[ad_1]
Ukrainische Drohnenangriffe auf russisches Territorium nehmen rasant zu. Der Hauptzweck Kiews sei es, ein Signal an die russische Bevölkerung zu senden, sagt Drohnenexpertin Ulrike Franke im Interview. Dass es bei den Anschlägen bisher keine Opfer gab, könnte Absicht sein: „Die Gemeinheit dieses Krieges ist, dass die Ukrainer einen saubereren Krieg führen müssen als die Russen.“ Im Interview erklärt Franke, welche Rolle Pappdrohnen bei den Anschlägen spielten und warum die gezündeten Drohnen in Rumänien „nicht sonderlich überraschend“ seien.
ntv.de: Russland meldet fast täglich ukrainische Drohnenangriffe. Allein in der vergangenen Woche sollen fast 300 ukrainische Drohnen abgeschossen worden sein. Hat Sie diese plötzliche Angriffswelle auf russischem Territorium überrascht?
Dr. Ulrike Franke hat über Drohnen promoviert und arbeitet derzeit beim European Council on Foreign Relations in Paris.
Ulrike Franke: Zumindest sieht es so aus, als würden wir einen Wandel in der ukrainischen Taktik erleben. Die Ukraine hat in den letzten anderthalb Jahren zahlreiche Drohnenfähigkeiten entwickelt. Daher überraschte es mich nicht, dass es auch Ziele in Russland angreifen kann. Mir kommt es eher so vor, als ob sie sich jetzt bewusst dafür entschieden haben, mehr Angriffe zu starten, vielleicht als eine Art zweite Front in der Gegenoffensive. Das hat sicher auch damit zu tun, dass sie heute über mehr Drohnen verfügen als am ersten Kriegstag. Aber das ist in erster Linie eine politische Entscheidung.
Was ist das Ziel dieser Angriffe?
Erstens, um militärische Ziele wie russische Flugzeuge oder Munitionsdepots zu zerstören. Natürlich ist es für die Ukraine fantastisch, wenn sie mit einer Drohne ein Transportflugzeug oder ein Überschallflugzeug zerstören kann. Der militärische Schaden hält sich noch in Grenzen. Ich glaube daher, dass sie damit ein Zeichen setzen möchte.
Nämlich welches?
Sie wollen den Russen zeigen: „Ihr seid im Krieg und das kann auch euch passieren.“ Es zeigt auch, dass das russische Militär nicht unbedingt in der Lage ist, die Bevölkerung vor solchen Angriffen zu schützen.
Letzte Woche gab es Berichte von russischen Kriegsbloggern, die sich darüber beschwerten, dass die russische Luftverteidigung nicht in der Lage sei, das russische Volk zu schützen. Ist es nur eine Frage der Zeit, bis eine Drohne ihr Ziel trifft und Zivilisten verletzt oder sogar tötet?
Nicht alle Drohnen wurden von den Russen abgefangen und einige erreichten ihr Ziel. Aber auch beim Abschuss können herabfallende Trümmer Menschen treffen. Die Frage ist vielmehr, wie stark diese Angriffe sein sollten. Es ist klar, dass die Ukraine zumindest bereit ist, Verluste hinzunehmen. Man kann keine bewaffnete Drohne in Gebiete mit Menschen schicken und denken, dass dort nichts passieren wird. Allerdings könnte die Tatsache, dass bei den Anschlägen niemand ums Leben gekommen ist, darauf hindeuten, dass die Ukrainer dies zumindest nicht versuchen. Beispielsweise kam es nachts, wenn niemand da war, häufig zu Angriffen auf Geschäftszentren. Die Ukrainer sind sich sehr bewusst, dass sie vorsichtig sein müssen. Das ist die Gemeinheit dieses Krieges. Sie müssen einen saubereren Krieg führen als die Russen. Wenn sie anfangen würden, systematisch zivile Ziele anzugreifen und Zivilisten zu töten – was Russland seit Beginn des Krieges tut –, würde das die Ukraine internationale Unterstützung kosten.
Muss sich Moskau künftig besser gegen solche Angriffe wappnen?
Wenn die Ukraine Drohnenangriffe durchführt, wird es einem Katz-und-Maus-Spiel gleichkommen. Es stellt sich die Frage, ob Moskau seine Flugabwehr umstrukturieren und verstärken und schließlich sogar Ausrüstung von der Front zurückholen muss. Die Ukraine hat in den letzten Jahren gelernt, wie man Drohnen abfängt – auch Russland muss mehr darüber lernen.
Welche Drohnen nutzt die Ukraine für ihre Angriffe?
Soweit wir wissen, verwenden sie unterschiedliche Typen. Aber das basiert alles auf körnigen Videos, Analysen und eigenen Aussagen. Es gibt mindestens zwei in der Ukraine hergestellte Drohnen, die UJ-22 und „Bober“, die offenbar bei den Angriffen eingesetzt wurden. Und dann gab es kürzlich Berichte über einen Flug einer Pappdrohne auf russischem Territorium.
Ist es wirklich aus Pappe, wie der Name schon sagt?
