Der zweitreichste Mann der Welt macht Werbung für eine rechtsextreme, teils antisemitische, deutsche Partei – ausgerechnet in der Zeitung eines Medienkonzerns, der sich den besonderen Schutz Israels und des Judentums auf die Fahnen geschrieben hat. Die Redakteurinnen und Redakteure des Axel-Springer-Verlags setzen sich für das „Herbeiführen einer Aussöhnung zwischen Juden und Deutschen“ ein; das steht sogar in ihren Arbeitsverträgen.
Irgendwas passt hier gar nicht zusammen.
Wie schaffte es Elon Musks Wahlpropaganda für die AfD in die „Welt am Sonntag“? Das fragen sich seit dem Wochenende nicht nur die Spitzen der Bundespolitik und der bundesdeutsche Medienbetrieb.
In einem Gastbeitrag in der „Welt am Sonntag“ hatte Musk, der den designierten US-Präsidenten Donald Trump berät und ihm nicht von der Seite weicht, behauptet, nur die AfD könne Deutschland davor bewahren, „ein Schatten seines früheren Selbst“ zu werden. Als den „letzten Funken Hoffnung für dieses Land“ bezeichnete er die Partei von Alice Weidel.
„Welt“-Redaktionsausschuss warnte vor Veröffentlichung
Die Beobachtungen der AfD durch den Verfassungsschutz sowie der von ihr geschürte Hass kümmern Musk nicht. „Denjenigen, die die AfD als extremistisch verurteilen, sage ich: Lassen Sie sich von dem ihr angehefteten Label nicht beirren“, schreibt der Unternehmer und Tesla-Gründer.
Der Abdruck des Gastbeitrages von Musk hat offenbar bereits vor Heiligabend eine heftige Kontroverse innerhalb der Redaktion ausgelöst. So habe der Redaktionsausschuss schon damals vor der Veröffentlichung gewarnt, schreibt der Branchendienst „Medieninsider“. Die Chefin des Meinungsressorts von „Welt“ und „Welt am Sonntag“, Eva Marie Kogel, kündigte nach Erscheinen des Artikels.
Laut „Medieninsider“ hatte es in der Redaktion „tagelange hitzige Konferenzen und Krisentreffen zwischen Chefredaktion und Redaktionsvertretern“ gegeben, nach denen viele gehofft hätten, der Beitrag würde nicht erscheinen. „Denn für viele ist ein Punkt erreicht, an dem nicht nur Grenzen überschritten werden, sondern an dem sowohl journalistische Prinzipien, als auch Werte von Unternehmensgründer Axel Springer verraten werden.“
Mehr als 40 Redakteurinnen und Redakteure der „Welt“-Gruppe, darunter auch Ressortleiter und prominente Redaktionsmitglieder aus der Chefredaktion, sollen sich intern von dem Musk-Artikel distanziert oder dessen Erscheinen abgelehnt haben.
Ein Aufsichtsrat sagt: Ich war’s
Die Initiative, Musk für den Gastbeitrag anzufragen, sei auf die damalige „Welt“-Chefredakteurin Jennifer Wilton zurückzuführen, berichtete „Medieninsider“. Mittlerweile gibt es hierzu jedoch eine neue Spur. An Neujahr meldete sich bei X das Springer-Aufsichtsratsmitglied Martin Varsavsky zu Wort und bekannte, er sei der Organisator des Musk-Beitrages gewesen.
Er habe beobachtet, dass viel darüber spekuliert werde, wer das Stück initiiert habe, schrieb Varsavsky am 1. Januar. „Als Freund von Elon und Mitglied im Aufsichtsrat von Axel Springer“.
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Varsavsky ist Argentinier und hat sich als umtriebiger Unternehmen einen Namen in der Internet- und Kommunikationsbranche und im Gesundheitssektor gemacht. Laut Darstellung seiner Springer-Aufsichtsratsvita hat Varsavsky in den letzten 30 Jahren acht Unternehmen in den Vereinigten Staaten und Europa gegründet.
2015 gründete Varsavsky die heute größte Gruppe von Fertilitätskliniken in den USA, 2017 folgte die Firma Overture Life, die sich auf die Automatisierung des Embryologielabors konzentriert.
Im Jahr 2018 erfolgte demnach mit Varsavskys Unternehmensgründung Goggo Network ein Startup-Unternehmen, das bei der Entwicklung des rechtlichen und technischen Rahmens für Flotten autonomer Fahrzeuge unterstützt und den Einsatz dieser Flotten plant. Diese Gründung wurde von Axel Springer unterstützt, dessen Aufsichtsrat der 64-Jährige seit 2014 angehört.
Er sehe „viele Spekulationen darüber, wie dieser Artikel zustande kam“, schrieb Varsavsky auf X und lieferte folgende Erklärung: „Als Freund von Elon und Aufsichtsratsmitglied von Axel Springer sah ich seine öffentliche Unterstützung für die AfD bei X als eine Gelegenheit für ihn, seine Ansichten in einer durchdachten und detaillierten Weise zu erläutern“, schreibt Varsavsky. Er habe sich dann an „Welt“-Chefredakteurin Jennifer Wilton gewandt. Diese habe „nach reiflicher Überlegung“ zugestimmt. Daraufhin habe er sich an Elon Musk gewandt und ihm das Angebot gemacht, auf diese Weise seinen Standpunkt (zur AfD) zu verdeutlichen.
