taz: Herr Banaszak, in zwei Wochen werden Sie Vorsitzender der Grünen. Hast du schon Angst?
Felix Banaszak: Furcht? Nein. Ich respektiere die Aufgabe. Aber ich bin auch dazu bereit.
taz: Ihre zukünftige Vorgängerin Ricarda Lang sagte kürzlich in einem Interview, dass sie aus Angst vor Angriffen nur sehr kontrolliert und geschmeidig gesprochen habe. Am Ende fühlte sie sich wie ein sprechender Roboter.
Banaszak: Ich finde diese Reflexion sehr hilfreich. Es ist auch ein Appell, sich nicht herunterziehen zu lassen. Das ermutigt mich, mir selbst treu zu bleiben: zu sagen, was ich denke, und nichts zu sagen, was ich nicht an mich selbst glaube.
Im Interview: Felix Banaszak
Die 35-jährige Duisburger Bundestagsabgeordnete will die Grünen künftig in einer Doppelspitze mit Reala Franziska Brantner führen. Der Wirtschaftspolitiker gehört dem linken Flügel an. Von 2018 bis 2022 war er Landesvorsitzender in NRW und von 2013 bis 2014 Sprecher der Grünen Jugend.
taz: Seit Ihrer Kandidatur klingen Sie vorsichtiger.
Banaszak: Meine Lokalzeitung schrieb gerade: „Banaszak verspricht: Ich werde den Leuten keinen Scheiß erzählen.“
taz: Schauen wir mal rein. Sie sehen sich als Linke. Was bleibt den Grünen noch übrig?
Banaszak: Für mich ist es heute etwas anderes, links zu sein, als es noch vor ein paar Jahren der Mainstream-Linke war. Es ist richtig, sich nicht einem imperialen Aggressor wie Wladimir Putin zu beugen, um Frieden zu schaffen. Dazu gehört auch, das angegriffene Land mit Waffenlieferungen zu unterstützen. Und ich kämpfe mit einem Teil der Linken, der den islamistischen Terror der Hamas verharmlost. Meine Linke stellt sich klar gegen Antisemitismus – und sieht das schreckliche Leid, das die Menschen im Nahen Osten erleben müssen.
taz: Und was ist mit den Grünen links?
Banaszak: Armut als ein soziales Problem verstehen, das angegangen werden muss. Akzeptieren Sie nicht einfach die wachsende Ungleichheit. Und es stellt sich die Frage, ob in einer Zeit, in der Hallenbäder und öffentliche Bibliotheken geschlossen werden, Menschen mit immer größeren Vermögen nicht stärker zur Verantwortung gezogen werden sollten.
taz: Das war auch der Ansatz von Ricarda Lang – und jetzt hat sie eingestanden, dass sie gescheitert ist.
Banaszak: So hart würde ich es nicht sagen. Bei der Ampel ist es nicht die Schuld der Grünen, dass wir die Kindergrundsicherung im Bundestag noch nicht verabschiedet haben oder dass man sich zu Beginn der Debatte um das Heizungsgesetz nicht auf soziale Unterstützung einigen konnte. Jetzt könnte man sagen: Die Grünen haben es nicht geschafft. Stimmt, noch nicht. Aber wir haben mehr erreicht, als es manchmal den Anschein hatte. Da haben wir noch einen weiten Weg vor uns: Wir müssen uns von dem falschen Bild befreien, dass wir distanziert sind und uns nicht für diese Fragen interessieren.
taz: Wähler aus der Mitte laufen vor Ihnen davon – und zugleich Stammwähler, denen die Grünen nicht mehr links genug sind. Was tun Sie dagegen?
