Trotz der kräftigen Zinssenkung der US-Notenbank rechnet Finanzmarkt-Veteran Howard Marks nicht mit einer weiteren Nullzinsphase. Was er nun erwartet, seine Anlagetipps und welche Risiken er sieht.
Die US-Notenbank hat am Mittwoch einen neuen Zinssenkungszyklus eingeleitet. Sie senkte den Leitzins in den USA – auch Federal Funds Rate genannt – um 0,5 Prozentpunkte auf 4,75 bis 5 Prozent.
Die kräftige Zinssenkung überraschte viele Marktteilnehmer, die lediglich mit einem Schritt von 0,25 Prozentpunkten gerechnet hatten. Viele Anleger werten dies als Signal, dass eine weitere Phase extrem billigen Geldes bevorsteht.
Der amerikanische Investor und Autor Howard Marks, Mitgründer der Finanzfirma Oaktree Capital Management, sieht das allerdings anders. „Die Zinsen dürften weiter sinken, aber nicht so stark wie im letzten Zyklus“, sagte er in einem Interview in Zürich.
„Leitzinsen dürften im Schnitt über 3 Prozent bleiben“
Im Zeitraum von 2009 bis 2021 habe die Fed die Leitzinsen extrem niedrig gehalten, meist nahe null. Er erwarte, dass dieser Durchschnitt in den nächsten zehn Jahren höher als 3 Prozent liegen werde, sagt der 78-Jährige.
Einer der Gründe dafür ist laut Marks, dass die Notenbanker in der Nullzinsphase erkannt haben, dass sie in einer Krise oder Rezession Munition für Zinssenkungen brauchen, um die Wirtschaft anzukurbeln. „Das ist ein bisschen wie bei einem Menschen, der einen Herzinfarkt hat“, sagt Marks. Man kann ihm Nitroglycerintabletten geben, um ihn zu retten und seine Blutgefäße zu erweitern. „Aber es ist keine gute Idee, wenn dieser Mensch sein Leben lang jeden Morgen eine Nitroglycerintablette einnimmt“, sagt Marks. Man könne nicht ständig im Notfallmodus leben.
Negative Zinsen als Anomalie im Geldsystem
Ähnlich verhält es sich laut Marks mit der Geldpolitik. Sie mache keinen Sinn, wenn sie die Wirtschaft ständig stimuliere. In einem solchen Fall kämen Nebeneffekte wie Inflation vor, und irgendwann verliere die Geldpolitik ihre Wirkung.
Auch die Senkung der Zinsen auf negative Niveaus habe sich nicht als wirksames Mittel zur Bekämpfung des schwachen Wirtschaftswachstums erwiesen. Negative Zinsen würden inzwischen zunehmend als Anomalie betrachtet, die verhindert werden müsse. Das gesamte Geldsystem würde dann nicht mehr funktionieren. „Deshalb wette ich, dass wir in den nächsten zehn Jahren keine negativen Zinsen mehr sehen werden.“
„Die heutigen Zinsen sind nicht hoch“
Historisch betrachtet seien die heutigen Zinsen keineswegs hoch, sagt Marks. „Als ich 1969 meine Karriere an den Finanzmärkten begann, lagen die US-Leitzinsen bei 8 bis 9 Prozent“, sagt er. Der Durchschnitt der vergangenen 70 Jahre liege bei rund 5 Prozent – das ist das aktuelle Niveau.
Viele Anleger haben diese langfristige Perspektive nicht und orientieren sich an kurzfristigen Entwicklungen. Dazu zählen etwa Reaktionen auf Zinsentscheidungen der Notenbanken, Konjunkturdaten oder die amerikanische Präsidentschaftswahl. Langfristig haben solche „Mikro-Entwicklungen“ allerdings wenig Einfluss auf die Finanzmärkte, sagt Marks. „Weder Donald Trump noch Kamala Harris werden das Ende der amerikanischen Demokratie bedeuten oder den Zusammenbruch der US-Wirtschaft herbeiführen.“ Folglich ist es langfristig weniger wichtig, welcher der beiden Kandidaten amerikanischer Präsident wird.
