
Ärzte empfehlen oft eine Untersuchung, die Krankenkassenpatienten selbst bezahlen müssen. Für sogenannte IGeL-Angebote geben die Deutschen jährlich rund 2,4 Milliarden Euro aus. Oft gibt es keinen nachgewiesenen Nutzen.
Kassenpatienten geben für medizinische Zusatzleistungen deutlich mehr aus als bisher angenommen. Laut einer Umfrage im Auftrag des Medizinischen Dienstes (MD) zahlen die Deutschen jährlich rund 2,4 Milliarden Euro für sogenannte IGeL-Angebote – obwohl diese nach Angaben des Medizinischen Dienstes oft keinen nachgewiesenen Nutzen haben. Manchmal besteht sogar die Gefahr gravierender falsch-positiver Ergebnisse, die den Betroffenen schaden könnten.
Von 56 Angeboten sind 30 eher negativ
Bei den individuellen Gesundheitsleistungen (IGeL) handelt es sich um ärztliche Untersuchungen, die nicht von den Krankenkassen übernommen werden und daher aus eigener Tasche bezahlt werden müssen. Von den 56 untersuchten Zusatzleistungen sind 30 „eher negativ“ oder „negativ“. Bei 23 Diensten ist das Ergebnis „unklar“, was bedeutet, dass es in der Regel keine ausreichenden wissenschaftlichen Belege für deren Nutzen gibt. Nur drei Selbstzahlerdienste bewertet der IGel-Monitor wissenschaftlich mit „eher positiv“. Dazu gehören Akupunktur zur Vorbeugung von Migräne und Lichttherapie bei saisonaler Depression, der so genannten Winterdepression.
Umstrittener Ultraschall der Gebärmutter
Im Auftrag des Medizinischen Dienstes, dem Bewertungsdienst der gesetzlichen Krankenkassen, hat das Marktforschungsinstitut Forsa mehr als 2.000 Patienten im Alter zwischen 18 und 80 Jahren befragt, um sich einen Überblick über die Nutzung der Angebote zu verschaffen.
Ultraschalluntersuchungen der Eierstöcke und der Gebärmutter werden am häufigsten zur Krebsfrüherkennung eingesetzt. Der mögliche Schaden sei größer als der Nutzen, erklärte MD-Vorsitzender Stefan Grönemeyer. Ihm zufolge könnten unklare Ergebnisse zu weiteren Behandlungen, einschließlich einer unnötigen Entfernung der Eierstöcke, führen. Gleichzeitig gibt es keine Hinweise darauf, dass das Krebsrisiko durch diese Untersuchung verringert wird.
Glaukommessungen und PSA-Bluttest
Zu den beliebtesten IGeL-Angeboten gehören außerdem Augeninnendruckmessungen gegen Glaukom und der PSA-Bluttest zur Früherkennung von Prostatakrebs – zwei Untersuchungen, bei denen nach Ansicht der MD-Experten das Risiko von Fehlalarmen und unnötigen Behandlungen größer ist als der medizinische Nutzen .
Gleichzeitig gab in der Befragung nur jeder vierte Versicherte an, gut über die angebotenen Leistungen informiert zu sein. Zwei von drei Befragten gingen außerdem fälschlicherweise davon aus, dass Selbstzahlerleistungen medizinisch notwendige Leistungen seien.
Patientenvertreter nennt Nummern „alarmierend“
Der Patientenbeauftragte der Bundesregierung, Stefan Schwartze, bezeichnete diese Zahl als „alarmierend“. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) will Ärzte dazu verpflichten, Patienten bei Konsultationen neutrale, standardisierte Informationsblätter zur Verfügung zu stellen. Eugen Brysch von der Stiftung Patientenschutz fordert sogar eine verpflichtende 14-tägige Bedenkzeit: „Überraschungen einstecken und Ängste schüren gehört zu diesem Geschäftsmodell.“
Die Geschäftsführerin des AOK-Bundesverbandes, Carola Reimann, sieht sogar einen Zusammenhang zwischen Selbstzahlerleistungen und den immer längeren Wartezeiten auf einen Arzttermin: „Wenn ein Facharzt seine Zeit mit kosmetischen Behandlungen oder fragwürdigen Vorsorgeuntersuchungen verbringt, ohne dass ein wissenschaftlich nachgewiesener Nutzen vorliegt.“ „Es mangelt einfach an Kapazitäten für die vertragsärztliche Versorgung.“