Nach dem Massaker vom 7. Oktober tobte im Gazastreifen rund zwei Jahre lang Krieg. Ein Waffenstillstand schien kaum möglich. Mittlerweile ist es seit fast einem Monat in Kraft. Doch Vorfälle haben bereits mehrfach deutlich gemacht, wie fragil es ist.
Der vor einem Monat in Kraft getretene Waffenstillstand zwischen Israel und der islamistischen Hamas wurde von vielen Menschen in der Region mit großer Erleichterung aufgenommen. Doch für die rund zwei Millionen Einwohner des Gazastreifens ist eine Rückkehr zur Normalität noch in weiter Ferne.
Umm Ahmed Afana aus Khan Yunis wohnt bei Verwandten, nachdem ihr Haus während des zweijährigen Krieges beschädigt wurde. „Endlich können wir schlafen, ohne den Lärm der Luftangriffe zu hören, aber jedes laute Geräusch macht meinen Kindern immer noch Angst“, sagt die Mutter von vier Kindern.
„Es gibt Frieden an der Oberfläche, aber noch nicht in unseren Herzen. Wir beten nur, dass diese Ruhe lange genug anhält, damit wir von vorne beginnen können.“
Mehrmals brach beinahe erneut Krieg aus
„Einen Monat nach Beginn des Waffenstillstands befinden wir uns in einer sehr fragilen Situation“, sagte Michael Milshtein, ehemaliger Leiter der Abteilung für palästinensische Angelegenheiten beim israelischen Militärgeheimdienst. Seit dem 10. Oktober kam es zu mehreren Zwischenfällen, die beinahe zu einem erneuten Kriegsausbruch geführt hätten.
Bei Angriffen auf israelische Truppen, die weiterhin mehr als die Hälfte des Gazastreifens kontrollieren, wurden mehrere israelische Soldaten getötet. Israel greift weiterhin Ziele im Küstenstreifen an: Nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Gesundheitsbehörde wurden seit Beginn der Waffenruhe mehr als 240 Palästinenser getötet. Unter der Oberfläche brodelt der Konflikt weiter.
Was wurde bisher umgesetzt?
Wie vereinbart wurden am 13. Oktober die 20 lebenden Geiseln der Hamas freigelassen, darunter auch deutsche Staatsbürger. Im Gegenzug ließ Israel fast 2.000 palästinensische Gefangene frei. Doch die Übergabe der 28 Leichen, zu der sich auch die Hamas verpflichtet hatte, verlief entgegen der Vereinbarung schleppend.
Die Leichen von fünf Geiseln verbleiben im Gazastreifen. In Israel wird erwartet, dass die Proteste bis zur Rückgabe der letzten sterblichen Überreste andauern – man will niemanden zurücklassen.
Als Gegenleistung für die bisher übergebenen Leichen hat Israel die Leichen von 285 Palästinensern geschickt. Israel hat seine Truppen außerdem auf die sogenannte „Gelbe Linie“ zurückgezogen, die die Rückzugslinie der Armee innerhalb des Gazastreifens markiert.
Was ist der größte Knackpunkt?
Der Gaza-Friedensplan sieht auch die Entwaffnung der Hamas vor. Die Terrororganisation weist dies jedoch zurück. Im Gegenteil, so Experten, nutze sie den Waffenstillstand, um sich neu zu organisieren. Doch die Trump-Administration, die den Friedensplan vorgelegt hat, besteht darauf, in dem Konflikt als Vermittler aufzutreten.
Der Plan des US-Präsidenten ist konkret Donald Trump: Sobald alle Geiseln freigelassen sind, werden Hamas-Mitglieder, die sich zum friedlichen Zusammenleben verpflichten und ihre Waffen niederlegen, amnestiert. Die USA vertreten den Standpunkt, dass alles wieder passieren wird, wenn die Waffen nicht aufgegeben werden.
Laut Experte Milshtein sind die USA nun der Hauptakteur für die Zukunft des Gazastreifens. „Dieser Krieg endete nicht, weil Israel ihn wollte oder die Hamas nachgab, sondern weil Trump den Tisch zuschlug“, sagt er.
Trump ist eindeutig der Entscheidungsträger und der US-Präsident wird nicht zulassen, dass der Krieg erneut beginnt. „Israels Handlungsspielraum wird immer kleiner.“
Experte: Hamas dominierende Kraft im Gazastreifen
Nach dem Waffenstillstand gelang es der Hamas schnell, die Kontrolle in den von ihr kontrollierten Gebieten zurückzugewinnen, sagt Milshtein. Auch zwei Jahre nach Kriegsbeginn ist die Hamas die dominierende Kraft im Gazastreifen. Gegner innerhalb der Bevölkerung wurden massiv eingeschüchtert, beispielsweise durch öffentliche Hinrichtungen.
