Der Himmel ist tiefdunkelblau, die Luft ist kalt, aber es weht kein Wind. Jeder Schritt der Mitarbeiter des Berliner Jobcenters hallt auf dem Asphalt wider, als sie sich dem Eingang des ehemaligen Hotels in der Fuggerstraße 13 nähern. Das Ziel hinter den Mauern: ein Wohnheim, zu dessen Bewohnern längst der Kontakt verloren ist. Es besteht der Verdacht auf Schwarzarbeit und Gefährdung des Kindeswohls.
Drinnen, im Foyer, kontrastiert die Wärme mit der morgendlichen Kälte draußen. Der Eingangsbereich mit Marmor- und Holzstufen ist in warmes Licht getaucht. Aber von Frieden kann keine Rede sein. Auf die fünf Etagen des Gebäudes sind 18 Mitarbeiter des Jobcenters verteilt, unterstützt von rund 20 Polizisten und zwei Kollegen aus der Familienkasse. Der Auftrag des Einsatzes: Beratung, Klärung offener Fragen und Verdachtsprüfung – Schwarzarbeit, Missbrauch von Sozialleistungen und Gefährdung des Kindeswohls.
Das Jobcenter setzt bewusst auf Überraschung
„Es ist das erste Mal, dass wir in dieser Form einen Einsatz in dieser Immobilie durchgeführt haben“, erklärt Elena Zavlaris, Geschäftsführerin des Jobcenters Tempelhof-Schöneberg und Sprecherin des Jobcenters Berlin, gegenüber der Berliner Morgenpost. Die heutige Operation sei ein besonderer Moment gewesen, sagte Zavlaris, bei dem man bewusst auf Überraschung gesetzt habe. „Normalerweise verschicken wir vorher Briefe, aber dieses Mal wollten wir tatsächlich so viele Leute wie möglich treffen“, erklärt sie. Seit rund fünf Wochen bereiten sich die Menschen auf diesen Tag vor.
Einer nach dem anderen klopfen die Mitarbeiter an die Türen der verschlafenen Bewohner, von denen einige Kinder haben. Mit Klemmbrettern in der Hand stellen sie Fragen: „Wie lange wohnen Sie schon hier?“ „Wie gefällt es Ihnen?“ „Welche Unterstützung brauchen Sie?“ Aber nicht jeder öffnet freiwillig. Einige sind geschlossen und behaupten, nur Urlauber zu sein. Andere reagieren genervt, manche wirken überfordert. Auf psychisch erkrankte Menschen wird besondere Rücksicht genommen. Die Gespräche stocken manchmal; Eine Übersetzungs-App hilft oft dabei, die Sprachbarrieren zu überwinden. Die rund 70 Kunden – viele aus Rumänien, Bulgarien, der Ukraine und Syrien – leben hier in prekären Verhältnissen: kleine Zimmer mit eigenem Bad, eine Gemeinschaftsküche unten im ehemaligen Frühstücksraum des „BB Hotel Berlin“.
Beziehungen zum Eigentümer schwierig
Während einige Bewohner mit der Unterkunft zufrieden sind, klagen andere über die psychische Belastung durch Lärm und die beengte Wohnsituation. Das Verhältnis zum Hausbesitzer scheint ambivalent: Während einige berichten, dass sie „jetzt gut miteinander auskommen“, sagen andere, dass „Druck ausgeübt“ wird. Konkreter wollen oder können sie dies jedoch nicht tun.
Elena Zavlaris, Geschäftsführerin des Jobcenters Berlin Tempelhof-Schöneberg, und ihre Mitarbeiter führen eine Ortsbesichtigung in einem Wohnheim in der Schöneberger Fuggerstraße durch. Ziel der Aktion war es, mit den Bewohnern in Kontakt zu treten, Unterstützung anzubieten und Hinweisen auf einen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen nachzugehen.
