Nach Recherchen des Tagesspiegels konnten die mutmaßlichen Anschlagspläne eines 22-jährigen Islamisten aus Syrien in Berlin nur dank eines Hinweises eines ausländischen Geheimdienstes gestoppt werden. Nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) seien die deutschen Sicherheitsbehörden erneut „auf unsere Verbündeten“ angewiesen.
Aus Sicherheitskreisen hieß es, Ermittler hätten Hinweise darauf gefunden, dass der Verdächtige Abdullah R. einen Selbstmordanschlag in Deutschland plante. Berlin sei als Angriffsziel nicht ausgeschlossen, konkrete Anhaltspunkte dafür gebe es bislang aber nicht, teilte die Staatsanwaltschaft am Montag mit.
R. sitzt seit Sonntagabend wegen Terrorverdachts in Untersuchungshaft; Ein Richter hatte einen Haftbefehl gegen ihn erlassen. Die Ermittlungen in dem Fall dauern an. Nach Angaben der Staatsanwaltschaft werden die Kriminaltechniker zunächst das Handy- und Bombenbaumaterial auswerten, das bei Durchsuchungen an drei Adressen in der Hauptstadt sichergestellt wurde.
Wegen der möglichen Gefährdung des Mannes wurde am Samstag ein Spezialeinsatzkommando (SEK) eingesetzt und nahm ihn in Berlin-Neukölln fest. Dem Syrer wird die Vorbereitung eines schweren staatsgefährdenden Verbrechens sowie die Verbreitung von Propaganda verfassungswidriger und terroristischer Organisationen vorgeworfen.
Abdallah R. gilt bislang nicht als Islamist
Die Staatsanwaltschaft erklärte, es gehe um die Planung eines dschihadistisch motivierten Anschlags mit einem selbst hergestellten Spreng- oder Brandsatz. Nach Tagesspiegel-Informationen durchsuchten Spezialeinheiten der Polizei drei R. zugeschriebene Wohnungen in der Buschkrugallee und Sonnenallee in Neukölln sowie in der Lindenstraße in Köpenick. Sie fanden auch die Materialien für den Bau von Sprengkörpern.
Abdallah R. war den Behörden bisher weder als Islamist noch in Verbindung mit islamistischen Gruppen bekannt. Das sagte der Leiter des Landeskriminalamts (LKA) Berlin, Christian Steiof, am Montag im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses. Informationen zu den Anschlagsplänen und islamistischen Aktivitäten hätten die Behörden Ende letzter Woche erhalten, sagte Steiof. Staatsanwaltschaft und LKA beschlossen daraufhin, nicht lange zu warten, sondern schnell zu handeln.
In früheren Fällen stammten Informationen über Terrorverdächtige oft von ausländischen Geheimdiensten – meist aus den USA oder Israel. Diese verfügen über weitreichendere Befugnisse als die deutschen Behörden und sind technisch besser ausgestattet. Sie durchsuchen soziale Medien und Messenger-Dienste nach verdächtigen Nachrichten. Welcher Auslandsgeheimdienst genau kam, darüber schweigen sich die Berliner Behörden allerdings bisher aus.
Es kann nicht sein, dass wir in Sachen Terrorismus weitgehend von unseren Verbündeten abhängig sind und diese sich für uns die Hände schmutzig machen müssen.
Stephan Weh, Landesvorsitzender der Gewerkschaft der Polizei (GdP) in Berlin
Der Berliner GdP-Landeschef Stephan Weh kritisierte am Montag, dass den deutschen Behörden bei der Aufdeckung islamistischer Gefährder häufig die Hände gebunden seien. „Es ist nicht der erste Fall und wir müssen einem ausländischen Geheimdienst erneut unsere Dankbarkeit aussprechen, weil wir in unserem Land mangels Rechtsweg faktisch blind sind“, sagte Weh.