Banaszak: Das Problem scheint mir darin zu liegen, dass uns manche Menschen nicht mehr vertrauen, dass wir trotz aller notwendigen Kompromisse tatsächlich nach mehr streben. Denn wir identifizieren uns stärker als unsere Koalitionspartner mit Kompromissen als notwendigem Teil der Koalitionsarbeit und haben nicht primär kommuniziert, was wir für dumm halten. Die Grünen werden auch künftig nicht die Opposition in der Regierung sein. Aber die Partei darf sich nicht als ausgelagerte staatliche Pressestelle verstehen. Sie muss deutlich machen, wofür sie weiterhin steht und kämpft. Zum Beispiel beim Klima, wo wir mehr erreicht haben als jede Regierung zuvor – und trotzdem wollen wir noch mehr. Weil es noch nicht genug ist.
taz: Viele linke Grüne, darunter auch Sie, hatten in den letzten Monaten die Sorge, dass die Partei unter Kanzlerkandidat Robert Habeck zu stark in die Mitte rutscht.
Banaszak: Eine Partei ist dann stark, wenn sie mit einer klaren Führung gleichzeitig ihre Vielfalt zeigt. Wenn wir die Mitte der Gesellschaft erreichen wollen, brauchen wir ein solides Fundament und auch die Menschen, die uns seit vielen Jahren zur Seite stehen und derzeit kämpfen. Die Grünen sind eine linke, progressive Partei, Punkt. Ich bin sicher, Robert Habeck teilt das.
taz: Im Juli haben Sie es Rheinische Post sagte: „Robert Habeck muss beweisen, dass er die Breite der Partei mitnehmen kann und will.“ Das klingt nach Sorge.
Banaszak: Das war meine Empfehlung, um das Projekt zum Erfolg zu führen. Und ich bin sicher, dass er genau das tun wird.
taz: Warum sehen Sie das jetzt anders?
Banaszak: Wir reden viel miteinander.
taz: Robert Habecks politisches Modell der Kompatibilität in alle Richtungen ist gescheitert. Manche Realos meinen, man müsse das Ganze einfach konsequenter machen. Also: mehr Zugeständnisse bei der Migration und mehr Vorsicht beim Klima, um die Menschen nicht zu verärgern.
Banaszak: Die Idee der Bündnispartei ist: Wir betreiben grüne Politik aus voller Überzeugung. Wir appellieren aber auch an diejenigen in der Gesellschaft, für die der Weg dorthin weiter ist. Ich halte diese Idee immer noch für richtig. Ich kann meiner Partei nicht empfehlen, ihr Programm auf der Grundlage des Abwehrkampfes gegen die gesellschaftliche Entwicklung zu entwickeln. Wir müssen die Mitte der Gesellschaft selbstbewusst definieren. Dass dies gelingt, haben wir bereits von 2018 bis 2021 bewiesen.
taz: Nehmen wir als Beispiel die Migration. Sie setzen eine Politik um, gegen die die Grünen vor einigen Jahren auf die Straße gegangen sind. Dennoch stehen Sie als diejenigen da, die alles blockieren. Wie wollen Sie die Deutungshoheit zurückgewinnen, was die Grünen sind?
Banaszak: Viele Menschen, die uns eigentlich nahe stehen, empfinden uns als zu kompromissbereit, während wir in der gesamten Gesellschaft als kompromisslose Ideologen gebrandmarkt werden. Das hat leider oft damit zu tun, dass wir die Vorurteile intern bestätigen. Wenn ein Teil meiner Partei fordert, dass wir uns endlich der Realität öffnen, unterstellen sie damit, dass wir bislang blind dafür waren. Und wenn andere sagen, die Grünen seien keine Menschenrechtspartei mehr, bestätigen sie die Kritik aus der Zivilgesellschaft. Mein Ansatz besteht darin, eine Politik der Differenzierung offensiv zu vertreten.
taz: Progressive sind weltweit in der Defensive. Was bedeutet das für die Grünen?
