Der Filmemacher und bildende Künstler David Lynch ist einer der wenigen sympathischen und künstlerisch interessanten esoterischen Spinner auf der Welt. Seit dem Ende des mittelbudgetären US-Autorenfilms irgendwann in den Nullerjahren dreht Lynch ganz besondere Kurzfilme und Videoarbeiten. Er engagiert sich auch für die Verbreitung der Lehren der „Transzendentalen Meditation“ und des „Yogischen Fliegens“. Und er macht auch Musik. All dies zusammen ergibt ein wunderbar verrücktes Universum, dessen Auswüchse und Erscheinungsformen, um beim Stil zu bleiben, nie die ästhetische Wirkung von Lynchs Spielfilmen und der „Twin Peaks“-Reihe haben, aber auch nie langweilig sind.
Das Album „Cellophane Memories“ ist Lynchs dritte Zusammenarbeit mit Sänger Chrystabell. Zu hören sind Ambient-Flächen, allesamt in einer sehr mystischen Stimmung, die Stimme verschwindet stets im Off oder wird auf wunderbar kontraintuitive Weise übereinander collagiert. Manchmal spielt David Lynch eine twangige Gitarre in Zeitlupe, und bei zwei oder drei Tracks (man kann sie in der Erinnerung nicht wirklich unterscheiden) klopft ein Studiomusiker sanft auf einem Schlagzeug herum. Diese Musik klingt noch schöner, wenn man weiß, dass hier einige Klangnachlässe des 2022 verstorbenen Komponisten Angelo Badalamenti verarbeitet wurden.
Wie im „Twin Peaks“-Soundtrack, den Lynch und Badalamenti gemeinsam mit der verstorbenen Sängerin Julee Cruise produziert haben, lauert auch diese Musik geheimnisvoll auf, gepaart mit der ätherischen, schwebenden Stimme, die immer wieder abdriftet und dann wieder zurückkehrt.
Die für das Album erdachte Geschichte geht entsprechend: David Lynch geht nachts durch einen Wald und eine Vision befällt ihn. Über den Wipfeln der hohen Bäume verwandelt sich das Licht des Mondes in die Stimme von Chrystabell, um ihm ein Geheimnis zu enthüllen. Wir wissen nicht, was es ist, aber das wäre noch schöner. Esoterik, die kein geheimes, sondern transparentes Wissen wäre, wäre per Definition keine Esoterik mehr.
Und „Cellophane Memories“ ist vor allem: esoterische Musik. Was wiederum darüber hinwegtäuscht, dass Lynch, wenn er keine filmische Psychoanalyse und/oder eine intuitive Analyse männlicher Gewalt mit der Kamera macht, auch sehr regressive Bilder produziert. In diesem Fall ist es die körperlose Frau, die über den Baumwipfeln schwebt und als Medium für das geheime Wissen eines männlichen Schamanen dient. Die Zusammenarbeit zwischen David Lynch und Chrystabell reiht sich in die lange Reihe körperlos klingender und auftretender Indie-Sänger ein, von den Cocteau Twins über Mazzy Star bis hin zu Joanna Newsom. Allesamt großartige Stimmen, aber sie verbindet das Versprechen von Sicherheit für den männlichen Zuhörer.
Auf jeden Fall klingen die Songs auf „Cellophane Memories“ trotz aller Ideologiekritik äußerst schön, und ihre regressiven Träume können niemand ändern.
Chrystabell & David Lynch: „Cellophane Memories“ (Sacred Bones / Cargo)
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