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Genz Z auf Tiktok: Mit Memes gegen die Wehrpflicht

„An alle 2008er, ihr seid fertig“, sagt ein junger Mensch und blickt in seine Handykamera. Seine Stimme ist verstellt. Er sitzt auf einem Schreibtischstuhl in einem abgedunkelten Raum und schaukelt immer wieder hin und her. Es ist wenig zu sehen, die Jalousien sind heruntergelassen. Er trägt ein weißes T-Shirt und seine Haare fallen ihm in die Stirn. „Sie haben es vielleicht schon gehört, im Jahr 2026 müssen Sie an die Front“, sagt er.

Anschließend erklärt er, dass alle jungen Männer einen Brief von der Bundeswehr erhalten und sich dann ehrenamtlich engagieren können. „Und wenn sich nicht genügend Leute freiwillig dafür melden, Bruder, wirst du eingezogen.“ Er ist davon nicht betroffen, er ist Jahrgang 2005, aber die Jüngeren tun ihm leid. „Du bist gekocht“, sagt er noch einmal, was so viel bedeutet wie: Du bist ausgeliefert.

Das einminütige Video, das der junge Mann auf dem Tiktok-Portal hochgeladen hat, hat 2,7 Millionen Aufrufe. Was soll man von dem halten, was er sagt? In den über 8.000 Kommentaren gehen die Meinungen auseinander. „Huh, ich mache es einfach“, schreibt eine Person, „Gott segne mein Asthma“, schreibt eine andere.

Einer repräsentativen Forsa-Umfrage im Auftrag des Redaktionsnetzwerks Deutschland vom August zufolge sind 61 Prozent der 18- bis 29-jährigen Deutschen gegen die Wehrpflicht. Dies spiegelt sich auch in Tiktok wider, dem Medium, das viele der Generation Z als Hauptinformationsquelle nutzen. Unter dem Hashtag „Wehrpflicht“ hat sich eine Flut von Fotos und Videos angesammelt. Die Debatte hier ist größtenteils in der Meme-Kultur verwurzelt.

Vielen Menschen sind Argumente egal

Ein Video zeigt eine junge Frau, die sich und ihre Kleidung filmt, begleitet von dramatischen elektronischen Klängen. Sie trägt Hauskleidung und Hausschuhe. Sie hat ihr langes rotes Haar zu einem Seitenzopf geflochten. Sie steht vor dem hell erleuchteten Badezimmer ihrer Wohnung, dreht und wendet sich, präsentiert ihr Outfit und wirft einen Kuss in Richtung Kamera. In der Mitte des Videos steht in großen Buchstaben: „Einberufung in dich LG“, ohne dass die Frau es näher erklärt.

Dahinter verbergen sich zwei Emojis: ein Kuss und ein Herz. Ein weiteres Video zeigt einen jungen Mann, der einen Arm in seinem T-Shirt versteckt und die Haustür öffnet. „Wenn die Werbepflicht kommt“, heißt es in falscher Schreibweise. Er sagt, er könne der Bundesregierung nicht beitreten. Es ist offensichtlich, dass er nur einen Arm hat. „Aber mein Nachbar dort, der kann es.“ Für die Bundeswehr könnte er um sechs Uhr morgens aufstehen, schließlich macht er immer viel Lärm.

In diesen Videos wird es selten konkreter; Vielen geht es nicht um Argumente. Neben solchen Clips gibt es auch sachliche, die Ordnung in den aktuellen Stand der Debatte bringen sollen. Auf Tiktok diskutieren User ein Erklärvideo zum Militärdienst aus der „Tagesschau“ sowie viele weitere Videos.

Darin heißt es, die Wehrpflicht sei übertrieben. Einer schreibt, dass er nach dem Abitur eigentlich ein Studium beginnen wollte, ein anderer fordert „die Politiker“ dazu auf, selbst in die Bundeswehr einzutreten. „Dieses Land hat mir nichts gegeben“, schreibt ein User. „Keine Perspektive im Rentenalter, Studium an der Armutsgrenze und so weiter. Für so ein Land dienen??“ Ein Argument, das in zahlreichen Videos und Kommentaren wiederholt wird.

DSGVO-Platzhalter

„08 bekommt Wehrpflicht statt Kulturpass“ steht über dem Video eines Mädchens, das vor einem Bücherregal steht und gelangweilt in die Kamera schaut. Sie stemmt die Hände in die Hüften und atmet tief durch. Es gibt viele Videos, die in diese Richtung gehen. In den Kommentaren unten schreibt ein Nutzer: „Wenn das Land nichts für die Jugend tut, warum sollten die Jugendlichen dann etwas für das Land tun?“ Das 15-sekündige Video hat knapp 60.000 Likes.