„Ihm gefiel die Idee, er schrieb den Artikel, und Die Welt veröffentlichte ihn“, fasst Varsavsky zusammen. Auf kürzestem Dienstweg vom Multimilliardär direkt ins Blatt.
Musks Freunde sitzen hoch oben
So könnte es tatsächlich gewesen sein. Ein schaler Beigeschmack bleibt dennoch. Denn nicht nur Martin Varsavsky ist offenbar ein enger Musk-Freund. Auch Axel Springer-CEO Mathias Döpfner kennt Musk gut. Döpfner gilt als Bewunderer des Tech-Milliardärs, Musk war Gast auf Döpfners 60. Geburtstag und der deutsche Manager hatte sich Musk 2022 angedient, um beim Umbau von X (damals noch Twitter) behilflich zu sein.
In der „Welt“-Redaktion halten es die Beschäftigten nach Informationen von Tagesspiegel und „Medieninsider“ für ausgeschlossen, dass der Fall ohne Döpfners Zutun stattgefunden haben soll. Nach Informationen des „Spiegel“ soll es Springer-Chef selbst gewesen sein, der den Musk-Beitrag organisiert hat. Demnach soll auch Döpfner Musk kurz vor Weihnachten aufgefordert haben, einen Post auf der Plattform X näher auszuführen. In diesem hatte Musk erklärt, nur die AfD könne Deutschland retten. Döpfner hatte in der Vergangenheit schon in die Berichterstattung der Springer-Medienmarken „Bild“ und „Welt“ eingegriffen.
Am Ende bleibt das Bild des Medienkonzerns Axel Springer, an dessen Unternehmensspitze und im Aufsichtsrat enge Freunde von Elon Musk sitzen, die dessen AfD-Propaganda im Hause lancieren. Denn: Kann eine Chefredakteurin ablehnen, wenn ein Aufsichtsratsmitglied anruft und einen Gastbeitrag seines Freundes – der zufällig der zweitreichste Mann der Welt ist – vorschlägt? Sicher ist: Ein Großteil der Redakteurinnen und Redakteure der „Welt“ war offensichtlich gegen das Erscheinen des Musk-Beitrags. Doch Musks Freunde sitzen hoch oben.
Für Springer hat sich der Musk-Artikel gelohnt – Kritik von Journalistenverband
Im Interview mit der FAZ sagte der neue „Welt“-Chefredakteur Jan Philipp Burgard zu Musks Gastbeitrag: „Wir wollen Debatten anstoßen, wir stehen für Klartext, Kontext, Meinungsfreiheit.“ Das Wort Transparenz fällt in diesem Dreiklang nicht. Burgard beteuert zudem: „Die Entscheidung, den Text von Elon Musk zu drucken, habe man nach intensivem Austausch mit Redaktionsvertretern, etwa mit dem Redaktionsausschuss, innerhalb der Chefredaktion getroffen.“
Zur Organisation des Textes sagt Burgard: „Unsere Gastautoren haben grundsätzlich einen Anspruch darauf, dass die Genese ihres Beitrags der Vertraulichkeit unterliegt.“ Dieser Anspruch war Aufsichtsrat Martin Varsavsky demnach offenbar nicht bekannt. Im Wording der Axel Springer-Oberen ist die Causa „Musk-Gastkommentar“ eine Frage der Meinungsfreiheit.
Vielmehr jedoch ist es eine Frage der politischen Einflussnahme – von Musk auf den deutschen Wahlkampf und von einem Aufsichtsratsmitglied auf die unabhängige Berichterstattung einer Redaktion. Wirtschaftlich hat sich die Sache für Axel Springer übrigens gelohnt. Laut einem „Medieninsider“-Bericht machte der Artikel allein am Erscheinungstag über 150.000 Aufrufe und sorgte für mehr als 212 neue Abonnements.
Der Image-Schaden steht jedoch auf einem anderen Blatt. Mika Beuster, Bundesvorsitzender des Deutschen Journalistenverbandes (DJV), sagte dem Tagesspiegel: „Der Redaktionsausschuss der Welt, insgesamt viele erfahrene Kolleginnen und Kollegen, hatten gewarnt, Elon Musk das Forum eines Gastkommentars zu bieten.“ Gegen diesen gesammelten journalistischen Sachverstand zu handeln, räche sich nun.
Es sei „mit diesem handfesten Skandal enormer Flurschaden entstanden“, so der Verbandschef. „Dass dies offenbar auf Initiative und Druck eines Mitglieds des Aufsichtsrats entstanden ist, erschüttert zudem den Grundsatz der redaktionellen Unabhängigkeit. Damit sind so viele rote Linien überschritten worden, dass nun dringend Konsequenzen folgen müssen.“