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Experten zu höherer Steuer
„Die Gas-Krise ist noch nicht vorbei“
Von Christina Lohner
19.09.2023, 19:05 Uhr
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Die Bundesregierung wird die Mehrwertsteuer auf Gas früher wieder anheben als geplant. Verbraucher müssen sich daher auf deutlich höhere Kosten einstellen. Und darüber hinaus drohen weitere Preissprünge.
Die CSU im bayerischen Wahlkampf spricht bereits von Wortbrüchen, und auch für Bundesfinanzminister Christian Lindner ist die Sache geritzt: Aus Kreisen seines Ministeriums heißt es, die gesamte Bundesregierung trage seine Pläne mit, die Mehrwertsteuer auf Gas schon ab Januar wieder von 7 auf 19 Prozent zu erhöhen – drei Monate früher als geplant. Marktexperten bewerten das Vorhaben unterschiedlich, eines aber steht fest: Die Zeit der Preiserhöhungen ist noch nicht zu Ende.
Gasmarkt-Experte Sebastian Gulbis sieht eine Abschaffung der Mehrwertsteuersenkung mitten in der Heizperiode äußerst kritisch: Rund 80 Prozent des Gasverbrauchs entfallen bei Haushaltskunden auf den Zeitraum Oktober bis März und davon mehr als die Hälfte auf Januar bis März, wie der Partner beim Energieberatungsunternehmen Enervis im Gespräch mit ntv.de erläutert. Eine höhere Mehrwertsteuer ab Januar würde somit einen erheblichen Teil des Verbrauchs im kommenden Winter betreffen. Die Regierung sollte nach Meinung von Gulbis bis März warten. „Der Zeitpunkt ist unglücklich, höhere Steuern ab Januar würden Haushalte mit niedrigem Einkommen empfindlich treffen.“
Denn zahlreiche Kunden werden auch Anfang nächsten Jahres noch in teure Verträge stecken, wie Gulbis betont – vor allem alle, die ihre Verträge in der Energiekrise abgeschlossen haben, auch zu hohen Preisen, deren Laufzeiten noch nicht zu Ende sind. Zwar greift bis Ende März möglicherweise noch die Gaspreisbremse, die Wirtschaftsminister Robert Habeck bis Ostern verlängern wird. Diese deckt den Preis für Privatkunden bei 12 Cent pro Kilowattstunde, allerdings nur für den sogenannten Grundbedarf, 80 Prozent des offiziellen Verbrauchs. Und wer einen günstigeren Tarif hat, würde die höhere Mehrwertsteuer auch beim Grundbedarf zu spüren bekommen.
„Anbieter werden höhere Steuern vollständig weiterreichen“
Das Ende der Mehrwertsteuersenkung bedeutet einen Preisaufschlag von durchschnittlich rund elf Prozent, bei einer vierköpfigen Familie mit einem Verbrauch von 20.000 Kilowattstunden 200 bis 300 Euro mehr pro Jahr. Die Spanne ist groß, weil Verbraucher zur Zeit sehr unterschiedliche Preise zahlen – ein Teil inzwischen weniger als die aktuelle Gaspreisbremse, bei vielen liegt der Arbeitspreis aber noch darüber. Auf der anderen Seite wird die Bilanzierungsumlage auf null gesetzt, sodass die Preissteigerung umgerechnet nicht elf, sondern etwa fünf bis sechs Prozent betragen würde. Allerdings fällt nur, dass die Anbieter diesen Wegfall an die Kunden weitergeben.
So oder so, Tobias Federico, Geschäftsführer des Beratungsunternehmens Energy Brainpool, hält den Preisaufschlag für verkraftbar, wie er im Gespräch mit ntv.de sagt. Zwar seien die Preise immer noch höher als vor Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine, inzwischen aber wieder stark gesunken. Neukunden erhielten aktuelle Angebote von 7 bis 9 Cent pro Kilowattstunde. Gulbis dagegen fände eine gezielte Förderung einkommensschwacher Haushalte am sinnvollsten, beispielsweise in Form einer Barzahlung wie in anderen Ländern.
Einig sind sich beide Marktkenner darin, dass die Anbieter die wieder höhere Mehrwertsteuer vollständig an den Verbraucher weitergeben werden – nicht nur an Neu-, sondern auch an Bestandskunden. „Steuern sind üblicherweise von Preisgarantien ausgeschlossen“, sagt Gulbis.
Verbraucher sollen weiter sparen
Einig sind sich Gulbis und Federico ebenfalls, dass der Wegfall der Mehrwertsteuersenkung nicht ausreicht, um Verbraucher zum Gassparen zu animieren. „Dazu müssen sie auf anderen Weg motiviert werden“, sagt Gulbis. Der Großteil hat seiner Einschätzung nach im vergangenen Winter nicht in erster Linie wegen des Geldes gespart, sondern um einen Beitrag gegen den drohenden Gasmangel und zur Emanzipation von russischem Gas zu leisten. In Federicos Augen ist das nach wie vor hohes Preisniveau allerdings Grund genug für die Verbraucher, weiterhin zu sparen.
Wie sich der Gaspreis im kommenden Winter weiterentwickelt, lässt sich schwer prognostizieren. Die Ausgangssituation ist mit immer mehr LNG-Terminals und prall gefüllten Gasspeichern gut. Doch ob auch ein neuer Preisanstieg oder sogar Mangel droht, hängt entscheidend von dessen Temperaturen ab. Und beim Verbrauch muss weiter gespart werden. „Die Gas-Krise ist noch nicht vorbei“, betont Gulbis.
Ab dem nächsten Frühjahr rechnet Federico mit Preisen von nur noch sechs bis acht Cent pro Kilowattstunde, da die Großhandelspreise weiter fallen würden. Nach Einschätzung von Gulbis wird der Markt allerdings auch in den kommenden Jahren volatil bleiben, erneute Preisspitzen seien nicht ausgeschlossen. Zwar dürften dann weltweit genug LNG-Terminals in Betrieb sein, sagt der Experte. Doch während hierzulande Flüssiggas vor Russlands Angriffskrieg nur eine Ergänzung zum Pipeline-Gas waren, „stehen wir jetzt stärker im Wettbewerb zum Weltmarkt“. Damit werden weltweite Entwicklungen stärkere Auswirkungen auch auf den europäischen Gaspreis haben. Eine Konjunkturerholung in China, Streiks in Australiens LNG-Industrie oder das Wetter in Südamerika könnten den Preis in die Höhe treiben – oder auch nach unten drücken.
„Der Markt wird volatil bleiben, wenn auch im Mittel auf niedrigerem Niveau“, prognostiziert Gulbis. Gegen dieses Risiko dürfte sich Deutschland kaum mit langfristigen Lieferverträgen absichern, weil Erdgas-Verträge über 2045 hinaus im Widerspruch zu den Klimaschutz-Zielen stünden. „Wir hängen derzeit immer mehr am LNG-Spotmarkt und sehen einen Mangel an Bereitschaft für Langfristverträge.“
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