Franziska van Almsick avancierte einst vom Wunderkind zum jungen deutschen Superstar. Der Hype damals, ihr Aufstieg – all das hat Spuren hinterlassen. Sie hat sich selbst verloren, wie sie sagt. Und entwickelte eine Essstörung. Sie spricht nun offen darüber.
Mitte und Ende der 1990er-Jahre ahnte noch niemand, wie es Deutschlands strahlender Sportheldin wirklich ging. Irgendwann wussten nur noch wenige Menschen in ihrem engsten Umfeld, wie sehr Franziska van Almsick zu kämpfen hatte. Darüber sprach sie erst nach ihrer Karriere. „Es gab eine Zeit, in der ich dachte, ich würde ertrinken“, erzählt der heute 47-Jährige der „Bild“ über diese Phase.
Die Berlinerin war 14 Jahre alt, als sie bei den Olympischen Spielen 1992 in Barcelona mit zwei Silber- und zwei Bronzemedaillen zur Landesfavoritin avancierte und zum ersten rein deutschen Sportstar wurde. Es folgten zwölf Jahre Spitzensport mit Höhen und Tiefen und schließlich das Comeback bei der Heim-EM 2002 in Berlin, als sie ihren eigenen Weltrekord über 200 Meter Freistil brach. Nach einem letzten, erfolglosen Versuch 2004 in Athen, ihren Traum vom Olympiasieg zu verwirklichen, beendete van Almsick ihre Karriere.
Es war 1996, als sie an einer Essstörung erkrankte. „Ich befand mich in einem Hamsterrad, in dem mir ständig gesagt wurde, was ich tun und was ich nicht tun sollte“, sagt sie in der ARD-Dokumentation „Being Franziska van Almsick“, die im September erschien. Es gab Tage, an denen sie fast nichts aß. Nach außen hin war sie weiterhin stark, doch im Inneren sah alles anders aus.
„Ich habe aufgehört zu essen. Zwei Salzstangen am Tag. Und dann stand ich im Wasser und merkte nach dem fünften Training: So geht das nicht“, erzählt sie im „Bild“-Interview: „Ich hatte keine Kraft mehr.“ Und: „Irgendwann wurde mir die ganze Aufmerksamkeit zur Last, weil es keinen Moment mehr gab, der nur mir gehörte.“
In der ARD-Dokumentation erzählt van Almsick, wie sie versucht hat, sich selbst zu helfen, damit sie niemandem davon erzählen musste. Sie schrieb auf, was sie aß – und neben zwei, drei Salzstangen standen nur „ein angebissener Apfel und fünf Gummibärchen“.
„Die Essstörung war für mich eine Art zwanghafte Kontrolle“
Als van Almsick sich 1997 bei einem Motorradunfall das Handgelenk brach, verschaffte ihr das eine dringend benötigte Auszeit. Sie konnte sich zurückziehen, ohne dass jemand misstrauisch wurde und neugierige Fragen stellte. 1998 begann sie schließlich mit der Therapie.
Als sie bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney wieder im Rampenlicht stand, wusste fast niemand von dem Kampf, den sie geführt hatte, und davon, dass es ihr gerade erst besser ging. „Als Heldin hat man keine Fehler – das dachte ich mir. Und als Heldin erzähle ich niemandem, dass ich tatsächlich ein großes Problem habe“, sagte sie kürzlich in einem WELT-Interview. „Es war schwierig, nach außen stark zu wirken, während ich innerlich das Gefühl hatte, alles sei zu viel für mich.“
Über den Auslöser ihrer Essstörung sagte sie: „Es lag nicht daran, dass ich mich nicht hübsch genug fühlte oder dass ich dachte, ich wäre zu dick – der Auslöser war meine Selbstwahrnehmung. Mangelnde Selbstliebe. Für mich war die Essstörung eine Art Kontrollzwang. Ich fühlte mich von anderen kontrolliert. Aber wenn ich aufhöre zu essen, dann treffe ich eine Entscheidung für mich selbst, und das kann nur ich treffen, niemand sonst. Das bist du in reiner Reinheit.“
Der ehemalige Spitzensportler lebt noch heute mit der Essstörung; es ist für sie zu einem Warnsignal geworden. Und sie spricht offen darüber, um das Bewusstsein zu schärfen.
Ihr Privatleben – van Almsick lebt mit ihrem Partner, dem Unternehmer Jürgen B. Harder, und den beiden Söhnen in Heidelberg – ist ihr heilig. Eine Folge des Hypes von gestern. „Es hat mich misstrauisch gegenüber Menschen gemacht“, sagte sie WELT, „und es prägt mich noch heute.“
