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„Gegenvorschlag zur Einseitigkeit“? So sieht die Buchmesse Seitenwechsel in Halle aus

An diesem Wochenende wird in Halle an der Saale nicht nur über Bücher, sondern auch über Grenzen verhandelt. Die Grenzen dessen, was gesagt werden kann, was gelesen werden kann und was gedacht werden kann. Draußen, vor den Toren des Messegeländes, hinter dem erstmals die Buchmesse Seitenwechsel stattfindet, wird gegen eine „rechtsextremistische Buchmesse“ protestiert. Laut, mit Pfiffen und „Antifascista“-Rufen. Ein paar Meter weiter, im Eingangsbereich, stehen Hunderte Menschen in einer Schlange und warten darauf, eingelassen zu werden.

Zwischen Transparenten, die vor „Hass und Hetze“ warnen, und Ständen, die für „verdrängtes Wissen“ werben, entsteht ein seltsamer Resonanzraum: Angst trifft auf Neugier, Empörung auf Euphorie. Und irgendwo dazwischen liegt die Frage, was hier eigentlich verboten ist? Die Worte oder die Weltanschauungen? Und wenn alles, was auf dieser Messe gesagt und gedacht wird, verboten sein sollte, warum ist sie dann so überfüllt? Warum strömen Menschen aus ganz Deutschland hierher, um zu sehen, was eigentlich niemand sehen oder lesen sollte?

„Ein Forum für Bücher, jenseits des Mainstreams“

Die Alternative zur Frankfurter Buchmesse wird von der Dresdner Buchhändlerin Susanne Dagen organisiert. Offiziell versteht sich Seitenwechsel als Ort des „freien Denkens“. Laut der Website wollen sie „ein Forum für Bücher bieten, die abseits des Mainstreams entstehen“.

Was damit gemeint ist, wird vor Ort deutlich. Zu den Ausstellern zählen Götz Kubitscheks Antaios-Verlag, Compact-Magazin, Jungeuropa-Verlag sowie zahlreiche Kleinverlage, deren Titel in keinem anderen Buchhandel erscheinen, darunter Hydra Comic, die Husumer Verlagsgruppe und der Lepanto Verlag.

Besucher der Buchmesse „Page Change“ stehen vor den Toren des Messegeländes in Halle an der Saale.dpa

Neben kleinen Verlagen treten auch bekannte Namen auf, darunter der Langenmüller Verlag, der die Bestseller von Thilo Sarrazin herausgibt und zu dessen Autorinnen die BR-Journalistin Julia Ruhs zählt.

Weitere Stände, die übersichtlich am Eingang aufgestellt sind: Compact, dessen Magazin von der ehemaligen Innenministerin Nancy Faeser vorübergehend verboten wurde, und die rechtskonservative Wochenzeitung Junge Freiheit.

Kritiker sind der Meinung, dass es sich bei der Veranstaltung um eine „Buchmesse der Neuen Rechten“ handelt, eine Art intellektuelles Schaufenster von Autoren, die sonst nicht mehr auf große Bühnen eingeladen werden. Die Veranstalter sprechen von einem „Gegenvorschlag zur Einseitigkeit“. Das Spannungsfeld ist also klar: Für die einen ist der Seitenwechsel Ausdruck kultureller Vielfalt, für die anderen ein Versuch, ethnisch-nationalistische Positionen als literarische Normalität zu verkaufen.

Wer durch die überfüllten Gänge im ersten und zweiten Saal schlendert, erkennt schnell, dass es hier nicht nur um Literatur geht, sondern vor allem um Weltanschauungen. Auf einem Transparent ist zu lesen: „Tatort Kita: Der aufgeweckte Angriff auf unsere Kinder“. Auch eine App wird beworben, die „verdrängtes Wissen“ verspricht – Blitzwissen, ein digitales Kompendium geheimen Wissens.

Es gibt Bücher mit Titeln wie „War on Cash“, „Power and Domination“ oder „The True Story of the Fall of the Wall“. Der Tenor: Hier wird endlich gesagt, was Medien und Politiker verschweigen.

