Rhein Fire schlägt die Vikings
Traumreise endet in Gelsenkirchen als Desaster
Von Tobias Nordmann, Gelsenkirchen
23.09.2024, 06:59
Rhein Fire ist erneut Meister der European League of Football und hat als erstes Team seit Gründung der Liga vor vier Jahren zwei Titel geholt. Im Finale vor der Rekordkulisse von 41.364 Zuschauern in Gelsenkirchen setzten sich die Düsseldorfer klar gegen die Vienna Vikings durch.
Die Stadt Gelsenkirchen hat in diesem Sommer viel erlebt. Der Ruf der alten Industriemetropole schwankte zwischen verschmähtem „Drecksloch“ und glitzerndem „Swiftkirchen“. Wütende England-Fans nahmen erst die architektonische Schönheit auseinander, dann den öffentlichen Nahverkehr. Wenige Wochen später brachte der Poptitan ein wenig von seinem Glanz in das triste Grau der Stadt. Die Fußball-Europameisterschaft war zu Gast und Taylor Swift auch. Gelsenkirchen war plötzlich in den Schlagzeilen, ein Hotspot. Und natürlich ist da noch der FC Schalke 04, der immer für Schlagzeilen gut ist. Erst am Wochenende blamierte sich das Team gegen Darmstadt 98, verspielte eine 3:0-Führung und verlor 3:5. Am Tag danach wurden Trainer Karel Geraerts und Sportdirektor Marc Wilmots gefeuert. All das konzentrierte sich in Gelsenkirchen an einem Ort: der Arena im Erle.
Geht es nicht noch besser? Und doch. Dieser Sonntag war mal wieder historisch und schmerzhaft. Die European League of Football war zu Gast und spielte ihr Finale in Gelsenkirchen. Rhein Fire aus Düsseldorf und die Vienna Vikings standen sich gegenüber. Die beiden Schwergewichte des europäischen Fußballs. Rhein Fire, der Titelverteidiger, war mit nur einer Saisonniederlage in dieses Finale geflogen. Den Vikings, Meister von 2022, war sogar die perfekte Reise gelungen. Sie hatten jeden Gegner auf ihrem Weg eliminiert. Einen größeren Showdown konnte es nicht geben.
Wer aber nicht wusste, was an diesem Sonntag in der Arena los war – immerhin hatte Schalke schon gespielt –, war ratlos. Wie eine Gang von Rentnern auf ihren E-Bikes, die in langer Kolonne im Schatten des Stadions entlang brausten. Flankiert von den wummernden Beats der Power Party, die eher ein Technofestival als ein sportliches Finale vermuten ließen. Und dann waren da noch die vielen bunten Trikots. „Was machen die denn hier?“, fragte einer aus der E-Bike-Gang. Normalerweise ist an diesem Ort alles übersichtlich. Dort treffen Menschen in meist blauen Trikots aufeinander, Schalke-Fans und ihre Gegner. Auch an ihrer Kleidung sind sie meist eindeutig zu erkennen. Doch beim ELF-Finale war das anders. Denn dieses Finale war nicht nur das Duell zwischen Fire und Vikings, sondern ein Fest für Fußballfans in Deutschland.
Wachsen im Schatten des NFL-Hypes
Die NFL, die größte und spektakulärste Liga der Welt (jede Woche live bei RTL und RTL+)erlebt seit ein paar Jahren einen riesigen Hype. War es früher lediglich der Super Bowl, der hierzulande für größeres Interesse sorgte, ist die Saison mittlerweile weit über die Nische hinaus zum Gesprächsthema geworden. Patrick Esume, RTL-Experte und Kommissar, also Liga-Chef, der ELF, sagte vor ein paar Wochen: „Nach dem Fußball hat es in der Bundesrepublik noch nie so ein Aschenputtel-Märchen gegeben wie Football in der Sportlandschaft.“
Von diesem Hype will er profitieren, und davon will die vor vier Jahren gestartete ELF profitieren. Ein bisschen Tailgating hier, ein bisschen Powerparty da. Ein feuriger Einzug der Teams, Pyrotechnik und Feuerfontänen inklusive. Gelsenkirchen, die Football-Stadt, ist ein Stück weit vom Football erobert. Wird es mit der ELF. 41.364 Menschen waren am Sonntag in der Arena, um das Finale zu verfolgen. Sport, der noch nicht auf dem Niveau der NFL ist, aber immer näher kommt. „Coach“ Esume beschrieb es kürzlich so: „Es sieht in manchen Teilen sehr danach aus, nur langsamer.“ Das Finale konnte den Coach zumindest teilweise widerlegen. Die Vikings starteten furios und lagen schnell 6:0 vorne. Quarterback Ben Holmes hatte bei jedem Angriff eine gute Idee und fand am Ende Reece Jones. Den Extrapunkt verpassten die Vikings.
