Eigentlich müssten die libanesischen Schiitenmilizen ihre Waffen niederlegen, stattdessen rüsten sie offenbar auf. Nun hat Israel mehrere Ziele im Südlibanon bombardiert. Und auch die USA erhöhen den Druck.
Nach einem israelischen Luftangriff auf das südlibanesische Dorf Teir Debba fliegen Trümmer durch die Luft.
Mohammad Zaatari / AP
Ein Zischen, ein Knall, dann steigt eine dunkle Rauchsäule über Teir Debba im Südlibanon auf, Trümmer fallen auf die Straßen. Kurz zuvor hatte die israelische Armee am Donnerstag angekündigt, die „militärische Infrastruktur“ der Hisbollah im Dorf anzugreifen. Sie gab ähnliche Warnungen für vier weitere Dörfer in der Umgebung heraus. Es folgten die schwersten israelischen Luftangriffe im Südlibanon seit Monaten. Nach Angaben des libanesischen Gesundheitsministeriums kam dabei mindestens eine Person ums Leben, eine weitere Person wurde verletzt.
Die Regierung in Beirut verurteilte die Anschläge als „verabscheuungswürdiges politisches Verbrechen“. Aus israelischen Sicherheitskreisen heißt es unterdessen, dies sei nur ein Vorgeschmack auf das, was kommen könnte, wenn die Hisbollah nicht entwaffnet werde.
Israel übt Druck auf uns aus
Es ist ein Jahr her, seit der schwelende Konflikt zwischen Israel und der Hisbollah zu einem offenen Krieg eskalierte. Die libanesische Schiitenmiliz erlitt eine vernichtende Niederlage und verlor Tausende Kämpfer, Raketen und einen großen Teil ihrer Führung. Am 27. November 2024 trat ein Waffenstillstand in Kraft, wirklich ruhig wurde es aber nie. Israel führte wiederholt gezielte Drohnenangriffe gegen Hisbollah-Kämpfer durch, um angebliche Verstöße der Miliz gegen den Waffenstillstand zu ahnden. Die israelischen Angriffe haben in den letzten Wochen erheblich zugenommen, und die massiven Bombenanschläge am Donnerstag markierten ihren Höhepunkt.
Nun häufen sich Berichte, dass Israel Pläne für einen mehrtägigen Einsatz gegen Hisbollah-Ziele im Libanon schmiedet. Am Dienstag soll der israelische Ministerpräsident Benjamin Netanjahu ein Sondertreffen einberufen haben, um die Lage im nördlichen Nachbarland zu besprechen. Die israelischen Geheimdienste gehen offenbar davon aus, dass die Miliz derzeit mehr Munition produziert, als von Israel zerstört wird. Auch das Wall Street Journal berichtete kürzlich, dass die Hisbollah dabei sei, ihr Waffenarsenal wieder aufzubauen.
Laut Waffenstillstandsabkommen müsste sich die Hisbollah tatsächlich aus dem Südlibanon zurückziehen. Darüber hinaus beschloss die libanesische Regierung in Beirut im August, die schiitischen Milizen zu entwaffnen. Doch das erweist sich als hartnäckig – und Israel scheint die Geduld zu verlieren.
„Israel verfolgt mit seinen Angriffen zwei Ziele“, sagt die israelische Sicherheitsexpertin Orna Mizrahi vom Institut für Nationale Sicherheitsstudien der Universität Tel Aviv. „Einerseits geht es darum, Bedrohungen zu beseitigen und sicherzustellen, dass die Hisbollah nicht wieder aufrüstet. Andererseits sollte politischer Druck auf die libanesische Regierung ausgeübt werden. Denn das bringt nicht genug.“

Im Grenzgebiet zum Libanon sind Panzer der israelischen Armee im Einsatz.
Shir Torem / Retuers
Die Angst vor einem Bürgerkrieg
Die seit Jahresbeginn amtierende Regierung unter Präsident Joseph Aoun gibt sich Mühe. Nach amerikanischen Angaben hat die libanesische Armee im Südlibanon bereits mehr als 10.000 Hisbollah-Raketen zerstört. Einem Bericht der Nachrichtenagentur Reuters zufolge sollen die Streitkräfte so viele Waffendepots in die Luft gesprengt haben, dass ihnen inzwischen der Sprengstoff ausgeht.
Doch eine direkte Konfrontation mit den Zehntausenden Milizkämpfern will Beirut offensichtlich nicht hinnehmen. „Die Regierung lässt sich von der Hisbollah einschüchtern“, sagt der Libanon-Experte Mizrahi. „Die Miliz warnt immer wieder davor, dass der Konflikt zu einem Bürgerkrieg führen könnte. Im Libanon haben die Menschen Angst vor diesem Szenario.“ Obwohl die Hisbollah stark geschwächt ist, stellt sie immer noch einen gewaltigen Gegner für die unterfinanzierten und schlecht ausgerüsteten libanesischen Streitkräfte dar.
Mittlerweile haben aber auch die Amerikaner den Druck erhöht. Ende Oktober drängte der amerikanische Nahost-Gesandte Morgan Ortagus während eines Besuchs in Beirut darauf, die Abrüstung der Hisbollah bis Ende des Jahres abzuschließen. Unterdessen will Tom Barrack, US-Botschafter in der Türkei, die Libanesen davon überzeugen, direkte Verhandlungen mit Israel aufzunehmen. Berichten zufolge habe er den libanesischen Ministern kürzlich gesagt, dies sei ihre „letzte Chance“ für eine Einigung.
Die Hisbollah ist mutig
Präsident Aoun scheint zunehmend verzweifelt. Am Montag sagte er, der Libanon habe keine andere Wahl, als mit den Israelis zu verhandeln. Allerdings hatte er sich zuvor beim deutschen Außenminister Johann Wadephul darüber beschwert, dass der jüdische Staat auf seine Gesprächsangebote nur mit verstärkten Luftangriffen reagiert habe. Beirut fordert einen vollständigen Rückzug Israels aus dem Südlibanon, wo die israelische Armee trotz gegenteiliger Bestimmungen im Waffenstillstandsabkommen weiterhin fünf „strategische Punkte“ besetzt.
Mittlerweile scheint die Hisbollah ihr Selbstvertrauen zurückgewonnen zu haben. Am Dienstag schickte die Miliz einen offenen Brief an die Regierung, in dem sie vor „politischen Verhandlungen mit dem zionistischen Feind“ warnte. Die Hisbollah hat das Recht, den israelischen Besatzern Widerstand zu leisten.
Angesichts der Blockade in Beirut ist es durchaus möglich, dass Israel seine Angriffe in den kommenden Wochen noch verstärken wird. Wäre ein weiterer offener Krieg überhaupt denkbar? „Ich glaube nicht, dass ein Krieg unmittelbar bevorsteht. Aber ich kann ihn auch nicht ausschließen“, sagt Orna Mizrahi. „Wir werden sehen, was bis Ende des Jahres passiert.“

UN-Fahrzeuge sind entlang der libanesisch-israelischen Grenze unterwegs, um den Waffenstillstand zu überwachen.
Shir Torem / Reuters
