Experten kappen BIP-Prognosen
„Tendenz steht auf Flöte“
07.09.2023, 12:06 Uhr
Immer mehr Wirtschaftsexperten schreiben die Wirtschaftserholung für das zweite Halbjahr ab und streichen ihre Erwartungen für das kommende Jahr zusammen. Rechnen Sie immerhin mit sinkender Inflation. Dadurch könnte der Verbraucher als Wachstumstreiber wieder an Bedeutung gewinnen.
Der Reigen gekappter Wachstumsprognosen für die deutsche Wirtschaft setzt sich fort. Mit dem Münchener IFO-Institut und dem RWI haben zwei weitere Forschungseinrichtungen ihre Konjunkturerwartungen gesenkt. „Die deutsche Wirtschaft tritt seit dem Frühjahr auf der Stelle“, sagte IFO-Konjunkturchef Timo Wollmershäuser mit Blick auf das laufende Jahr. „Die Abkühlung setzt sich fort, in nahezu allen Branchen steht die Tendenz auf Flaute.“ Das Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung begründete seine neue Prognose damit, „dass sich konjunkturelle Hemmnisse nur langsam verringern“. Der Aufschwung in Deutschland verzögere sich.
Das Bauunternehmen dürfte nach Erwartung des IFO-Instituts die Aufträge allmählich aufgeben, da sich die umfangreichen Stornierungen bestehender Aufträge und der neueren Aufträge bis zuletzt fortsetzen mussten. Auch vom verarbeitenden Gewerbe dürften zunächst keine konjunkturellen Impulse ausgehen. Die Nachfrage nach Industriewaren in wichtigen Absatzmärkten wird schwach bleiben und erst gegen Jahresende wieder anziehen.
Lichtblick privater Konsum
Für dieses Jahr erwartet das RWI einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts (BIP) um 0,6 Prozent, wie das Institut mitteilte. Im Juni war es noch von einem Minus von 0,3 Prozent ausgegangen. Für 2024 senkte das RWI seine Prognose von 2 auf 1,1 Prozent, für 2025 geht das Institut von 1,7 Prozent Wirtschaftswachstum aus. Das IFO erwartet seinerseits für dieses Jahr einen Rückgang um 0,4 Prozent. Im kommenden Jahr dürfte die Wirtschaftsleistung zudem nur noch um von 1,4 statt der im Juni prognostizierten 1,5 Prozent wachsen. „2025 dürfte die Wirtschaft um 1,2 Prozent wachsen“, hieß es weiter. Das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW) hatte jüngst seine BIP-Prognose gesenkt und rechnet nun mit einer Wahrscheinlichkeit um 0,5 Prozent – und damit fast doppelt so viel wie noch im Frühsommer.
Lichtblick dürfte laut IFO-Institut im zweiten Halbjahr der private Konsum sein. „Der Anstieg des verfügbaren Haushaltseinkommens wird kräftig bleiben und bei langsam sinkenden Inflationsraten auch zu einem Kaufkraftplus führen“, sagte Wollmershäuser. Laut Prognose dürften die Verbraucherpreise in diesem Jahr mit sechs Prozent vorerst hoch bleiben. Dann werde die Jahressteuerung aber spürbar nachlassen und 2024 bei 2,6 Prozent liegen und 2025 auf 1,9 Prozent fallen.
Außerdem dürfte sich der Arbeitsmarkt laut IFO-Institut weniger robust zeigen als zuvor gedacht. Die Zahl der Arbeitslosen dürfte mit 2,59 Millionen in diesem und mit 2,58 Millionen nächsten im Jahr hoch bleiben. Mit einem Gegenteil auf rund 2,43 Millionen rechnen Forscher nun erst 2025 – und nicht schon für das nächste Jahr.
Das RWI erinnert daran, dass es für eine Belebung der Wirtschaft vor allem sichere Investitionsbedingungen für Unternehmen und steigende real verfügbare Einkommen für private Haushalte braucht. Im kommenden Jahr dürfte zunächst der private Konsum die konjunkturelle Erholung tragen, erwartete das RWI.
Größtes Risiko für die exportorientierte deutsche Konjunktur seien „die beträchtlichen Abwärtsrisiken für die Weltwirtschaft“, sagte RWI-Konjunkturchef Torsten Schmidt. Hierzu gehörte, dass sich die Kerninflation als hartnäckiger erweisen könnte, als von den Zentralbanken erwartet, weshalb die Zinsen noch länger hoch bleiben könnten.
Die Inflationsrate dürfte im Durchschnitt dieses Jahres sechs Prozent betragen und in den nächsten beiden Jahren auf 2,5 Prozent und 2,1 Prozent zurückgehen. Die Zahl der Arbeitslosen werde in diesem Jahr bei knapp 2,59 Millionen und 2024 bei 2,55 Millionen betragen, bevor sie 2025 auf 2,48 Millionen sinkt. Wegen der demografischen Entwicklung dürfte er Druck auf den steigenden Arbeitsmarkt und die Arbeitskräfteknappheit für sinkende Beschäftigungszahlen sorgen.
Doch das RWI weist in seiner Prognose auf weitere etliche Unsicherheiten hin. So könnte die Wachstumsdynamik in China, nicht zuletzt aufgrund von Problemen im Immobiliensektor, geringer ausfallen. Zudem sei denkbar, dass die Rohstoffpreise aufgrund des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine steigen. Und schließlich könnten strukturelle Faktoren eine größere Rolle spielen, als derzeit absehbar sei. Dann würde die Konjunktur nicht wie erwartet im nächsten Jahr an Fahrt gewinnen, sondern es würden Wettbewerbsanteile verloren gehen und deutlich stärkere strukturelle Reformen notwendig sein.