Fire antwortete, allerdings mit viel Mühe. Minutenlang arbeiteten sich Jadrian Clark und seine Männer Richtung Endzone vor. Das Spiel war unglaublich hektisch. Bei fast jeder Aktion wehte eine Flagge aufs Feld, sodass es Strafen ohne Ende regnete. Videobeweise wurden eingesetzt. Einmal sah sich Malte Scholz, der Hauptschiedsrichter, minutenlang ein Fumble an. Es war hart, es nahm dem Spiel jeglichen Schwung. Es wirkte plötzlich wie ein abendfüllendes Programm. Der Stadionsprecher versuchte, alle bei Laune zu halten, der DJ legte einen absurd wilden Stilmix auf. Es gab eine völlig überdrehte Techno-Version von Purs „Abenteuerland“ und Oomph! rief der Menge zu: „Augen auf, ich komme.“ So etwas habe ich schon lange nicht mehr gehört.
Pajarinen wird zur tragischen Figur
19 Uhr: NFL Minnesota Vikings bei Green Bay Packers live bei RTL+
19 Uhr: NFL Philadelphia Eagles bei Tampa Bay Buccaneers live bei RTL
22:25 Uhr: Kansas City Chiefs bei Los Angeles Chargers live bei RTL
Rhein Fire ließ sich nicht beeindrucken. Clark fand den MVP der Saison Glen Toonga und dieser erzielte den ersten Touchdown. Scooters legendärer Song „Fire“ dröhnte vom Band. Nicht zum letzten Mal an diesem Nachmittag, der plötzlich so unglaublich einseitig wurde. Rhein war on fire und die Vikings völlig aus der Bahn geworfen. Die tragische Figur war der Finne Karri Pajarinen. Der Runningback ist eine der bevorzugten Optionen von Ausrüster Holmes fürs Passen und Empfangen im Angriff. Und er zeigte auch, warum das eigentlich so ist. Der Finne nahm einen Pass an und startete einen überragenden Lauf, doch am Ende schlug ihm Flamur Simon den Ball aus der Hand. Fire hatte den Ball in Ballbesitz und flog davon.
Beim nächsten Drive der Vikings verlor Pajarinen erneut den Ball, Omari Williams köpfte ihn dem Finnen bei einem Tackle aus der Hand. Er musste sich anschließend von seinen Mitspielern trösten lassen und zusehen, wie die Düsseldorfer das zweite Viertel mit 23:7 gewannen. Als Tritt in den Hintern bekamen die Vikings den letzten Drive von Rhein Fire mit in die Kabine. Clark warf einen sensationellen 44-Yard-Pass auf den überragenden und unaufhaltsamen Wide Receiver Kelvin McKnight. Davon erholten sich die Vikings nie mehr. Es kam sogar noch schlimmer. Quarterback Holmes, der beste der Saison, fand fast keine Passoptionen und wurde mehrfach von Fires Riesen umgerannt. Der NFL-erfahrene Coach Jim Tomsula, ein Defensiv-Hüne, hatte Fire den perfekten Plan geliefert und bedankte sich später bei fast allen im Stadion auf einer emotionalen Ehrenrunde. Die Rhein-Fire-Fans waren bestens gelaunt und deutlich in der Überzahl, was natürlich auch an der geografischen Nähe lag.
Balsam nach einer schwierigen Saison
Der ELF wurde zum Abschluss einer schwierigen Saison ein großes, stimmungsvolles, wenn auch nicht gerade spannendes Finale geboten. Der Weg zur Professionalisierung des Sports in Europa ist ein mühsamer. Der Zuschauerschnitt einiger Franchises war unbefriedigend, die Liga setzt jedoch weiterhin auf Expansion. Am Rande des Meisterschaftsspiels wurde bekannt gegeben, dass Nordic Storm in der kommenden Saison der Liga beitreten wird. Auch die Barcelona Dragons, das größte Sorgenkind der ELF, bleiben in der Liga. Das Team aus der katalanischen Metropole setzte das Hinspiel gegen die Münchner Ravens beim Stand von 0:54 nicht fort und verlor das Rückspiel 0:90. „Das enttäuscht uns“, sagte Esume.
Von dieser Enttäuschung war am Sonntag nichts zu spüren. 20.000 Fans bei der Power-Party, dazu Partygast Andre Schnurra, der während der Fußball-EM zur Saxophon-Sensation wurde, und der absolute Zuschauerrekord auf Schalke. Esume sagte: „Wenn du das hier siehst, weißt du, wofür du das machst.“ Die Stadt Gelsenkirchen ist kein Drecksloch mehr, kein Schnellkirchen mehr, sondern Fußballstadt. Was für ein Sommer.