Auf Kreta ist ein jahrzehntealter Konflikt eskaliert: Im Bergdorf Vorizia erschossen rivalisierende Familien mit Sturmgewehren aufeinander. Zwei Menschen starben, 14 wurden verletzt – die Polizei befürchtet neue Blutfehden.
Im beschaulichen kretischen Bergdorf Vorizia ist eine langjährige Fehde zwischen zwei Familien eskaliert. Am Samstagmorgen wurde die Stadt von einem Kugelhagel aus Sturmgewehren, Pistolen, Revolvern und Schrotflinten erfasst, als die beiden Familien aneinandergerieten. Ein 37-jähriger Mann und eine 57-jährige Frau seien getötet und 14 Menschen verletzt worden, zwei davon schwer, berichteten griechische Medien. Es besteht nun die Befürchtung, dass die „Blutfehde“, die auf Kreta seit Jahrhunderten üblich ist, weitergehen wird.
Das 500-Einwohner-Dorf liegt südwestlich der kretischen Stadt Heraklion. Stark aufgerüstete Spezialeinheiten der griechischen Polizei durchsuchen jedes einzelne Haus und werden Berichten griechischer Medien zufolge auch weiterhin in der Gegend bleiben.
Bei der Eskalation soll es sich um einen Konflikt zwischen zwei kinderreichen Familien im Dorf handeln, berichtete ein Reporter des Nachrichtensenders ERT News. Zunächst explodierte am Samstagabend eine Bombe auf der Baustelle eines Neubaus einer Familie. Berichten zufolge gingen die betroffenen Familienmitglieder dann am Samstagmorgen auf die Häuser der gegnerischen Familie zu und eröffneten das Feuer. Es sollen Tausende Schüsse gefallen sein. Videoaufnahmen zeigen den Abtransport eines Pickups, dessen Heck von Kugeln durchsiebt ist.
„Ich bin dem Tod gerade noch entgangen“, sagte ein Augenzeuge gegenüber Kriti TV. „Plötzlich sah ich einen SUV, der in alle Richtungen schoss.“ Sein Auto wurde mehrfach angefahren, bevor er darin flüchten konnte. Während es sich bei den meisten Verletzten und Toten um Angehörige der beiden Familien handeln soll, sollen auch sechs völlig unbeteiligte Personen verletzt worden sein, berichtete ERT News.
Tote und Verletzte auf beiden Seiten
Unterdessen bewachen Spezialeinheiten der Polizei zwei Krankenhäuser in der Stadt Heraklion – die Verletzten ihrer jeweiligen Familien wurden aus Sicherheitsgründen in verschiedene Einrichtungen gebracht. Zuvor mussten einige Menschen mit Traktoren und Privatwagen in die Krankenhäuser gebracht werden, weil sich die Rettungskräfte nicht ins Dorf trauten. Den Angaben zufolge gehören die beiden Toten zu einer der verfeindeten Familien.
In abgelegenen Regionen Kretas, in denen alte Familienrivalitäten noch heute nachwirken, kommt es gelegentlich zu Blutfehden – in Griechenland Vendetta genannt. Erschwerend kommt hinzu, dass der Besitz von Waffen bis heute zum Selbstverständnis vieler kretischer Männer gehört.
Eine der berühmtesten Fehden ereignete sich im Gebiet des heutigen Touristen-Hotspots Chania. Es begann im Jahr 1910 und dauerte bis Mitte der 1980er Jahre. Offenbar handelte es sich um eine „Ehrensache“ zwischen den Familien Sartzetakis und Pentarakis. Im Laufe der Jahrzehnte wurden die Kämpfe immer beängstigender. Insgesamt starben etwa 120 Menschen aus beiden Familien. Die Fehde konnte nur durch Vermittlung auf höchster politischer Ebene beendet werden.
„Hier redet niemand“
In vielen Fällen sind die Konflikte so alt und unklar, dass sich niemand mehr daran erinnert, was sie ausgelöst hat. Übrig bleibt nur der Hass, der über Generationen weitergegeben wird. Auch bei der aktuellen Eskalation in Vorizia bleibt abzuwarten, ob die tatsächlichen Gründe für den Konflikt geklärt werden.
Neben der Blutfehde gibt es auf Kreta noch ein weiteres Phänomen, wie ein griechischer Reporter im Sender ERT News beschrieb: „Das ist ein typisches kretisches Dorf. Hier redet niemand.“
dpa/cvb