Wichtiger seien das langfristige Wachstum einer Volkswirtschaft und die finanzielle Lage von Ländern. Auch die demografische Entwicklung sei ein wichtiger Faktor bei der Entscheidung, in welches Land investiert werden soll. „Obwohl es den USA in Sachen Verschuldung und Demografie nicht besonders gut geht, disqualifiziert das sie nicht für Investitionen“, sagt Marks. Schließlich müsse das Geld irgendwo investiert werden, und in anderen Ländern sei die Lage oft nicht besser. Bei Unternehmen schaue er auf deren Wettbewerbsposition am Markt und ihre Fähigkeit, sich in einem schwierigen Umfeld zu behaupten.
Sinkende Zinsen treiben die Renditen nach oben
Allerdings wird ein ganz wichtiger Faktor für den Erfolg von Anlegern in den letzten Jahrzehnten oft unterschätzt: „Vierzig Jahre sinkende Zinsen haben die Renditen der Anleger in dieser Zeit in die Höhe getrieben“, sagt Marks. Die über die Jahre sinkenden Zinsen hätten einen ähnlichen Effekt wie das Gehen in normalem Tempo auf einem der Laufbänder am Flughafen. Auf dem Laufband kommt man viel schneller voran.
Viele Anleger gingen inzwischen davon aus, dass die durch die Zinssenkungen gestützten Renditen an den Finanzmärkten die Norm seien – dass sie also auch in Zukunft mit diesem Rückenwind rechnen könnten. „Das liegt daran, dass viele von ihnen noch nie ein anderes Umfeld erlebt haben“, sagt Marks. Er selbst hat in den 1970er-Jahren erlebt, wie es war, für einen Kredit einen Zinssatz von 22,25 Prozent zahlen zu müssen. Vier Jahrzehnte später lieh er sich allerdings Geld zu einem Zinssatz von 2,25 Prozent, und der Zinssatz war sogar für zehn Jahre festgeschrieben. Das lässt sich nicht wiederholen – mit der Folge, dass sich Anleger auf ein neues Umfeld einstellen müssen.
Investieren ist schwieriger geworden
Die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts seien die besten 50 Jahre der Menschheitsgeschichte gewesen, sagt Marks. In diese Zeit fielen der Aufschwung nach dem Zweiten Weltkrieg, technologische Fortschritte, starkes Produktivitätswachstum, eine positive demografische Entwicklung und die Globalisierung. Trotz des Kalten Krieges gab es in dieser Zeit keine wirklich schlimmen Kriege.
„Von all dem haben wir heute etwas weniger“, sagt Marks. Man könne davon ausgehen, dass die Wachstumsraten in den Industrieländern etwas niedriger ausfallen werden als damals. „Wenn die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts die beste Periode aller Zeiten war, kann man davon ausgehen, dass es danach etwas schlechter wird.“
Eine Phase sehr hoher Inflation wie in den 1970er Jahren erwartet er nicht. Die Ölkrise habe damals eine wichtige Rolle gespielt, und die Notenbanken hätten inzwischen große Fortschritte bei der Inflationsbekämpfung gemacht. Allerdings rechnet Marks mit weiteren „Unfällen“ infolge höherer Zinsen – der amerikanische Gewerbeimmobilienmarkt könne seiner Ansicht nach noch negative Überraschungen produzieren, die auch einige Banken treffen könnten.
Für Private Equity wird es komplizierter
Auch manche Anlagestrategien hätten ihre besten Tage vielleicht schon hinter sich, sagt Marks. Das gelte etwa für jene, die besonders von sinkenden Zinsen profitiert hätten. Bezeichnend ist, dass manche Anlagestrategien erst in einer Ära sinkender Zinsen erfunden wurden – etwa Private Equity. Für sie war die Zeit ideal. Beim Private Equity kann der Anteil eines Investors an einem Unternehmen nicht an der Börse gehandelt werden. Firmenübernahmen (Buyouts) werden oft mit einem hohen Anteil an Krediten finanziert. Bei niedrigen Zinsen geht das leichter.
