Der Sturz Assads wurde von der syrischen Exilgemeinde in Deutschland mit Jubel begrüßt. In die Erleichterung mischen sich für die Politiker Zukunftssorgen. Außenministerin Baerbock warnte vor radikalen Kräften.
Viele Millionen Syrer mussten wegen des langanhaltenden Krieges ihre Heimat verlassen. Viele von ihnen suchten auch in Deutschland Zuflucht – Ende 2023 waren es rund 970.000 Menschen. Der Sturz von Machthaber Baschar al-Assad wird in der Exilgemeinde euphorisch gefeiert.
Gestern Abend fuhr eine Autokolonne mit jubelnden Menschen durch Berlin-Neukölln. Nach Angaben der Polizei beteiligten sich Personen „im mittleren dreistelligen Bereich“. Es gab keine besonderen Vorkommnisse. Auch heute noch gibt es in Berlin kleine Zusammenkünfte. Es seien bisher keine besonderen Vorfälle gemeldet worden, hieß es. Auf Fahnen war der Slogan „Freies Syrien“ zu lesen.
Für heute sind in mehreren deutschen Städten Kundgebungen angekündigt.
„Frieden ist schwieriger“
Hassan al-Aswad von der Syrischen Demokratischen Allianz rief seine Landsleute dazu auf, denen zu vergeben, die Teil des alten Systems waren, aber keine schweren Verbrechen begangen haben. Der Anwalt aus Daraa, Syrien, der heute in Hannover lebt, veröffentlichte ein Video, in dem er sagte, es sei gut, dass beim Vormarsch der Assad-Gegner keine staatlichen Einrichtungen zerstört worden seien.
Den Syrern stehe nun eine große Bewährungsprobe bevor, sagte Al-Aswad. Er sagte: „Krieg ist nicht einfach, aber Frieden ist schwieriger.“ Jeder, der schuldig ist, muss ein faires Verfahren erhalten. Das ist etwas, was den Syrern bisher vorenthalten wurde.
Sorge vor einer neuen, anderen Diktatur
Außenministerin Annalena Baerbock bezeichnete den Sturz Assads als „ersten großen Seufzer der Erleichterung“ und warnte zugleich vor einer erneuten Eskalation. „Das Land darf jetzt nicht in die Hände anderer Radikaler fallen – egal in welcher Gestalt“, warnte der Grünen-Politiker in einer Stellungnahme. Sie forderte die Konfliktparteien auf, für einen „umfassenden Schutz ethnischer und religiöser Minderheiten wie Kurden, Alawiten und Christen“ zu sorgen.
Nach Assads Flucht warnte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses im Bundestag, der SPD-Politiker Michael Roth, dass die „blutige säkulare Diktatur“ durch eine religiös-fundamentalistische Diktatur ersetzt werde. Syrien sei ein multiethnischer und multireligiöser Staat, schrieb Roth im Onlinedienst X. Das Land „verdient eine echte Chance auf Frieden, Versöhnung und Stabilität“.
Röttgen spricht von „großer Befreiung“
Der CDU-Außenpolitiker Norbert Röttgen ist optimistischer. Er beschrieb den Putsch als „eine große Befreiung für Land und Volk“. Dem Nachrichtenmagazin Spiegel sagte er, der große Gewinner sei die Türkei.
Erdogan wird versuchen, seinen Erfolg im Inland zu nutzen. Er hat ein großes Interesse daran, dass Syrien nicht auseinanderfällt, um die Rückführung der drei Millionen Syrer aus der Türkei zu erreichen.
Doch es ist noch zu früh, um zu sagen, wann syrische Flüchtlinge aus Deutschland zurückkehren können. „Aber es gibt Impulse für Stabilität. Europa muss jetzt auf die Türkei zugehen und eine Zusammenarbeit prüfen.“