Ich betrachte die Debatte mit bizarrer Belustigung

Laut dem Influencer Simon David Dreßler ist es nicht verwunderlich, dass sich auf Tiktok so viele junge Menschen gegen die Wehrpflicht aussprechen und in satirischen Videos über Politik diskutieren. Die Diskussion um den Wehrdienst finde von oben statt, sagt er der FAZ. Politiker, die im Wohlstand leben und keinen Kontakt zum Leben der meisten Menschen haben, entscheiden über die Zukunft junger Menschen. „Wenn sie dann verlangen, dass dieses nationale Wir neu geschaffen werden, dann kann ich durchaus verstehen, dass sie mit Unverständnis und skurriler Belustigung reagieren und denken: Was wollen diese Leute von mir?“

Der 26-jährige Linguistikstudent Dreßler sprach sich bereits 2022 gegen den Militärdienst aus, als der russische Angriff auf die Ukraine ihn langsam wieder zum Thema der Debatte in der deutschen Gesellschaft machte. „Zwei Jahre Pandemie, zwei Jahre eingesperrt sein, zwei Jahre der besten Zeit des Lebens verlieren und dann einfach noch einen schönen Militärdienst bekommen“, sagte Dreßler im Juni 2022 in einem Video. In aktuellen Videos wiederholt er die Argumentation und bleibt dabei. Mit den Clips erreicht er Zehntausende junge Menschen.

Die 19-jährige Influencerin Helena Clear mit mehr als 55.000 Followern spricht sich gegen die Wehrpflicht aus, befürwortet aber ein Pflichtjahr für die Gesellschaft, sei es auf Bundesebene oder im sozialen Bereich. Doch die Pflicht zu einem einjährigen Dienst „auf der Waffe“ sei „moralisch einfach nicht vertretbar“, sagt sie in einem Video in die Handykamera. Sie hält es nicht für richtig, eine Person zu zwingen, „rein hypothetisch eine andere Person zu töten“. Aber sie hält gemeinnützige Arbeit für sinnvoll. Clear absolviert derzeit ein Freiwilliges Soziales Jahr.

Befürworter der Wehrpflicht in den Kommentarspalten

Gegner der Wehrpflicht sind auf Tiktok leicht zu finden. Junge Menschen, die sich in Videos auf der Plattform deutlich dafür aussprechen, sind allerdings weniger – zumindest für diejenigen, die neue Nutzer der App sind und nach den relevanten Videos suchen, also ohne vorhandenen Suchverlauf und gespeicherte Präferenzen. Der Algorithmus von Tiktok ist reaktiv und undurchsichtig, und es ist nicht vollständig nachvollziehbar, wem welche Videos gezeigt werden. Befürworter tauchen zunehmend in den Kommentarspalten auf, unter anderem unter einem der Videos, die Clear zu dem Thema gemacht hat. „Es geht nicht darum, Menschen zu töten, es geht darum, sein Land zu verteidigen und die Menschen zu schützen, die man liebt“, schreibt einer. Das sehen viele hier genauso.

Eine andere Tiktok-Nutzerin hält ihr Gesicht nah an die Kamera, während sie über die Debatte spricht. Sie sei für die Wehrpflicht, sagt sie. Vorausgesetzt, dies geht mit gemeinnütziger Arbeit einher. Dann muss die Verpflichtung sowohl für Männer als auch für Frauen gelten. „Man möchte etwas für die Gemeinschaft und dann etwas für die Gemeinschaft tun“, sagt sie. In der Bundeswehr lernt man nicht nur Disziplin und den Umgang mit Waffen, sondern auch, wie man Menschen hilft. Wenn sie sich in einem solchen Szenario entscheiden könnte, würde sie gemeinnützige Arbeit leisten, sagt sie. „Weil ich mit 18 einfach der größte Pazifist der Welt war“ und sie wohl ein Problem mit dem autoritären Ton in der Bundeswehr hätte.

Und was ist mit der Partei, die eine Reaktivierung der Wehrpflicht für wahrscheinlich notwendig hält? Bundeskanzler Friedrich Merz sagte in einem Interview mit Caren Miosga, er „vermutet, dass Freiwilligkeit allein nicht ausreichen wird“.

Das Social-Media-Team der CDU veröffentlichte auf dem offiziellen Parteiaccount einen kurzen Auszug aus dem Gespräch, in dem Merz über die Sicherheit jüdischer Kinder in Deutschland spricht. Das Team hat die Erklärung zur Wehrpflicht nicht veröffentlicht. Sowohl der CDU-Account als auch der der Bundeskanzlerin sind auf Tiktok kaum mit Videos zum Wehrdienstgesetz, geschweige denn zur Wehrpflicht, aufgetaucht.

Politiker bleiben im Allgemeinen vage. In einem Video betont Merz die Notwendigkeit eines wehrhaften und geeinten Europas sowie die wachsende Zahl der Bundeswehr. „Darüber bin ich froh“, sagt er.

In einem im April veröffentlichten Video plädieren Philipp Amthor und Serap Güler (beide CDU) für eine Stärkung der Landesverteidigung. In einem kurzen Video, das Ende September auf dem Konto der Kanzlerin veröffentlicht wurde, bezieht sich Merz konkreter auf den Militärdienst; Immerhin gab es zu anderen Videos viele besorgte Kommentare. „Wir werden den Wehrdienst in Deutschland nun zunächst wieder auf freiwilliger Basis ermöglichen“, sagt er. Die Bundeswehr braucht Personal und die Freiheit muss verteidigt werden. In den Kommentaren fordern viele Nutzer seinen Rücktritt.

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