Die Stimmung war sachlich und zurückhaltend, schließlich ging es um Inhalte. Generalsekretär Matthias Miersch gab die Richtung des Wahlkampfs vor: „Es geht um zwei Richtungen, wie dieses Land gestaltet werden kann“, sagte er im Abschlussplenum.
Wie zur Klarstellung wurde am Freitagabend ein Grundsatzpapier von Christian Lindner veröffentlicht, in dem der FDP-Finanzminister „eine Wirtschaftswende mit einer teilweisen grundlegenden Überarbeitung wichtiger politischer Entscheidungen“ forderte. Damit meint er unter anderem einen radikalen Kurswechsel in der Klimapolitik sowie Kürzungen bei den Sozialleistungen und Renten der Bürger.
Lindner will zudem das von der Ampel beschlossene Tarifbindungsgesetz in seinem Koalitionsvertrag begraben, das die Tarifbindung der Unternehmen erhöhen soll – ein Herzensanliegen der SPD. Darüber hinaus plädiert der FDP-Chef für eine vollständige Abschaffung des Solidaritätszuschlags, der nur bei sehr hohen Einkommen erhoben wird, und eine Senkung der Körperschaftsteuer.
Keine Begeisterung über Lindners Pläne
„Diese Punkte, die er dort aufgezählt hat, sind in der Koalition im Großen und Ganzen nicht umsetzbar“, kommentierte SPD-Vorsitzende Saskia Esken am Rande der Dialogveranstaltung. Mit dem Papier machte Lindner lediglich die Position der FDP deutlich, „nicht innerhalb der Koalition, sondern insgesamt“.
Co-Vorsitzender Lars Klingbeil verwies auf die unausgesprochenen Vorschläge, die Grünen-Wirtschaftsminister Robert Habeck kürzlich öffentlich gemacht hatte. „Das hat Christian Lindner gestern gemacht und das ist völlig in Ordnung“, sagte Klingbeil. Viele seiner Ideen stehen jedoch im Widerspruch zu sozialdemokratischen Positionen.
Neben Klingbeil, Esken und Mirsch berief die Partei auch die Vorstandsmitglieder Serpil Midyatli und Hubertus Heil ein, um Foren zu den Themen Frieden und Sicherheit, Einwanderungsgesellschaft, Arbeit – Rente – Gesundheit, Familien und Bildung sowie Wirtschaft – Klima zu moderieren – sozialer Zusammenhalt. Besonderen Diskussionsbedarf gab es beim Friedens- und Sicherheitsforum, wo Klingbeil in seiner Einleitung keinen Zweifel daran ließ, wo die SPD aus Sicht ihrer Führung steht: „Unsere Position ist klar: Wir unterstützen die Ukraine.“
Nach Generalsekretär Miersch kamen leichte Zweifel an der Stärke dieser Haltung auf Stern hatte gesagt, dass in der SPD Platz für Ex-Kanzler und Putin-Freund Gerhard Schröder sei – was Miersch vor einem Jahr deutlich machte, als er Schröder im Bezirk Hannover für seine 60-jährige Parteizugehörigkeit ehrte. Darüber hinaus bewertete die Brandenburgische SPD in ihrem gemeinsamen Sondierungspapier mit dem BSW die Stationierung amerikanischer Mittelstreckenraketen in Deutschland als kritisch und erklärte, dass der Krieg in der Ukraine nicht durch weitere Waffenlieferungen beendet werden könne.
Kontroverse Diskussion über den Ukraine-Krieg
Im von Klingbeil moderierten Forum stieß dieser Satz auf Zustimmung. „Wie kann man nach zweieinhalb Jahren noch glauben, dass Waffen helfen?“ fragte ein pensioniertes Hamburger Parteimitglied. „Warum halten wir Mittelstreckenwaffen für gut?“ Warum versucht die Bundesregierung nicht zu verhandeln? Und wie kann angesichts eines viel katastrophaleren Konflikts mit China eine europäische Position geschaffen werden?
Er sei der SPD beigetreten, weil er es für notwendig hielt, „alle Kriege sofort zu beenden“, sagte ein junger Mann aus Hamburg. Ein diplomatischer Höhepunkt war das Papier, mit dem sich SPD und DDR-Landespartei SED in den 1980er Jahren einigten. Die SPD muss den kapitalistischen Kriegsgewinnlern das Geschäft verderben.
Es gelte auch, die Sicherheitsinteressen Russlands zu berücksichtigen, sagte ein älterer Herr aus Lübeck. „Glaubt irgendjemand, dass wir alle Russen schaffen können?“ Eine junge Hamburgerin sekundierte: „Frieden kann nur von deutschem Boden ausgehen.“
Ein 80-jähriger Kamerad mit DDR-Vergangenheit entgegnete, Wehrtauglichkeit sei etwas anderes als kriegerisch zu sein. Willy Brandts Kommunikationsbereitschaft beruhte auch auf militärischer Stärke. Putin will nicht verhandeln – „der Mann will essen“. Wie Israel habe sich auch die Ukraine nicht dafür entschieden, angegriffen zu werden, argumentierte ein Hamburger Genosse. Deutschland selbst werde übrigens bereits von Russland angegriffen: „Die Trolle sind die Waffen von heute.“
Klingbeil forderte, die Dinge „nach vorne“ zu besprechen: „Die Wahrheit ist, dass wir zu diesem Zeitpunkt zu lange naiv waren.“ Er erinnerte an die erfolglosen Verhandlungsversuche von Olaf Scholz, etwa an den Besuch in Moskau, als die Kanzlerin an einem absurd langen Tisch vergeblich versuchte, Putin von einer Invasion in der Ukraine abzubringen. „Für uns gehören Diplomatie und militärische Stärke zusammen“, lautet Klingbeils Lehre aus den vergangenen zweieinhalb Jahren.
Nach der Dialogveranstaltung in Hamburg wird es zwei weitere in Mainz und Essen geben. Außerdem gibt es kleinere Runden, sowie die Möglichkeit, sich online zu engagieren und ein großes „Debattecamp“ im März in Berlin. Die Erkenntnisse aus diesen Debatten sollen schließlich auf einem Parteitag in das SPD-Wahlprogramm einfließen.
http://www.taz.de/Im-Dialog-mit-der-Parteibasis/!6046507/