Deutschland ist EU-Spitzenreiter beim Ausbau von Solaranlagen – auch im privaten Bereich. Doch was tun mit überschüssigem Strom? Ein neues Gesetz ermöglicht nun den Verkauf an Nachbarn.
8.000 Kilowattstunden Strom pro Jahr – Matthias Tholes Familie verbraucht deutlich mehr als die meisten Haushalte in Deutschland. In seinem Haus im niedersächsischen Bakum leben drei Generationen. Zwei riesige Solarpaneele auf dem Dach decken ihren Strombedarf.
Die Anlagen produzieren 20.000 Kilowattstunden pro Jahr – damit könnte Matthias Thole zusätzlich zu seiner eigenen drei Familien versorgen. „Viele meiner Nachbarn könnten den Strom wirklich gebrauchen. Und ich möchte ihn ihnen günstig verkaufen“, sagt er.
Mehr als 70 Prozent des Strombedarfs über Energy Sharing
Matthias Thole bedeutet Energie teilen. Die Idee ist einfach: Wer zu viel Strom produziert, soll den Strom einfach mit Nachbarn teilen und über den Preis mitbestimmen können.
Dafür gibt es unterschiedliche Modelle: von lokalen Stromgemeinschaften bis hin zum experimentellen bundesweiten Stromhandel. Laut einer Studie der Deutschen Energie-Agentur könnte die Energieteilung – je nach Modell – bis zu 73 Prozent des gesamten Strombedarfs in Deutschland decken.
Energiewende: „Strom ist wie ein Apfelbaum“
Eine Energieteilung zwischen Nachbarn ist derzeit jedoch nicht zulässig. Stattdessen gilt in Deutschland: Wenn Solareigentümer ihren Strom verkaufen, werden sie zum Stromlieferanten – mit Verträgen, Bilanzen und Liefergarantie.
Allerdings ist die Gemeinde Bakum bereits einen Schritt weiter. Oberbürgermeister Tobias Averbeck (CDU) will seine Gemeinde völlig unabhängig machen. „Wir haben im Ukraine-Krieg gesehen, wie schnell Dinge passieren können“, sagt er.
Bakum hat bereits im Rahmen eines Pilotprojekts die gemeinsame Nutzung von Energie getestet. Das Ergebnis: Energy Sharing könnte den gesamten Strombedarf der Gemeinde kostengünstig decken. Von diesem Strom sollen alle Bürger profitieren, sagt Averbeck: „Wenn ich zu viele Äpfel auf meinem Apfelbaum habe, gebe ich sie auch meinen Nachbarn. Genau so wäre es mit Strom möglich.“ Er kämpft deshalb für eine Gesetzesänderung.
Neuer Gesetzentwurf: Energieteilung ab 2026 möglich
Auf EU-Ebene gibt es bereits eine Richtlinie, die eine Energieteilung vorsieht. EU-Bürger sollen besser vor Stromkrisen geschützt werden und sich aktiv an der Energiewende beteiligen.
Ab Juli 2026 soll das Gesetz in der gesamten Europäischen Union umgesetzt werden. Jetzt muss also auch Deutschland handeln. Der Bundestag berät daher derzeit über einen neuen Entwurf zum Energiewirtschaftsgesetz (EnWG).
Die Energieökonomin Claudia Kemfert vom Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin) sieht großes Potenzial für die gemeinsame Nutzung von Energie, insbesondere in Deutschland. Laut Statistischem Bundesamt produzierte Deutschland zuletzt 31 Prozent des gesamten Photovoltaikstroms der EU. Auch Solarstrom machte nach Angaben des Fraunhofer-Instituts im ersten Halbjahr 2025 rund 19 Prozent der gesamten deutschen Stromproduktion aus. „Energy Sharing ist ein notwendiger Schritt, wenn wir unseren Strom künftig digital und effizient nutzen wollen“, sagt Kemfert.
Italien und Österreich bieten Orientierung
Der deutsche Gesetzentwurf soll es künftig ermöglichen, überschüssigen Strom mit der eigenen Gemeinde zu teilen. In Italien und Österreich gibt es bereits funktionierende Energie-Sharing-Konzepte. Beide Länder sehen sogenannte Energiegemeinschaften vor, die vom Staat durch Subventionen gefördert werden.
Das im Bundestag diskutierte Gesetz sieht vor, dass insbesondere Privatpersonen, Kleinunternehmen und Kommunen die Gründung von Energiegemeinschaften ermöglichen dürfen. Voraussetzung für die Teilnehmer ist, dass sie nicht im Energiesektor tätig sind.
„Eins Win-Win-Situation“
Langfristig könnte Strom durch den direkten, lokalen Handel günstiger werden. Verkäufer und Käufer bestimmen gemeinsam den Strompreis – möglichst unabhängig von internationalen Krisen und Energiekonzernen. „Eine Win-Win-Situation für beide Seiten“, sagt Bürgermeister Tobias Averbeck.
Den Reststrom decken die klassischen Stromversorger mit Energy Sharing – zum Beispiel an Tagen mit wenig Sonne oder Wind. Dies ist ein weiterer Vorteil der Rechnung für Verbraucher: Sie müssen sich keine Sorgen machen, an solchen Tagen keinen Strom liefern zu können.
Bundesrat und Forscher kritisieren den Gesetzesentwurf
Der deutsche Gesetzentwurf lässt allerdings offen, wie genau die Energieteilung funktionieren soll. Anders als in Italien und Österreich werden keine finanziellen Zuschüsse gewährt.
Das bedeutet, dass sich die Energieteilung für die meisten Solarbesitzer noch nicht lohnt. „Ohne finanzielle Anreize bleibt es ein Hobbyprojekt einiger weniger Privatleute“, sagt Louisa Wasmeier von der Forschungsstelle für Energiewirtschaft (FfE).
In einer Stellungnahme zum Gesetzesentwurf fordert der Bundesrat, dass die Teilnehmer einer Energiegemeinschaft finanziell entlohnt werden. Es besteht die Befürchtung, dass das Gesetz ansonsten so unattraktiv und unklar wäre, dass potenzielle Investoren davor zurückschrecken würden.
„Energieteilung muss funktionieren“
Solarbesitzer Matthias Thole aus Bakum ist zuversichtlich. Er spart bereits 200 Euro im Monat, weil er seinen Strom verkauft. „Durch die Energieteilung bekomme ich noch mehr Geld für meinen Strom und tue mit einem fairen Preis auch meinen Nachbarn etwas Gutes.“
Auch der Bürgermeister von Bakum unterstützt das Gesetz weiterhin. Damit die Energieteilung funktioniert, braucht die Bundesregierung jetzt eine klare Vision und Zukunftssicherheit.