Für alle weiteren Schritte haben die USA in Israel ein Koordinationszentrum eingerichtet. Laut der New York Times sollten die USA darauf drängen, dass ihr Friedensplan durch ein Votum des UN-Sicherheitsrates und damit durch internationales Recht unterstützt wird.
Dazu gehört auch der Einsatz einer Internationalen Stabilisierungstruppe (ISF) zur Aufrechterhaltung der Ordnung im Gazastreifen. Ihre genaue Zusammensetzung ist jedoch noch unklar.
Die USA streben weitere Annäherungsabkommen in der Region an
Die Vereinigten Staaten streben auch nach Stabilität in der größeren Region. Laut Trump schließt sich auch das muslimisch dominierte Kasachstan in Zentralasien dem sogenannten Abraham-Abkommen an, das die USA vor Jahren initiiert hatten, um die diplomatischen Beziehungen zwischen Israel und mehreren arabischen Staaten zu normalisieren. Es unterhält bereits diplomatische Beziehungen zu Israel. Das ist also nur ein symbolischer Schritt.
Weitere Staaten sollten folgen, sagten die USA, allerdings sei noch nicht klar, ob beispielsweise auch Saudi-Arabien beitreten könnte.
Schwierige zweite Phase des US-Friedensplans
Trotz Verstößen gegen den Waffenstillstand hoffen die arabischen Vermittlerstaaten Katar und Ägypten, dass die zweite Phase des Friedensplans bald eingeleitet werden kann. Der katarische Ministerpräsident Mohammed bin Abdulrahman Al Thani betonte kürzlich, dass dazu ausdrücklich auch die Entwaffnung der Hamas gehöre. Hamas sei bereit, die Kontrolle über den Gazastreifen abzugeben, solange dies für alle Konfliktparteien gelte, sagte er.
Allerdings geht Experte Milshtein davon aus, dass die Hamas eine internationale Truppe mit starkem Mandat im Gazastreifen nicht akzeptieren würde. Eine alternative Zivilverwaltung etwa durch die Palästinensische Autonomiebehörde wäre aus Sicht der Terrororganisation kein Problem, sagt Milshtein. „Dies würde den Erhalt der Stärke der Hamas nicht beeinträchtigen.“
Der Experte geht zudem davon aus, dass die Organisation „niemals die Waffen niederlegen“ werde. Die Waffen seien „Teil der DNA der Organisation“. Allerdings ist ein Kompromiss denkbar, der dazu führen könnte, dass die Hamas nur noch auf „Angriffswaffen“ wie Raketen verzichtet.
Nach Angaben des ägyptischen Außenministers Badr Abdel-Atti konzentrieren sich die Bemühungen seines Landes darauf, das Leid der Bevölkerung in Gaza zu lindern. Darüber hinaus muss den Palästinensern eine realistische Perspektive auf ihren unabhängigen Staat gegeben werden. Die rechtsreligiöse Regierung des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanyahu lehnt dies jedoch strikt ab.
Wie geht es den Menschen in Gaza?
Nach Inkrafttreten des Waffenstillstands waren die Hilfslieferungen im Rahmen der Vereinbarung ausgeweitet worden, mit einem Ziel von 600 Lastwagen pro Tag. Nach Angaben des von der Hamas kontrollierten Medienbüros sind seit Beginn des Waffenstillstands rund 750.000 Binnenvertriebene nach Gaza-Stadt und in den Norden des Gazastreifens zurückgekehrt. Wegen der schweren Zerstörung lebten 80 Prozent von ihnen in Notunterkünften.
Ahmed Mansour betrieb vor dem Krieg, der mit dem Hamas-Massaker in Israel am 7. Oktober 2023 begann, ein kleines Lebensmittelgeschäft im Norden des Gazastreifens. „Der Waffenstillstand gab uns etwas Luft zum Atmen, aber unsere Realität hat sich nicht verändert“, sagt er. „Ich kann den Laden immer noch nicht wieder öffnen – es gibt die meiste Zeit keinen Strom und die Leute haben kaum Geld, um etwas zu kaufen.“
Redaktionelle Empfehlungen
Huda Salman, eine Lehrerin aus der Stadt Gaza, sagt: „Zum ersten Mal seit Monaten sind meine Schüler wieder im Unterricht. Einige Kinder zeichnen immer noch Raketen und Soldaten – so erinnern sie sich an den Krieg. Aber wenn ich sie im Unterricht lachen sehe, verspüre ich ein wenig Hoffnung.“ (dpa/bearbeitet von thp)