Zwischen diesen politisch-polemischen Titeln liegen Kinderbücher von Astrid Lindgren oder Janosch und Titel wie Ronja Räubertochter und Pippi Langstrumpf. Nichts Gefährliches, nichts Verbotenes. Und doch ist die Botschaft klar, gerade weil die meisten Bücher nicht im Buchladen um die Ecke zu kaufen sind: Hier gibt es etwas zu lesen, was andere nicht ausstehen können.

„Recht kommt davon, richtig zu sein“

Aber es geht nicht nur darum, zu lesen oder zumindest darüber zu diskutieren, welches Buch gut oder schlecht ist. Auf einer Hauptbühne und vier weiteren Veranstaltungsräumen finden Lesungen und Diskussionen statt. Der Ansturm ist enorm. Die Plätze sind schon lange im Voraus komplett besetzt, Dutzende säumen die Wände.

Am Samstag um 12 Uhr sitzt Prinzessin Gloria von Thurn und Taxis auf der Hauptbühne, neben ihr der Journalist Alexander Kissler von Nius. Die Themen: Migration, Geschlecht und die Frage, ob man heute rechts sein kann. „Recht kommt vom Recht“, sagt von Thurn und Taxis mit einem Lächeln im Gesicht. Das Publikum lacht und applaudiert.

Bekannte Persönlichkeiten, die auch das gesamte Messewochenende vor Ort sein werden: Uwe Tellkamp, ​​Vera Lengsfeld und Uwe Steimle. Das sind Namen, die einst zum Kulturbetrieb gehörten und die jetzt hier, in einer Messehalle in Halle, von Hunderten Menschen bejubelt werden, während vor den Türen Demonstrationen gegen „Rechtsextremisten“ stattfinden.

Organisatorin, Publizistin, Politikerin und Verlegerin Susanne Dagen.

Organisatorin, Publizistin, Politikerin und Verlegerin Susanne Dagen.Markus Waechter/Berliner Zeitung

Zwischen Verlags- und Comicständen verteilt die Anwaltskanzlei Mandic Flugblätter mit der Überschrift „Checkliste für Hausdurchsuchungen“. Dann neun Punkte, der erste lautete: „Ruhe bewahren.“ Der letzte: „Schreiben Sie ein Memorandum und legen Sie über Ihren Anwalt Einspruch ein.“ Ein Besucher kommentierte das Flugblatt gegenüber der Berliner Zeitung: „Ich hatte meine erste Hausdurchsuchung schon zu DDR-Zeiten. Mal sehen, ob das nach diesem Wochenende noch einmal passiert.“

Manche Besucher tragen Jacken, andere Kapuzenpullover, einer ein T-Shirt mit der Aufschrift „Meine deutsche Oma hatte das schönste Kopftuch.“ Die Leute trinken Bier, lachen und diskutieren. Fast alles hier ist Kritik an der Regierung, Kritik am System, Kritik an der Weltanschauung. Von der Impfpflicht über die Migrationspolitik bis zur „verfälschten“ Geschichtsschreibung: Die Themen sind vielfältig, das Grundgefühl bleibt jedoch dasselbe – betrogen worden zu sein. Von wem? Diese Frage beantwortet hier jeder für sich. Schweigend.

Der Lärm außerhalb der Halle ist inzwischen leiser geworden. Das provisorische Protestlager wurde gegen Mittag abgebaut. Was bleibt, sind ein paar Fotografen, die jeden fotografieren, der das Gelände betritt oder verlässt – ob er will oder nicht. Manche Besucher wenden sich ab, andere lachen.

Die Szene draußen scheint ein Kontrast zur Stimmung drinnen zu sein. Während im Saal Bücher signiert, Witze gemacht und Selfies gemacht werden, herrscht vor den Toren Misstrauen. Die Rollen sind verteilt: hier die Wachsamen, dort die „Tabubrecher“. Und doch haben beide Seiten mehr gemeinsam, als ihnen bewusst ist – die Überzeugung, das Richtige zu tun und die Überzeugung, dass sie für eine größere Wahrheit eintreten.

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