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Erster legaler Cannabisvertrieb in Deutschland

Für Daniel Keune ist es „ein historischer Tag“. Der etwa 60-jährige Mann steht vor einer stillgelegten Getreidemühle in der Nähe der Kleinstadt Ganderkesee bei Delmenhorst, etwa eine Stunde von Bremen entfernt. Vor dem hohen Gebäude versammelten sich rund 70 Menschen, mehr Männer als Frauen, mehr ältere als junge. Sie sind Mitglieder im „Cannabis Social Club Ganderkesee“ und warten auf ein Ereignis, das tatsächlich als historisch bezeichnet werden kann: die erste legale Abgabe von Cannabis an Privatkonsumenten, denen es aus medizinischen Gründen nicht verschrieben wurde. „Wir sind stolz und dankbar“, sagt Keune, „dass wir dank des Cannabisgesetzes diesen Weg nach mehr als hundert Jahren Verbot überhaupt noch gehen durften.“

Er ist Vorsitzender des Vereins und dankt zunächst den Mitgliedern für ihre „große Geduld und Hilfe“. Viele von ihnen haben mitgeholfen: von der Renovierung und Einrichtung der Anbau- und Lieferräume, der Installation des elektronischen Zahlungssystems, dem Pflanzen der Jungpflanzen, der Pflege, Ernte, Trocknung und Verpackung bis hin zum registrierten und begleiteten Transport der ersten Cannabis-Tüten aus dem Zuchthof zum Ausstellungsort an diesem Samstagnachmittag in der Mühle in Ganderkesee. Aus Angst vor Diebstahl oder Vandalismus hält der Verein den genauen Standort der Farm geheim.

Eine abgepackte Portion Cannabis in der Cannabis-Apotheke in GanderkeseeViktor Hedwig

Der Cannabis-Club in dem beschaulichen Städtchen, das bisher vor allem für seine Karnevalstradition bekannt war, erhält Anfang Juli als erster in ganz Deutschland eine Anbauerlaubnis; Nach Angaben der Landwirtschaftskammer Niedersachsen wurden im Land bis Ende Oktober insgesamt 42 Anträge gestellt, 16 wurden genehmigt und fünf bis auf Weiteres abgelehnt. Gründe für die Ablehnung sind nach Angaben der Kammer in der Regel nicht erfüllte Gesundheits- und Jugendschutzvoraussetzungen, etwa ein zu geringer Abstand zwischen der geplanten Abgabestelle und der nächstgelegenen Schule oder Kita oder dem nächstgelegenen Spielplatz.

Diese Voraussetzungen sind in allen Bundesländern gleich – doch in keinem anderen Bundesland wurden so viele Genehmigungen erteilt wie in Niedersachsen. Nach einer Zählung der dpa Ende August wurden bundesweit rund 280 Anträge gestellt, vereinzelt gab es auch Genehmigungen in Mecklenburg-Vorpommern, Berlin und Rheinland-Pfalz. In Bayern, wo bisher 28 Anträge eingingen, oder in Sachsen-Anhalt mit 13 Anträgen wurde jedoch noch kein einziger Anbauverband zugelassen.

Bis zu 25 Gramm pro Tag

Das vollständig „Konsum-Cannabis-Gesetz“ (KCanG) genannte Regelwerk erschließe „ein völlig neues Rechtsgebiet ohne bisher etablierte Verwaltungspraxis“, schreibt das Bayerische Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit FAZ zur Begründung; Aufgrund seiner vielen Genehmigungsvoraussetzungen erfordere es eine „umfangreiche und zeitaufwändige Prüfung“. Und: „Das LGL führt diese Aufgabe sehr sorgfältig aus.“

Die Mitglieder des CSC Ganderkesee haben all diese Schwierigkeiten überwunden. Sie zeichnen nun wie im Einwohnermeldeamt Wartezeichen, um die Reihenfolge festzulegen, in der sie Cannabis abholen. Mittlerweile können Sie bis zu 25 Gramm an einem Tag und insgesamt 50 Gramm pro Monat für rund zehn Euro pro Gramm für den Eigenverbrauch kaufen; Für Jugendliche gelten kleinere Mengen mit geringerem THC-Gehalt. Nach Angaben eines Mitglieds kostet das Cannabis ungefähr so ​​viel wie auf dem Schwarzmarkt. Der Preis wird aus allen Kosten ermittelt und auf die Anzahl der Mitglieder, die auf 500 begrenzt ist, umgelegt.

