In der beschaulichen Lausitz findet eines der weltweit bedeutendsten Festivals für osteuropäisches Kino statt. Vom 4. bis 9. November fand die 35. Ausgabe des Cottbuser Filmfestivals statt, wobei „Osteuropa“ hier im weiteren Sinne verwendet wird: Mittel- und Südosteuropa, der Kaukasus, Zentralasien und Ostdeutschland zählen dazu.
In der Kategorie „Heimat/Domownja“ wurden Kurzfilme aus der Region gezeigt, die sich beispielsweise mit sorbischen Themen befassten. Oder mit Fremdenfeindlichkeit, wie der künstlerische Spreewald-Western „Hunting Party“ von Ibrahim Shaddad aus dem Jahr 1964. Der sudanesische Regisseur hatte den Film als Diplomarbeit an der Filmuniversität Babelsberg eingereicht. Darin wird ein schwarzer Arbeiter im Cowboy-Outfit Opfer einer rassistischen Meute. Der 43-minütige Schwarz-Weiß-Western besticht durch seine virtuosen Nahaufnahmen und den weitgehenden Verzicht auf Dialoge.
Zeitlose Parabel
Das Ergebnis ist eine zeitlose Parabel über den emotionalen Fremdenhass – leider auch heute noch sehr aktuell, insbesondere in der AfD-Hochburg Cottbus. Angesichts der weltweit wieder erstarkenden autoritären Tendenzen erwies sich auch „Beautiful Evening, Beautiful Day“ der kroatisch-montenegrinischen Regisseurin Ivona Juka als hochaktuell. Der Film, der im Wettbewerb den Hauptpreis als bester Spielfilm gewann, spielt im Jugoslawien der 1950er Jahre. Erzählt wird die Geschichte homosexueller Ex-Partisanen, die nach dem Kampf gegen die Nationalsozialisten im Zweiten Weltkrieg im staatssozialistischen Filmstudio Jugoslawiens Karriere machten. Doch ihre Werke wirken zu Regimekritisch und ihre Lebensentwürfe zu frei.
Höhepunkt des Programms war der Spielfilm „Zwei Staatsanwälte“ des in Deutschland lebenden ukrainischen Regisseurs Sergei Loznitsa, der bereits in Cannes gezeigt wurde. Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Georgi Demidow fängt meisterhaft die unheimliche Atmosphäre während des stalinistischen Terrors im Jahr 1937 ein, als systemtreue Menschen schnell selbst in der Folterzelle landeten. So ergeht es dem jungen Staatsanwalt Alexander Kornew (Alexander Kusnezow), der im Gefängnis seiner Stadt Brjansk Zeuge der Gewalt und Willkür des NKWD-Geheimdienstes wird und deshalb den Generalstaatsanwalt Andrej Wyschinski (Anatoli Bely) in Moskau aufsucht – eine fatale Entscheidung. Der Schriftsteller und Physiker Demidov wurde selbst Opfer der stalinistischen Säuberungen und verbrachte viele Jahre mit Warlam Schalamow im Gulag.
Natürlich: der Krieg
Natürlich war der russische Krieg gegen die Ukraine ein thematischer Schwerpunkt des Festivalprogramms. „Der letzte Prometheus von Donbass“ von Anton Shtuka wurde für einen Dokumentarfilm über das Wärmekraftwerk Kurachowe ausgezeichnet – das letzte, das die von der Ukraine kontrollierten Teile des Donbass noch mit Energie versorgte. Der Film zeigt, wie die Arbeiter versuchen, das Kraftwerk trotz anhaltender Raketenangriffe unter Einsatz ihres Lebens am Laufen zu halten.
Es sind apokalyptische Bilder eines Krieges, in dem die russische Seite versucht, den Widerstand der Zivilbevölkerung zu brechen, indem sie ihre Städte unbewohnbar macht. Am Ende müssen die Arbeiter aufgeben, während die russische Armee weiter vorrückt. Kurachowe steht jetzt unter russischer Besatzung.