Banaszak: Mit Blick auf die US-Wahl bin ich weiterhin zuversichtlich, dass Kamala Harris gewinnen wird. Die US-Demokraten haben ihre Strategie geändert. Sie verkaufen sich gegenüber Trump nicht als das kleinere Übel, sondern bringen ihre eigenen Ideen vor. Man muss selbstkritisch sagen: Grüne und SPD haben sich zuletzt zu sehr als Bollwerk gegen die AfD beworben. Aber das ist noch keine überzeugende Antwort auf gesellschaftliche Probleme.
taz: Als Vorsitzender sind Sie eine Schlüsselfigur des linken Flügels. Im Moment ist die Lage nicht gut. In der Personaldebatte ist es Ihnen nicht gelungen, Sven Giegold, den Wunschkandidaten der Linkspartei, als Politischen Geschäftsführer zu gewinnen. Schwächt es dich, dass deinem Flügel die Kraft fehlt?
Banaszak: Ich möchte Vorsitzender der gesamten Partei werden. Genau wie Franziska Brantner übrigens. Wir werden unsere Politik so ausrichten, dass sich darin auch mein Flügel widerspiegeln kann. Das ist die Aufgabe eines jeden, der Verantwortung übernimmt.
taz: Manche auf dem linken Flügel sagen: Dass Sven Giegold nicht Geschäftsführer wurde, war Ihre erste Niederlage.
Banaszak: Entschuldigung, aber das ist Unsinn. Sven Giegold hat nie gesagt, dass er Geschäftsführer werden möchte. Er bewirbt sich nun um das Amt des stellvertretenden Parteivorsitzenden.
taz: Vier Wochen lang wurde darüber diskutiert, dass er Geschäftsführer werden möchte. Da es sich um ein Missverständnis handelt, hätten Sie es früher klären können.
Banaszak: Ich verzichte auf Spekulationen. Er kandidiert für den Bundesvorstand und darüber freue ich mich. Dies beantwortet die Frage. Insgesamt haben wir nun eine Konstellation gefunden, die die Breite der Partei abdeckt und starke politische Köpfe miteinander verbindet. Mir geht es gut damit.
taz: „Ich bin damit einverstanden“ – das sagte auch Markus Söder, als Friedrich Merz Kanzlerkandidat wurde.
Banaszak: Ich habe beschlossen, weniger über Herrn Söder zu reden als er über uns.
taz: Die Ampel steckt in der Krise, ein neues Papier von Finanzminister Christian Lindner wird von SPD und Grünen allgemein als Provokation gewertet. Wie sehen Sie das?
Banaszak: Ich habe keine Langeweile für solch ungeschickte Spiele.
taz: Kommt es zu Neuwahlen oder hält die Koalition bis zur Bundestagswahl im kommenden September?
Banaszak: Wenn ich das nur wüsste. Ich werde mich jedenfalls nicht aktiv für einen früheren Wahltermin einsetzen.
taz: Wenn die Koalition jetzt zerbricht: Wären die Grünen nach dem Wechsel an der Spitze überhaupt auf einen Wahlkampf vorbereitet?
Banaszak: Natürlich sind wir das. Aber wer seine Entscheidung auf den Fortbestand einer Regierung stützt und davon ausgeht, wann er den größten Vorteil für seinen Wahlkampf erwartet, sollte die Politik anderen überlassen.
taz: Zurück zur sozialen Gerechtigkeit: Für den Parteitag gibt es einen Antrag mit vielen Unterstützern, der eine Vermögensteuer und einen Mindestlohn von 16 Euro fordert. Gegen beide Punkte gibt es auch innerparteilichen Widerstand. Wie werden Sie abstimmen?
Banaszak: Ich nehme meine Verantwortung als Kandidat für den Parteivorsitz ernst. Deshalb werde ich keine Vorabentscheidungen treffen. Mein Ziel ist es, am Ende eine Lösung zu finden, auf die sich die große Mehrheit der Partei einigen kann.
taz: Aber man muss eine Position haben.
Banaszak: Ich werde das auf jeden Fall in der Debatte zur Sprache bringen.
taz: Jetzt klingst du wie ein sprechender Roboter.
Banaszak: Wer sich für ein solches Amt bewirbt, trägt nicht nur Verantwortung für sich selbst, sondern für die gesamte Partei. Das nehme ich ernst.
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