Im Sommer 1972 wurde Heide Ecker-Rosendahl das deutsche Gesicht der Olympischen Spiele in München. Es beeindruckte und verzauberte – die Fanpost passte kaum in ein Auto. Ihre damaligen Pluspunkte: Bügeleisen und Eierkocher.
Als die damals 25-jährige Heide Rosendahl am 10. September 1972 durch das Marathon-Tor ins Münchner Olympiastadion ging, traute sie ihren Ohren nicht. „80.000 Menschen riefen meinen Vornamen“, erinnert sich der heute 78-Jährige. „Dieser Empfang und diese Euphorie haben mich erneut begeistert. Mir war klar: Heute ist ein ganz besonderer Tag.“
Ein Tag, an dem Geschichte geschrieben wird. Um 15.55 Uhr fällt der Startschuss zum olympischen 4-mal-100-Meter-Staffellauf der Frauen. Die große Favoritin: die DDR-Staffel um Sprinterin Renate Stecher (damals 22), Olympiasiegerin über 100 und 200 Meter. Als Schlussläuferin der westdeutschen Staffel übernahm Rosendahl den Holzstab von Annegret Richter (damals 21). Unmittelbar links von ihr steht der scheinbar übermächtige Stecher. Doch Rosendahl wächst über sich hinaus. Mit großen Schritten entfernt sie sich Zentimeter für Zentimeter von der Favoritin und liegt im Ziel etwa einen Meter vor ihr – 14 Hundertstelsekunden. Gold für die BRD-Staffel in der Weltrekordzeit von 42,81 Sekunden.
Rosendahl hatte bereits Gold im Weitsprung (6,78 Meter) und Silber im Fünfkampf gewonnen. Doch der Sieg im Staffellauf machte die junge Frau mit der Brille und den markanten rot-weiß gestreiften Socken zum deutschen Gesicht der Spiele. Der Sieg im Duell Deutschland gegen Deutschland war mehr als nur ein sportlicher Triumph. Es hatte eine politische und soziale Dimension im Wettbewerb der Systeme.
Ecker-Rosendahl und Stecher: verbotene Freundschaft
Die Hauptfigur in diesem historischen Sprintfinale war sich dessen nicht einmal bewusst. „In diesem Moment dachte ich nur an das Rennen und nicht an den Gegensatz zwischen Ost und West“, sagt Ecker-Rosendahl, die den Doppelnamen seit ihrer Heirat mit dem Amerikaner John Ecker (77) im Jahr 1974 trägt. „Mir gefielen die großen sportlichen Herausforderungen, und dieses Duell mit der DDR und der schnellsten Frau der Welt war zweifellos eines. Dass wir eine Chance hatten, hatte ich schon im Vorlauf gemerkt. Und im Finale, nach 80 Metern, war mir klar, dass nicht viel.“ würde heute passieren, wir haben Gold.
Mit Renate Stecher ist Ecker-Rosendahl bis heute befreundet. „Wir haben uns damals immer an geheimen Orten zum Reden getroffen – auch auf der Toilette. Renate wurde überwacht und wir wollten nicht, dass sie in Schwierigkeiten gerät“, sagt Ecker-Rosendahl. „Einmal habe ich ihr sogar eine Jogginghose geschenkt, die sie sich so sehr gewünscht hat.“
Ihre auffälligen Socken – die wären in der uniformierten DDR wohl verboten gewesen. Doch in der Bundesrepublik wurden sie zum Markenzeichen Rosendahls. „Ich habe ein Paar aus den USA mitgebracht und es beim Wettkampf getragen“, sagt Ecker-Rosendahl. „Ein Hersteller aus dem Allgäu hat das gesehen und mir dann eine Kiste mit 50 Paaren nach Hause geschickt. Vor ein paar Jahren haben sie die alte Strickmaschine aus dem Museum geholt und noch 20 Paar für mich angefertigt – als Dankeschön für eine Ehrung junger Sportler, die ich in der Nähe organisiert habe. Ich habe noch einige davon.“
Das zweite Erkennungsmerkmal war ihre runde Brille. „Ich habe es auch mit Kontaktlinsen probiert, kam damit aber nicht zurecht, weil ich beim Weitsprung immer Sand in die Augen hatte“, erklärt sie.