Der Syrer soll ein Sympathisant der islamistischen Terrormiliz IS sein
„Es kann nicht sein, dass wir im Bereich des Terrors weitgehend von unseren Verbündeten abhängig sind und diese sich für uns die Hände schmutzig machen müssen, weil wir nicht in der Lage sind, die Umstände den heute denkbaren Gefahren anzupassen.“ Es geht um einen potenziellen Terroristen, der für seine Tat nicht nach Deutschland gekommen ist, sondern bereits hier unter uns lebte. „Während ausländische Geheimdienste Informationen haben, sehen wir absolut nichts“, sagte Weh. „Das ist Sicherheit zweiter Klasse, die wir uns einfach nicht leisten können.“
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft soll Abdallah R. ein Sympathisant der islamistischen Terrormiliz Islamischer Staat (IS) sein. Er soll mehrfach IS-Propaganda in Form von Kampfliedern, sogenannten Naschids, in den sozialen Medien gepostet haben. Dabei handelt es sich um gesungene Lieder und Hymnen ohne eigene Instrumentalbegleitung. Diese Kampflieder mit dschihadistischem Kontext dienten der Emotionalisierung und politischen Mobilisierung ihrer Zuhörer, so die Staatsanwaltschaft. Sie kommen direkt von offiziellen IS-Büros.
Wollte er einen Weihnachtsmarkt veranstalten?
Ob ein Weihnachtsmarkt Ziel des Anschlags gewesen sein könnte, sei Spekulation, sagte ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Ermittlungen zum möglichen Angriffsziel gingen in alle Richtungen. Dazu gehört auch die Frage, ob R. Komplizen oder Helfer hatte.
Nach Angaben der Behörden hält sich R. seit 2023 in Deutschland auf. Er erhielt jedoch weder Asyl noch wurde er als Flüchtling anerkannt. R. lebte in Berlin unter sogenanntem subsidiärem Schutz. Diese wird gewährt, wenn Flüchtlingen nach Einschätzung der Behörden aufgrund schwerwiegender Menschenrechtsverletzungen in ihrem Heimatland ein erheblicher Schaden droht.
„Die Festnahme zeigt einmal mehr, dass die Bedrohungslage in Deutschland durch Terrorismus abstrakt, aber dennoch hoch ist“, sagte Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU). Berlins Regierender Bürgermeister Kai Wegner (CDU) sprach von einem Erfolg: „Die gute grenzüberschreitende Zusammenarbeit hat entscheidend dazu beigetragen, eine ernsthafte Gefahr abzuwenden.“ Für Berlins Innensenatorin Iris Spranger (SPD) zeigt der Fall, „dass wir in Zusammenarbeit mit den Sicherheitsbehörden sehr wachsam für die Sicherheit der Menschen in der Hauptstadt sind.“
Für den stellvertretenden Vorsitzenden der Unionsfraktion im Bundestag, Günter Krings, zeigt die Festnahme, wie real die islamistische Bedrohung in Deutschland ist. „Wer hier Anschläge plant, darf den Schutzstatus nicht behalten und verliert sein Aufenthaltsrecht“, sagte Krings. Diese terroristischen Straftäter müssen schnell und konsequent abgeschoben werden – auch nach Syrien. „Der Staat hat die Pflicht, die Bevölkerung zu schützen und nicht diejenigen, die unsere Sicherheit gefährden“, sagte Krings.
Der stellvertretende Vorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft (DPolG), Heiko Teggatz, forderte im „Handelsblatt“ eine „intensive Prüfung“ der Schutzzusagen für syrische Flüchtlinge und eine groß angelegte Rückführungsoffensive. Nach dem Sturz des Machthabers Baschar al-Assad besteht für viele Syrer, die vor diesem Regime geflohen sind, möglicherweise kein Anspruch mehr auf Schutz.
Vor neun Jahren erschütterte ein Anschlag auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz Berlin. Am 19. Dezember 2016 entführte ein islamistischer Terrorist einen Lastwagen und fuhr auf den Markt an der Gedächtniskirche. Insgesamt starben 13 Menschen an den Folgen der Tat, einer davon erst Jahre später. Mehr als 70 Menschen wurden verletzt, einige davon schwer. Der Attentäter floh nach Italien, wo er von der Polizei erschossen wurde. (mit dpa)