Beschwöre die Kinder
Ein einzigartiges Dokument russischer Kriegspropaganda in Schulen ist der Film „Mr. Nobody Against Putin“ von David Borenstein und Pavel Talankin, der beim diesjährigen Sundance Film Festival den Sonderpreis der Jury gewann. Letzterer arbeitete bis zum Sommer 2024 als Lehrer mit Spezialisierung auf die Durchführung von Schulveranstaltungen in der tristen Stadt Karabasch im Ural, die durch Schadstoffe aus der Kupferfabrik so stark belastet ist, dass sie als eine der schmutzigsten der Welt gilt. Der junge, einsame Lehrer, der außerhalb seines Arbeitsplatzes kaum soziale Kontakte pflegt, freundet sich stattdessen mit seinen Schülern an. Zu seinen Aufgaben gehört auch die filmische Dokumentation der von ihm organisierten Schulveranstaltungen.

Der 24. Februar 2022 verändert alles. Ein neues Bildungskonzept des Kremls soll Kinder zum Krieg ermutigen. Talankin muss nun die patriotischen Lehren aufzeichnen und der Regierung Beweise für die Einhaltung der neuen Richtlinien vorlegen. Er möchte eigentlich aufhören, weil er versteht, dass er dadurch zum Propagandisten wird. Doch als er aus dem Ausland das Angebot erhält, seine Aufnahmen in ein Videotagebuch umzuwandeln, beschließt er, noch zwei Jahre weiterzumachen, bevor er Russland verlässt.
Denn durch seinen Job kann er einen einzigartigen Einblick in die Militarisierung in Bildungseinrichtungen bieten. Die meisten Lehrer erledigen ihre neuen Aufgaben pflichtbewusst, aber ohne besondere Begeisterung. Mit monotoner Stimme lesen sie den propagandistischen Unterrichtsinhalt von einem Blatt Papier vor, mit Ausnahme von Talankins Gegenspieler, dem Geschichtslehrer Pavel Abdulmanov. Er ist Mitglied der Regierungspartei „Einiges Russland“ und verbreitet die Propaganda mit ungewollt komischer Leidenschaft. Aufgrund der Sanktionen gegen russische Energiequellen würden sich die Franzosen bald „wie Musketiere“ auf Pferden fortbewegen, erklärt er seinen Schülern mit ernster Miene. Andererseits würden sie sich ohne russisches Gas und Öl schnell an die neuen Bedingungen gewöhnen, da sie bereits eine Vorliebe für Schnecken und Frösche hegen.
Granatenwurfwettbewerb
Mit der Zeit durchdringt Propaganda zunehmend den Schulalltag. Die Kinder marschieren, tragen Militäruniformen und müssen Briefe an russische Soldaten schreiben. Die Wagner-Gruppe stattet der Schule einen Besuch ab und es findet ein Granatenwurfwettbewerb statt. Währenddessen stirbt der ältere Bruder von Talankins Schülerin Mascha, der eingezogen wurde, an der Front.
Der Film ist ein wichtiges Dokument der aktuellen Militarisierung der russischen Gesellschaft, in der selbst Kinder zu Rädchen der Kriegsmaschinerie werden. Doch das Videotagebuch wirkt zeitweise künstlich – nämlich dann, wenn Talankin sich selbst und seine „Antikriegsstreiche“ in den Mittelpunkt stellt. So spielte er eines Morgens die von Lady Gaga gesungene amerikanische Hymne anstelle der obligatorischen russischen Nationalhymne.
Der Film wirft vor allem ethische Bedenken auf, da die Minderjährigen, die sich ihrem Lehrer anvertrauten, nicht wussten, dass die teilweise sehr privaten Aufnahmen von Partys auf der Datscha oder dem Besuch am Grab ihres gefallenen Bruders für einen Dokumentarfilm gemacht wurden. Im totalitären Russland kann dies Konsequenzen für die Beteiligten haben. Es ist überraschend, dass der Film das Problem in keiner Weise widerspiegelt.
