Das Fiasko um die „französische Brigade“ in der Ukraine geht in die nächste Runde. Nach Berichten über Desertionen, Missmanagement und militärische Fehler in der 155. mechanisierten Brigade der ukrainischen Armee hat Kiew nun Ermittlungen eingeleitet. Die staatliche Ermittlungsbehörde gehe den in den Medien dargestellten Vorwürfen von Amtsmissbrauch und Desertion nach, sagte Behördensprecherin Tatjana Sapian der Nachrichtenagentur AFP.
Paris weist Verantwortung für Probleme von sich
Diese Woche war bekannt geworden, dass es bei der von Frankreich ausgebildeten und ausgerüsteten 155. mechanisierten Brigade massive Probleme gibt. So warfen in der Ukraine unabhängige Militärexperten der politischen und militärischen Führung in Kiew Fehler bei der Aufstellung neuer Einheiten vor. Noch bevor die 155. Brigade an der Front eingetroffen sei, erklärte der Journalist Jurij Butussow, seien 1700 ihrer Soldaten desertiert – 50 davon bereits während der Ausbildung in Frankreich.
In der Aufstellungsphase seit März 2024 seien zudem 2500 Soldaten der Brigade zunächst zugewiesen, dann aber an andere Verbände abgeordnet worden. Das Brigadekommando habe mit seinen Soldaten in Frankreich kaum üben können. Als die Einheit dann mit nominell 5800 Mann in der Ostukraine nahe der Stadt Pokrowsk eingesetzt worden sei, habe es an Drohnen und Drohnenabwehr gefehlt. Die Folge seien hohe Verluste gewesen, schrieb Butussow. Präsident Wolodymyr Selenskyj, Verteidigungsminister Rustem Umjerow und Oberbefehlshaber Olexandr Syrskyj warf er mangelnde Organisation vor.
Ähnlich sieht es die ukrainische Abgeordnete Marjana Besuhla, Mitglied des Parlamentsausschusses für Verteidigung, Sicherheit und Geheimdienste. Sie kritisierte, dass die 155. Brigade von Kiew unkoordiniert an die Front geschickt worden sei. Sie bezeichnete die Einheit als „Zombie-Brigade“, die aus „PR-Gründen“ aufgestellt worden sei. „Wir brauchen nicht nur die Waffen, um Europa zu verteidigen, sondern auch einen Wechsel in der militärischen Führung und Unterstützung, um dies zu erreichen“, sagte Besuhla dem französischen Fernsehsender TF1.
Die „französische Brigade“ war ein Prestigeprojekt des französischen Präsidenten Emmanuel Macron, das er anlässlich des 80. Jahrestages des D-Days in der Normandie am 6. Juni angekündigt hatte. Damals erklärte er, die Einheit werde ein „wichtiger Faktor“ im Krieg in der Ukraine sein.
Auf Anfrage der ukrainischen Zeitung Kyiv Independent lehnte es das französische Verteidigungsministerium ab, einen Kommentar zu den laufenden Ermittlungen abzugeben. Gegenüber der französischen Zeitung La Voix du Nord hatte das Ministerium aber bereits Mitte Dezember die Verantwortung für Probleme in der 155. Brigade von sich geschoben: Es seien „die ukrainischen Streitkräfte, die die Auswahl der ukrainischen Soldaten dieser Brigade und die Steuerung der Ströme organisierten“, betonte das Verteidigungsministerium in Paris. „Es sind natürlich auch die ukrainischen Streitkräfte, die die Einsatzbedingungen auf ukrainischem Boden festlegen.“
Forderungen nach einer Reform der ukrainischen Militärführung
Ukrainische Experten führen das stetige Vorrücken der russischen Armee im Donbass 2024 nicht nur auf deren Überlegenheit zurück. Sie sehen auch Führungsversagen, taktische Fehler und mangelnde Koordination innerhalb der ukrainischen Armee. Militärnahe Journalisten und Blogger in der Ukraine zeichnen oft ein Gegenbild zu den offiziellen Lageberichten des Militärs.
Die Forderungen nach einer Reform der ukrainischen Militärführung werden immer lauter.