Das heißt aber nicht, dass die Private-Equity-Strategie auch in einem anderen Umfeld funktionieren wird, sagt Marks. Schließlich sind Kredite teurer geworden und Übernahmen schwieriger. Zudem sitzen Private-Equity-Fonds auf großen Bargeldreserven. In einer Zeit, in der Kredite teurer und schwerer zu bekommen sind, wird es schwieriger, das Geld anzulegen. Zudem wird der Wettbewerb um mögliche Übernahmen härter.
„Die Definition von Wahnsinn ist, immer wieder das Gleiche zu tun und immer wieder andere Ergebnisse zu erwarten“: Dieses Zitat stammt von Albert Einstein. „Genauso ist Wahnsinn, das Gleiche in einer anderen Umgebung zu tun und immer wieder das gleiche Ergebnis zu erwarten“, sagt Marks.
„Die Chancen für Anleiheinvestoren sind deutlich größer“
Letztlich gibt es aus Marks Sicht nur zwei große Anlageklassen: Immobilien und geliehenes Geld – also zum Beispiel Aktien und Anleihen. Nachdem Anleger lange Zeit mit Aktien viel Geld verdient hätten, spreche inzwischen vieles dafür, dass Anleihen wieder attraktiv seien. „Die Chancen für Anleger mit Anleihen sind heute viel größer als noch vor drei oder gar zehn Jahren“, sagt Marks.
Er selbst habe in der Zeit vor Ausbruch der Finanzkrise 2008 gute Erfahrungen mit einer Anlagestrategie am Anleihemarkt gemacht, bei der er zu gleichen Teilen in US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von einem bis sechs Jahren investierte. Aus seiner Sicht machte ein solches „gestaffeltes Portfolio“ damals deshalb Sinn, weil ein Sechstel des Anleiheportfolios immer ein Jahr von der Rückzahlung entfernt war. Das freiwerdende Geld wurde dann wieder in US-Staatsanleihen mit einer Restlaufzeit von sechs Jahren investiert.
Vor der Finanzkrise habe er mit dieser Strategie eine Rendite von rund 6 Prozent erzielt, sagt Marks. Vor drei Jahren habe die gleiche Strategie allerdings nur noch 1,25 Prozent abgeworfen. Nun liege sie wieder bei rund 4 Prozent.
Marks‘ Tipp für Schweizer Anleger
Von solchen Renditen können Franken-Anleger natürlich nur träumen. Aus Sicht von Marks haben Schweizer Anleger allerdings die Möglichkeit, in US-Anleihen zu investieren und zu hoffen, dass der Franken gegenüber dem Dollar nicht aufwertet. In den letzten Jahrzehnten war dies allerdings vor allem auf längere Sicht meist der Fall. Dies liegt am Ruf des Frankens als sicherer Hafen.
Marks sagt, er würde Schweizer Anlegern nicht raten, einen Grossteil ihres Vermögens in ungesicherte Dollaranlagen zu stecken. Mit einem Teil des Portfolios könne man aber eine solche Wette eingehen.
Milliardär und Autor
Howard Marks, 78, ist Mitgründer der Investmentfirma Oaktree Capital Management. Ende Juni dieses Jahres verwaltete das auf Geldanlagen wie Immobilien, Private Equity, Aktien und Unternehmensanleihen spezialisierte Unternehmen 193 Milliarden Dollar. Der amerikanische Investor Marks ist bekannt für seine „Memos“ – kurze Börsenbriefe, in denen er seine Ansichten zu den Finanzmärkten teilt und zu deren aufmerksamen Lesern auch Investmentlegende Warren Buffett zählt. Das amerikanische Wirtschaftsmagazin „Forbes“ führt Marks in seiner Liste der reichsten Menschen der Welt 2024 mit einem Vermögen von 2,2 Milliarden Dollar auf Platz 1496.