Drohungen und Gewalt gegen deutsche Politiker sind ein ernstes Problem. Doch mit einer Verschärfung des Strafrechts wird das Gegenteil des Gewünschten erreicht.
Sie lesen heute einen Auszug aus dem Wochentags-Newsletter „Der Andere Blick“ von Oliver Maksan, Redaktor im Berliner Büro der NZZ. Abonnieren Sie den Newsletter kostenlos. Wohnen Sie nicht in Deutschland? Profitieren Sie hier.
Die deutsche Öffentlichkeit ist zu Recht empört nach heftigen Angriffen auf Politiker der SPD, aber auch der AfD und der Grünen.
Baden-Württembergs grüner Ministerpräsident Winfried Kretschmann glaubt bereits den „Geruch von Weimar“ zu riechen. Gewalt gegen politische Gegner gehörte in der Endphase der ersten deutschen Republik bekanntlich zum Alltag. Davon ist die Bundesrepublik glücklicherweise noch weit entfernt. Dennoch sind die Vorfälle zweifellos beunruhigend. Deutschland ist zu einem politisch nervösen Land geworden.
Dass die am Dienstag tagenden deutschen Innenminister mehr Polizeischutz für Politiker und politische Veranstaltungen sowie eine Verschärfung des Strafrechts forderten, ist vor diesem Hintergrund nur auf den ersten Blick die richtige Antwort auf die Situation. Denn die Innenminister müssen aufpassen, nicht in Aktivismus zu verfallen.
Sachsen will nun die Gefährdung von Beamten und Mandatsträgern im Strafrecht gesondert regeln und eine entsprechende Initiative beim Bundesrat einbringen. Eine Verschärfung des Strafrechts ist jedoch nie eine Kleinigkeit und muss immer gut begründet werden. In diesem speziellen Fall ist es in zweierlei Hinsicht eine schlechte Idee.
Gefahr eines Gummiabsatzes
Da ist zum einen die rechtliche Ebene. Die Gefahr, einen abgesegneten Paragraphen zu formulieren, der der Demokratie letztlich mehr schadet als sie schützt, ist groß. Ein möglicher neuer Straftatbestand der „Beeinflussung staatlicher Entscheidungsträger“ birgt die Gefahr, die Grenze zwischen robustem, aber immer noch legitimem Protest und etwas Strafwürdigem zu verwischen.
Wenn Bürger vor den Privathäusern von Politikern protestieren, ist das natürlich problematisch. Damit verletzten sie die Privatsphäre, die auch Amtsträgern zusteht. Deshalb haben Gerichte solche Proteste in Einzelfällen bereits verboten, und das zu Recht.
Doch nicht jedes harte Wort gegen einen Politiker ist als subtile Drohung oder „politisches Stalking“ zu verstehen. Die Frage ist also, ob ein Gesetz hier tatsächlich ausreichend selektiv sein kann – oder ob es nicht zum Einfallstor für Einschränkungen der politischen Meinungsfreiheit wird.
Deutsche Politiker sind schon jetzt nicht wehrlos. Fälle wie die Angriffe auf den sozialdemokratischen Europapolitiker Matthias Ecke oder die Berliner Senatorin Franziska Giffey sind selbstverständlich Straftaten. Wer Menschen körperlich verletzt, bedroht, nötigt oder stalkt – dazu zählen natürlich auch Inhaber politischer Ämter und Mandate –, muss mit empfindlichen Strafen rechnen.
Neben rechtlichen Einwänden gegen die sächsische Initiative gibt es auch politische. Der Gesetzesvorschlag ist gut gemeint, könnte aber den gegenteiligen Effekt haben. Im schlimmsten Fall kann der Eindruck entstehen, dass Politiker sich Berufsrechte geben und eine zweistufige Justiz etablieren wollen. Die Ablehnung von Politikern, die eigentlich durch strengere Gesetze geschützt werden sollten, könnte zunehmen.
Auch Politiker warnen vor einer Verschärfung der Vorschriften
Führende Politiker erkennen diese Gefahr. Die SPD-Chefin Saskia Esken warnte nun vor einer „Art Privilegierung bestimmter Personen“. Der grüne Ministerpräsident Kretschmann warnt vor schnellen Entscheidungen. Er sagte, er sei nicht der größte Fan davon, das Gesetz sofort zu ändern, wenn etwas passiert. Beide haben Recht: Genau dadurch würde die Kluft zwischen Repräsentanten und Repräsentierten weiter auseinandergehen.
Diese Fragmentierung der deutschen Gesellschaft und der politischen Öffentlichkeit ist tatsächlich eine besorgniserregende Entwicklung. Zu viele Menschen identifizieren sich nicht mehr oder noch nicht mit dem deutschen Staat und seinen Vertretern. Das zeigt sich am Silvesterabend, wenn einige Migranten Polizisten und Rettungskräfte angreifen, und auch jetzt, wenn Politiker sowohl von links als auch von rechts angegriffen werden. Ein strengeres Strafrecht wird dieses Problem nicht lösen.