Tonnenweise Fanpost, einschließlich Heiratsanträgen
Die Olympischen Spiele 1972 waren der Höhepunkt von Rosendahls sportlicher Karriere – auch wenn der palästinensische Terroranschlag am 5. September einen Schatten auf das Ereignis warf. „Das war der Beginn des internationalen Terrorismus“, sagt sie. „Ich habe immer noch Kontakt zu israelischen Sportlern von damals, etwa zu Esther Roth, deren Trainerin bei dem Anschlag ums Leben kam.“
München 1972 machte Rosendahl, die im 14.000-Einwohner-Ort Hückeswagen im Kreis Oberberg geboren wurde, zum ersten echten weiblichen Sportstar Deutschlands. „Mein jetziger Mann wollte mich nach Olympia mit dem VW Käfer von München nach Leverkusen zurückbringen, inklusive der Fanpost, die ich während der Olympischen Spiele im Sportlerdorf erhalten hatte. Aber ich passte wegen der vielen Briefe nicht ins Auto und musste einen anderen Weg nach Hause nehmen“, sagt Ecker-Rosendahl lachend. „Später haben wir alles in Ruhe gelesen. Es waren auch etliche Heiratsanträge in der Post.“
Auch nach dem Doppel-Olympiasieg ließ die Popularität nicht nach: „Ich wurde mit Einladungen überhäuft und trat in Fernsehsendungen wie ‚Dalli Dalli‘ und ‚Der Grand Prix‘ auf. Es gab damals eine Umfrage, die besagte, dass 99 Prozent der Deutschen mich kannten – nur die Deutsche Post hatte mehr.“
Rosendahl, der 1969 und 1970 Weltrekorde im Fünfkampf (5.155 Punkte) und im Weitsprung (6,84 Meter) aufstellte, wurde berühmt – aber nicht reich. „Ich war Amateurin und durfte nichts verdienen“, sagt sie. „Für den Olympiasieg gab es eine Medaille und eine Urkunde, mehr nicht. Und bei Sportfesten durfte die Prämie 25 Mark nicht überschreiten. Es gab Bügeleisen und Eierkocher.“
Doch Ecker-Rosendahl trauert nicht um das Geld. „Wenn ich heutzutage Sportler sagen höre, sie wollen mehr Geld, dann verstehe ich das nicht wirklich“, sagt sie. „Damals war ich neben meiner Sportkarriere auch hauptberuflich tätig. 1969 machte ich meine Ausbildung zum Sportlehrer und arbeitete anschließend als Dozent an der Sporthochschule Köln. Mit meinem monatlichen Gehalt von 2.000 bis 2.500 Mark konnte ich über die Runden kommen. Das Gute war, dass ich keinem Sponsor hinterherlaufen musste.“
1973 beendete Ecker-Rosendahl ihre Karriere im Alter von 26 Jahren. „Ich wollte Kinder haben – und kombiniert mit Leistungssport und Beruf wäre das nicht möglich gewesen“, sagt sie. Ihr Sohn David wurde 1975 und ihr zweiter Sohn Danny 1977 geboren. Später wurde er ein erfolgreicher Stabhochspringer, gewann Bronze bei der Weltmeisterschaft 2007 und wurde Hallen-Europameister. Die beiden Söhne schenkten ihrer Mutter vier Enkelkinder.
Auch im Arbeits- und Ehrenamt spielte Sport eine große Rolle
Nach ihrer Karriere leitete Ecker-Rosendahl mehrere Sportstudios und gründete ein Unternehmen für Ernährungswissenschaften. Sie war lange Zeit Mitglied im Präsidium des Deutschen Leichtathletik-Verbandes und der Leichtathletikabteilung ihres Heimatvereins Bayer Leverkusen. Außerdem war sie an der Gründung der Sportstiftung NRW beteiligt. Mittlerweile genießt sie den Ruhestand. Mit langen Spaziergängen und Radtouren hält sie sich fit. „Wir haben auch einen großen Garten, der viel Arbeit erfordert“, sagt sie.
Die Leichtathletik folgt weiterhin Ecker-Rosendahl. „Manchmal vermisse ich die pure Begeisterung der jungen Sportler für ihren Sport“, sagt sie. „Geld kann nicht die Motivation sein. Und der Plan, mit Sport seinen Lebensunterhalt zu verdienen, geht in den meisten Fällen sowieso nicht auf.“
Ecker-Rosendahl fände die Olympischen Spiele in Deutschland „großartig“. Denn: „So würde der Sport in Deutschland neue Anerkennung erhalten. Nicht nur der Spitzensport, sondern auch der Breiten- und Schulsport würden Rückenwind bekommen.“
Ecker-Rosendahl sieht die Olympischen Spiele insgesamt auf einem guten Weg. „Ich sehe eine Abkehr vom Gigantismus. Thomas Bach (Ex-IOC-Präsident; Redakteur) hat das gut gemacht“, sagt sie. „Früher habe ich gesagt, dass nur Berlin aufgrund der Größe der Stadt eine Chance als deutscher Kandidat hätte. Aber jetzt glaube ich, dass München das auch wieder schaffen könnte. Die Begeisterung dort bei der Europameisterschaft vor drei Jahren war riesig. Aber NRW und Hamburg würden das auf jeden Fall schaffen. Am Ende kommt es darauf an, dass alle an einem Strang ziehen.“
Der Artikel wurde für das Sport-Kompetenzzentrum (WELT, „Bild“, „Sport Bild“) erstellt und erstmals in „Sport Bild“ veröffentlicht.
