bedrohungsszenario sein.

Amos Harel, Militärexperte der israelischen Zeitung Haaretz, erwähnte einen größeren israelischen Angriff nicht, als er in einer am Donnerstag veröffentlichten Analyse über mögliche Motive des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu schrieb, den bewaffneten Konflikt mit der Hisbollah zu eskalieren und Israels Haltung zu verschärfen. Er nannte zwei Möglichkeiten: Der Ministerpräsident hofft, dass wachsender Druck und Paranoia vor weiteren Angriffen die Hisbollah zum Einlenken zwingen und dass ihr Führer Hassan Nasrallah dann einem Abkommen zustimmt, das den durch die Gewalt vertriebenen Israelis die Rückkehr in die nördliche Grenzregion ermöglicht.

Bisher hat die Hisbollah eine Einigung abgelehnt, weil sie ihre Verhandlungsbereitschaft an ein Ende des Krieges in Gaza knüpft. Oder, wie Harel und Beobachter im Libanon vermuten, könnte Netanjahu versuchen, die Hisbollah in einen umfassenden Krieg zu ziehen, indem er Nasrallah zu einem Schlag provoziert, der die Hisbollah als die Partei darstellen würde, die den Krieg begonnen hat.

In einem solchen Fall wäre es für Netanjahu einfacher, die Unterstützung ausländischer Partner zu gewinnen, insbesondere der Vereinigten Staaten. Die Regierung von Präsident Joe Biden arbeitet hart daran, einen umfassenden Krieg im Libanon abzuwenden.

Doch auch in Washington herrscht Besorgnis. Schon vor den beispiellosen Sabotageangriffen auf die Hisbollah, bei denen Tausende verletzt, Hunderte erblindet und Dutzende getötet wurden, fürchtete man im Pentagon, Israel könne in absehbarer Zeit eine Großoffensive gegen die Hisbollah starten. Kleinere Operationen werden in Washington inzwischen nicht mehr ausgeschlossen.

Nasrallahs Ton war aggressiver denn je

Am Montag, einen Tag vor dem großen Pager-Angriff, war Bidens Sondergesandter Amos Hochstein noch zu Besuch bei Netanjahu. Laut einem Bericht des Wall Street Journals habe der US-Diplomat den israelischen Regierungschef „angefleht“, keinen Krieg gegen die Hisbollah zu autorisieren. Nach den Sabotage-Angriffen vom Dienstag und Mittwoch sind die amerikanischen Befürchtungen noch größer, dass die Konfrontation nicht mehr zu bändigen sei.

Bisher geschah dies in einem sich ständig erweiternden Rahmen, in dem beide Seiten versucht hatten, einen größeren Krieg zu vermeiden. Hisbollah-Chef Nasrallah hatte alles getan, um eine israelische Eskalationsfalle zu vermeiden – selbst auf Kosten seiner eigenen Abschreckungsfähigkeit. Er zeigte sich nur nicht bereit, die Kämpfe einzustellen, solange der Krieg im Gaza-Streifen andauerte.

Nun kommt zusätzlicher Druck von Unterstützern hinzu, die demütigenden Sabotage-Angriffe mit einem schmerzhaften Schlag zu beantworten. Viele in den südlichen Vororten Beiruts haben Opfer dieser Angriffe in ihren Familien. Die Bilder der Amputierten und Blinden dürften noch lange nachwirken.

„Neue Phase“: Yoav Gallant am Mittwoch auf einem Luftwaffenstützpunkt nahe HaifaIsraelisches Verteidigungsministerium/Getty

Der Ton, den Hassan Nasrallah in seiner Rede am frühen Donnerstagabend anschlug, war aggressiver und konfrontativer als zuvor, aber er blieb standhaft. Nasrallah flehte seine Anhänger an, dem zunehmenden israelischen Druck nicht nachzugeben. Der Sieg, erklärte er, liege darin, dass der Feind seine Ziele nicht erreiche.

Und er kündigte an, die Hisbollah werde weiterhin dafür sorgen, dass Israel sein neues Kriegsziel, die aus Nordisrael vertriebenen Menschen in ihre Heimat zurückzuschicken, nicht erreiche. Die Hisbollah werde das niemals zulassen. Der einzige Weg, dies zu erreichen, bestehe darin, „die Aggression und den Krieg gegen die Menschen in Gaza und natürlich im Westjordanland zu beenden“. Eine mögliche israelische Bodenoffensive bezeichnete er als „historische Chance“.

Nasrallah versprach außerdem, dass Israel zu gegebener Zeit „hart und gerecht“ und deutlich sichtbar bestraft werden würde. Während er sprach, flogen israelische Kampfflugzeuge in beispiellos niedriger Höhe über Beirut und durchbrachen die Schallmauer. Häuser und Fenster zitterten. Diesmal warfen sie auch Täuschkörper ab, die hitzesuchende Raketen ablenken sollten.

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