Mit einer kleinen braunen Papiertüte: Mitglied Giesela BiegallViktor Hedwig

Als Michael Jaskulewicz, der Erste der Wartenden, mit seiner kleinen braunen Papiertüte den Abgaberaum verlässt, klatschen die anderen laut und lange. Es sei ein „tolles Gefühl“, sagt er. Jaskulewicz ist Altenpfleger und Mitglied der ersten Stunde und erzählt, dass er früher oft vor seinen kleinen Söhnen Alkohol getrunken hat. „Ich hätte vor ihnen nie Cannabis geraucht, aber Alkohol war so normal und akzeptiert, dass ich nicht einmal darüber nachgedacht habe.“ Heute wünscht er sich, dass die Gesellschaft über Alkohol und Zigaretten genauso kritisch denkt wie über Cannabis.

Viele sind erleichtert

Einige Leute sagten heute Nachmittag etwas Ähnliches. Viele der anwesenden Clubmitglieder beschreiben sich selbst als Wochenendkiffer, die statt Alkohol Cannabis zum Entspannen konsumieren – und das für deutlich gesünder halten. „Cannabis gehört in den Körper“, behauptet ein jüngerer Mann, der die Szene ruhig beobachtet; Dies wird daran deutlich, dass es deutlich langsamer abgebaut wird als Alkohol. Ein anderer erklärt, dass er Alkohol einfach nicht verträgt, Cannabis aber schon. Viele sind erleichtert darüber, dass sie sich nicht länger verstecken müssen. „Ich sehe erst jetzt, wie viele Leute Gras rauchen, an das ich nicht einmal gedacht hätte. Das haben sie erst seit der Legalisierung zugegeben“, sagt einer.

Mit triumphalen Gesten, Gejohle und Jubel halten sich alle an diesem Tag auffällig zurück. Es gibt keine Siegeszeichen, niemand holt lachend das Zeug aus der Tasche. Der Vereinsvorsitzende, der Präventionsbeauftragte und der Jugendschutzbeauftragte haben ihre Leute sorgfältig informiert: „Werbung“ für den Konsum und konsumförderndes Verhalten sind gesetzlich nicht zulässig; Aus Vorsichtsgründen wurden heute nicht einmal Jugendliche im Alter zwischen 18 und 21 Jahren eingeladen.

Für die Cannabisverteilung werden Wartekarten verteilt.Viktor Hedwig

Im „befriedeten Bereich“, dem Abgaberaum mit kugelsicherem Abgabeschalter, ist das Filmen und Fotografieren nicht gestattet. „Wir hatten viel Ärger mit der Anbaugenehmigung und viele Diskussionen, wir wollen heute nicht alles ruinieren“, sagt Keune.

Überhaupt nimmt der Vorstandsvorsitzende und gelernte Elektrotechniker die Vorschriften offenbar sehr ernst, und das nicht nur aus der Not heraus. Denn es hat eine Mission, sozusagen eine Weißmarktmission: „Jedes Gramm, das wir hier legal verkaufen, ist ein Gramm weniger auf dem Schwarzmarkt, nicht gestreckt und nicht kontaminiert.“ Den Schwarzmarkt zu verdrängen oder zumindest zurückzudrängen, ist das Ziel der Legalisierung, worüber sich hier alle so sehr freuen. Doch solange es nur noch wenige Anbaugenehmigungen gebe, sei dieses Ziel noch in weiter Ferne, sagt Keune.

Er macht sich aber auch keine Illusionen über die Dimensionen, wenn es irgendwann so viele Vereine wie Anmeldungen gibt. „Wir können das nicht alleine schaffen“, sagt Keune. Dazu bedarf es auch der zweiten Säule des Gesetzes, wonach kontrollierte Cannabis-Läden in „Modellregionen“ eröffnen sollen. Bis dahin helfen er und seine Leute dabei, zwei neue Clubs in der Gegend zu gründen – für die 1.000 Menschen, die noch auf der Warteliste stehen.

https://www.faz.net/aktuell/politik/inland/social-clubs-erste-legale-cannabisabgabe-in-deutschland-110087048.html

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