
EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen wird die Brüsseler Mitarbeiter künftig an der kurzen Leine halten. Mit einem taktischen Meisterstück beschneidet sie die Macht ihrer Kommissare – und vergrößert zugleich ihre eigene. Auch Frankreich bleibt davon nicht verschont.
Im zwölften Stock des Brüsseler Berlaymont-Gebäudes, dem Sitz der EU-Kommission, arbeiteten in den vergangenen Jahren einige schillernde Persönlichkeiten. Der Niederländer Frans Timmermans, der im Alleingang den Verbrennermotor beinahe abgeschafft hätte, hatte dort sein Büro. Die Dänin Margrethe Vestager, die Amerikas Tech-Giganten mit Milliardenstrafen belegte. Der Franzose Thierry Breton, der sich mit Elon Musk anlegte. Die drei stahlen ihrer Chefin Ursula von der Leyen oft die Show.
Damit ist nun Schluss. Timmermans trat im vergangenen Jahr zurück, und Vestager wurde von ihrer Regierung nicht für die neue Kommission nominiert, die von der Leyen diese Woche vorstellte. Breton war eigentlich eine Selbstverständlichkeit, aber von der Leyen war von seinen Eskapaden so genervt, dass sie den französischen Präsidenten Emmanuel Macron um einen anderen Kommissar bat – das Brüsseler Äquivalent einer kaltblütigen Entlassung.
Nun wird es im Berlaymont langweiliger, so scheint es. Von der Leyen hat ein System voller Abhängigkeiten und Verantwortlichkeiten geschaffen, eine komplexe Bürokratie, in der niemand zu viel Einfluss gewinnen kann. Manche Kommissare berichten direkt an von der Leyen, andere an Vizepräsidenten. Zudem überschneiden sich Zuständigkeiten oft, sodass es mehr Streit geben dürfte. Das letzte Wort hätte dann die Chefin. Und so ist die neue Kommission vor allem eines: die Zementierung von von der Leyens Macht.
In der neuen Kommission sitzen viele gute Leute. Etwa der Slowake Maroš Šefčovič, der nun seine vierte Amtszeit antritt, ein Novum in der EU-Geschichte. Oder der Niederländer Wopke Hoekstra, dessen Pragmatismus in der EU-Klimapolitik viel bewegen kann. Doch keiner von ihnen dürfte eine Art Zweitregierung bilden – wie einst Breton – oder von der Leyen, in Brüssel auch „Königin Ursula“ genannt, öffentlich widersprechen. Die Frau hat sich all ihrer Kritiker entledigt. Ein machtpolitisches Meisterwerk.
Geteilte Macht ist halbe Macht
Selbst Frankreich, einer der wichtigsten EU-Staaten, hat nun weniger zu sagen. Bretons Nachfolger, Außenminister Stéphane Séjourné, ist für Wohlstand und Industrie zuständig – auf dem Papier ein wichtiges Ressort. Doch wie sieht die Realität aus? Séjourné wird die Generaldirektion „Grow“ leiten, die Abteilung der Kommission für den Binnenmarkt. Breton hingegen unterstand einst drei Generaldirektionen.
Séjourné wird auch für Staatshilfen zuständig sein, eine Herzensangelegenheit Frankreichs. Doch auch dafür wird die Spanierin Teresa Ribera zuständig sein, die neue Wettbewerbskommissarin. Geteilte Macht ist halbe Macht. All das bedeutet eine Niederlage für Macron – und einen Triumph für „Königin Ursula“.