Bitterfeld-Wolfen/MZ. – Als Gunter Erfurt durch die Solarzellenfabrik von Meyer Burger in Bitterfeld-Wolfen ging, strotzte der Physiker vor Energie. Er sprach von der modernsten Produktionsanlage der Welt. „Wir können hier fast so effizient produzieren wie unsere Konkurrenten in China“, sagte der Firmenchef. Höhere Produktionskosten durch Löhne und Energie könnten durch geringere Logistikkosten ausgeglichen werden. Gunter Erfurt wollte die Solarindustrie zurück nach Deutschland holen. Doch der sächsische Sonnenkönig scheiterte. Meyer Burger gab am Mittwoch bekannt, dass der Firmenchef zurücktritt. 200 der verbliebenen 1.050 Mitarbeiter werden mit ihm gehen müssen.
Transformation vom Maschinenbauer zum Zellenproduzenten in Rekordzeit
Als Technikchef des Solarkonzerns Solarworld erlebte Erfurt nach 2012 den Zusammenbruch der deutschen Solarbranche. Der im sächsischen Freiberg lebende Manager musste zusehen, wie Tausende Mitarbeiter ihren Job verloren. Den Glauben Erfurts an die heimische Solarproduktion erschütterte dies allerdings nicht.
Der 50-Jährige ist einer der wenigen Ostdeutschen, die es bis an die Spitze eines großen Technologiekonzerns geschafft haben – und zwar eines Schweizer Unternehmens. „Gunter ist ein Menschenfreund“, sagte einst ein Kollege. „Er kann Menschen für sich gewinnen und sie für etwas begeistern.“
Foto: Sebastian Kahnert/dpa-Zentralbil
Er formte den kriselnden Schweizer Solarmaschinenbauer Meyer Burger in Rekordzeit zu einem Produzenten von Solarzellen und Solarmodulen um. Die leerstehenden Solarfabriken in Freiberg und Bitterfeld-Wolfen nutzte er, um Meyer Burgers neueste Produktionstechnologie wieder aufzubauen. In Bitterfeld-Wolfen werden derzeit täglich eine Million Solarzellen gefertigt. Gewinn machte Meyer Burger damit aber nicht.
Warum Erfurt damit keinen Erfolg hatte, zeigen folgende Zahlen: Die Solarmodulpreise in Europa sind wegen chinesischer Importe im freien Fall. Im Juli kosteten hocheffiziente Module laut einer Erhebung des Großhändlers PVXchange 18 Cent pro Watt. Vor einem Jahr waren es noch 31 Cent, 2022 sollen es rund 40 Cent sein. Erfurt wirft China vor, mit Dumpingangeboten die Konkurrenz aus dem Markt zu drängen.
Jeder Tag ist ein Tag der Deindustrialisierung in Deutschland.
Reiner Haseloff, Ministerpräsident von Sachsen-Anhalt
Bei der Bundesregierung und der EU-Kommission setzte er sich für den Schutz europäischer Hersteller ein. Erfurt trat in Talkshows auf, um auf die Abhängigkeit des Landes von China aufmerksam zu machen. Doch letztlich ohne Erfolg.
Am Mittwoch verkündete Erfurt seinen Rückzug auf dem sozialen Netzwerk Linkedin. Er schrieb: „Leider hatten die europäischen Politiker zu viel Angst vor China und waren nicht bereit, die europäische Solarindustrie vor unfairem Wettbewerb zu schützen und die gerade in diesen Zeiten einmalige Chance zu nutzen, auf Basis führender europäischer Solartechnologie einen europäischen Jobmotor zu starten.“
Auswanderung in die USA gescheitert
In den vergangenen zwölf Monaten versuchte Erfurt, die Wende zu schaffen. Meyer Burger wollte seine Produktion mit Hilfe staatlicher Subventionen der US-Regierung in die USA verlagern. In Goodyear im US-Bundesstaat Arizona entstand eine Modulfabrik. Da die USA Strafzölle auf chinesische Importe erheben, konnte Meyer Burger Großkunden gewinnen. Gleichzeitig wurde die Modulfabrik in Freiberg geschlossen. 500 Mitarbeiter verloren ihren Job. Auch die Zellproduktion sollte in die USA verlagert werden. Doch Meyer Burger fehlte die finanzielle Kraft für den Umzug.
Foto: Meyer Burger
Für die Solarzellenfabrik in Bitterfeld-Wolfen ist das eine gute Nachricht. Sie liefert weiterhin Zellen für die Modulfabrik in den USA. Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU) sieht den Rückzug Erfurts als Zeichen einer massiven Fehlentwicklung: „Wir schaffen es oft nicht mehr, hier entwickelte Technologie in die industrielle Produktion zu transferieren.“ Aus Haseloffs Sicht müssten sich die Rahmenbedingungen etwa bei den Energiekosten „radikal ändern“. Möglich sei das etwa durch Steuererleichterungen für Industrieunternehmen. Derzeit sei „jeder Tag ein Tag der Deindustrialisierung in Deutschland“. Man müsse sich auch fragen, wie ein fairer Wettbewerb mit China aussehen solle.
Nachfolger Franz Richter setzt Sparkurs fort
Nachfolger in Erfurt wird Franz Richter, bisher Verwaltungsratspräsident von Meyer Burger. Er soll nun den Umbau übernehmen. Die 200 Stellen sollen bis Ende 2025 wegfallen, vor allem in Deutschland und der Schweiz. Die Produktion in Bitterfeld-Wolfen dürfte davon nicht betroffen sein. Zudem gibt es ein Bekenntnis zum Maschinenbau im sächsischen Hohenstein-Ernstthal. Damit will das Unternehmen Kosten senken und aus bestehenden Kundenaufträgen Gewinne erzielen. Die Maschinen sollen zudem an andere Solarzellenhersteller verkauft werden.
Auch im Ruhestand bleibt Erfurt ein Mann der klaren Worte. In seiner Abschiedsbotschaft schreibt er: „Wer kämpft, kann verlieren, wer nicht kämpft, hat schon verloren. Und ja, es schmerzt sehr, dass wir trotz unserer enormen Anstrengungen so viel verloren haben.“