Eigentlich ist es gar nicht so toll. Die Australier schickten diese Drohnen bereits im März in die Ukraine. Die meisten Drohnen sind nichts anderes als eine möglichst leichte Rakete. Normalerweise besteht es aus Hartplastik oder Styropor. Diese Drohnen bestehen aus Pappe, da es sich um ein leichtes Material handelt und bei richtiger Konstruktion relativ stark ist. Das System ist einfach zu montieren und kostengünstig. Dafür wurden sie entwickelt, nicht speziell für die Ukraine. Der Clou an solchen Systemen ist, dass sie über eine kleine Radarsignatur verfügen.
Bedeutet das, dass man sie nicht so leicht erkennen kann?
Genau. Je weniger Metall verwendet wird, desto weniger ist auf dem Radar zu sehen. Allerdings verfügen die Pappdrohnen auch über Rotoren und einen Motor, sodass sie nicht unsichtbar sind. Ich weiß nur nicht, ob und wie viele Stunden sie durch den Regen fliegen können, bevor es zum Problem wird.
Es ist auch schwer vorstellbar, dass sie genug Kraft haben, um eine Menge Sprengstoff zu transportieren.
Ja, es handelt sich bereits um eine kleine Drohne, was weniger Reichweite und geringere Tragfähigkeit bedeutet. Es trägt rund sechs Kilogramm Sprengstoff und fliegt auch nicht Hunderte Kilometer. Aber sie werden immer leistungsfähiger. Allerdings ist das Material nicht das Interessanteste an den Drohnen.
Eher?
Viel relevanter ist, dass es australische Drohnen sind, die russisches Territorium angreifen. Es wird angenommen, dass die Ukrainer die Drohne kopiert haben, aber das ist nicht sicher. Handelt es sich jedoch um die von Australien gelieferte Ausrüstung, dann werden westliche Drohnen auf russischem Territorium eingesetzt. Australien scheint sich noch nicht darüber beschwert zu haben, aber das ist zumindest interessant, weil die Ukraine bisher hauptsächlich versucht hat, selbstgebaute Drohnen einzusetzen. Und es ist für sie auch ein Zeichen der Stärke, dass es ihnen in den vergangenen anderthalb Jahren gelungen ist, neue militärische Ausrüstung zu entwickeln.
Die Ukraine hat auch russische Ziele wie den Flughafen Pskow nahe der Grenze zu Estland angegriffen – mehr als 700 Kilometer von der Ukraine entfernt. Haben die Drohnen eine so große Reichweite?
Es gibt eine unglaubliche Auswahl an Drohnen und einige, die weit fliegen können. 700 Kilometer sind ziemlich gut. Aber die Frage ist, wo haben sie angefangen? Es ist plausibler, dass dies auf ukrainischem Boden geschah. Der russische Informationschef sagte jedoch, dass sich auch ukrainische Streitkräfte in Russland befänden. Die Entfernung ist jedoch nicht unbedingt die größte Herausforderung, sondern die Steuerung und das Funksignal über eine so große Entfernung. Ich weiß nicht, wie die Ukrainer das machen – es könnte über Satelliten geschehen, die auf westliche Unterstützung hinweisen könnten, oder über Staffeldrohnen.
Was sind Staffeldrohnen?
Dabei werden zwei oder mehr Drohnen in die Luft geschickt, die Funksignale in einer Kette weiterleiten. So könnte eine Drohne 300 Kilometer weit fliegen und dann das Signal an die andere Drohne weiterleiten, die 700 Kilometer weit fliegt.
Wie kommt es, dass die Drohnen auf ihrem 700 Kilometer langen Flug über russischem oder weißrussischem Territorium weder gesichtet noch abgeschossen werden?
Insbesondere Drohnen sind tendenziell klein, zumindest in der Regel kleiner als bemannte Flugzeuge. Sie fliegen auch tiefer. Außerdem haben sie eine andere Radarsignatur und fliegen langsamer. Viele Systeme, die den Luftraum überwachen, sind nicht unbedingt darauf kalibriert, solche Dinge zu erkennen. Zudem wird nicht das gesamte Gebiet überwacht. Zwischen der ukrainischen Grenze und Moskau liegt viel Land.
Reden wir mal über die Drohnenangriffe von russischer Seite, schließlich passieren sie jeden Tag. Sie greifen derzeit massiv ukrainische Getreidesilos nahe der rumänischen Grenze an und sollen auch in dem Nato-Land detoniert haben. Können Drohnen so verloren gehen?
Seit Beginn des Krieges deckt Russland die Ukraine mit iranischen Kamikaze-Drohnen ab, bei denen es sich ebenfalls nicht um besonders spezialisierte Systeme handelt. Daher ist es nicht besonders verwunderlich, dass sie manchmal woanders landen. Daher würde ich nicht annehmen, dass sie dorthin geschickt wurden. Gerade abgeschossene Drohnen können irgendwo herunterkommen. Die meisten Experten gehen daher davon aus, dass es sich um einen Unfall handelte. Rumänien versucht, dies herunterzuspielen, weil es keinen Verteidigungsfall schaffen will.
Es wäre also auch kein NATO-Verteidigungsfall?
Ist es sowieso nicht. Im Hinblick auf NATO-Artikel 5 müsste es zunächst einen Angriff geben und dann müsste das angegriffene Land um Hilfe bitten. Davon sind wir weit entfernt. Es gibt keinen Automatismus, dass nach der Landung einer russischen Drohne auf NATO-Territorium der Dritte Weltkrieg ausbrechen wird. Daran hat auch die Ukraine kein Interesse.
Vivian Micks sprach mit Ulrike Franke
[ad_2]
Political gb2 De