© FUNKE Photo Services | Jörg Carstensen
Davon lassen sich die Mitarbeiter des Jobcenters nicht abhalten. Gerade denjenigen im Wohnheim, die bisher nur wenige Stunden in der Woche arbeiten – zum Beispiel als Küchenhilfe oder Sicherheitsdienst – wird berufliche Unterstützung angeboten. Das langfristige Ziel: ein Job, der Sie unabhängig vom Jobcenter macht. „Wir wollen den Menschen die Hürde nehmen, zum Jobcenter zu kommen. Stattdessen kommen wir zu ihnen“, erklärt Zavlaris. Dieses Konzept der „Aufsuchenden Beratung“ wurde vor zwei Jahren in Tempelhof-Schöneberg erfolgreich eingeführt – ein Modell, das inzwischen auch andere Berliner Bezirke nutzen.
Verdacht auf Schwarzarbeit und Gefährdung des Kindeswohls
Doch nicht nur Ratschläge stehen heute Morgen auf der Tagesordnung. Auch die Polizei und die Familienkasse sind vor Ort. Gemeinsam prüfen sie Hinweise auf bestehende Verdachtsmomente. Dabei geht es unter anderem um unerlaubte Beschäftigung – also Schwarzarbeit. Es stellt sich auch die Frage, ob die Unterbringung den gesetzlichen Standards entspricht und ob Kinder in der Anlage möglicherweise nicht ausreichend geschützt sind.
„Wir sind eine soziale Agentur“, sagte Zavlaris. „Wir wollen Menschen beraten, Menschen in Arbeit bringen und Leistungen legal an diejenigen auszahlen, die unsere Unterstützung benötigen. Gleichzeitig gehen wir jedem Verdacht auf Leistungsmissbrauch und Betrug konsequent nach.“
Ein in Panik geratener Mitarbeiter
Während die Mitarbeiter des Jobcenters in den Fluren des Gebäudes ihre Fragen stellen, bietet der Frühstücksraum im Erdgeschoss eine andere Kulisse. Die ersten Bewohner – sichtlich verschlafen, einige im Schlafanzug – treffen hier ein, um die Angebote wahrzunehmen. Aber die Spannung bleibt spürbar. Eine Mitarbeiterin des Gebäudes erscheint, die Stimmung ändert sich: Sie wirkt nervös, fast panisch und fordert die Pressevertreter auf, das Gebäude zu verlassen.

Blick in einen Aufenthaltsraum in einem Wohnheim in der Schöneberger Fuggerstraße, während in dem Gebäude eine Ortsbesichtigung des Berliner Jobcenters stattfindet. Ziel der Aktion war es, mit den Bewohnern in Kontakt zu treten, Unterstützung anzubieten und Hinweisen auf einen möglichen Missbrauch von Sozialleistungen nachzugehen.
© FUNKE Photo Services | Jörg Carstensen
Ein Grund für diese Nervosität könnten die bekannten langfristigen Probleme auf dem Grundstück sein. Anwohner und Bezirksamt berichteten bereits in der Vergangenheit über die schwierigen Lebensbedingungen in dem Gebäude, das einst ein Hotel war und heute als Notunterkunft dient.
„Herausfordernd, aber notwendig“
„Uns ist es wichtig, Betrugsstrukturen zu erkennen und gezielt gegenzusteuern. Doch oft sind es die Menschen selbst, die Opfer solcher Strukturen werden“, betont Zavlaris. Im Rahmen der Aktion trafen die Mitarbeiter 19 Personen. Dabei ging es nicht nur um die Kontaktaufnahme: In zwei Fällen wurden Gespräche über Möglichkeiten der Stellenvermittlung geführt. Darüber hinaus wurden 15 Personen gezielt beraten – zum einen zu den Unterstützungsangeboten der Berliner Jobcenter, zum anderen zur individuellen Lebenssituation der Betroffenen.
Erhärten sich die Verdachtsmomente, werden die Fälle an das Zollamt weitergeleitet. Solche Einsätze seien herausfordernd, aber auch notwendig, um dort die richtige Hilfe zu leisten, wo sie am meisten gebraucht werde, fasst Zavlaris zusammen. Dieser Morgen auf der Fuggerstraße ist erst der Anfang.