Will Olof Persson die Zukunft zeigen, braucht er ein größeres Bild. Der Iveco-Chef stellt dem Publikum vier verschiedene Einsatzmöglichkeiten seiner Nutzfahrzeuge vor, mit jeweils zwei unterschiedlichen Antrieben. Ökodiesel und Biomethan sind dabei, ebenso Wasserstoff und Batterie – „wir wetten nicht darauf, was die führende Technologie sein wird“, sagt Persson. Die „Multi-Antriebs-Strategie“ ist seine wichtigste Botschaft auf der IAA Transportation. Seht her, Kunden: Komm, was wolle, wir können liefern.
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Denn was genau passieren wird, weiß niemand. Offiziell sind Elektro-Lkw das große Thema auf der Nutzfahrzeugmesse in Hannover. Die Branche sei bereit, das Produkt sei bereit, heißt es. Überall rücken Lkw mit Elektromotor ins Rampenlicht, und pünktlich zur Messe hat die Unternehmensberatung PwC eine hoffnungsvolle Studie veröffentlicht: Bis 2030 werde mehr als jeder fünfte Lkw und Bus batterieelektrisch sein – weltweit. In Europa wären es weit mehr.
Tesla kommt – aber wann?
Doch bislang setzt nur ein Großkonzern bedingungslos auf die Technologie: Tesla ist mit seiner Semi-Truck-Sparte in Hannover vertreten. „Wir ersetzen Diesel zu geringeren Kosten“, sagt dessen Manager Dan Priestley und kündigt den Start der Tesla-Truck-Produktion in Europa an – Datum und Details sollen noch bekannt gegeben werden. In der Branche munkelt man, niemand wisse genau, wie groß das Interesse von Elon Musk an dem Autokonzern sei.
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Alle anderen versuchen, ein möglichst breites Spektrum emissionsarmer Antriebe anzubieten, denn kaum einer hält Elektro für die Standardlösung. „Die Kunden sind extrem verwirrt“, sagt eine Managerin. „Für die Unternehmen ist es schwierig, die für sie beste Lösung zu finden“, sagt Sara Schiffer, die mit ihrem Start-up Hylane Wasserstoff-Lkw vermietet. Harald Seidel, Präsident von Daf Trucks, kennt die Fragen der Kunden: Kommen sie 2028 noch mit einem Verbrenner in die Innenstadt? Aber auch andersherum: Warum jetzt einen Elektro-Lkw kaufen, wenn Lademöglichkeiten erst 2028 verfügbar sind.
Der Elektro-Lkw Tesla Semi ist am Stand von Tesla auf der IAA Transportation auf der Hannover Messe zu sehen.
Quelle: Julian Stratenschulte/dpa
Ein Fahrplan fast wie im Auto
Auf dem Papier ähnelt der Fahrplan der Europäischen Union dem für Pkw. Auf den ersten Blick ist er etwas weniger ambitioniert: In vier Stufen soll der durchschnittliche CO₂-Ausstoß neuer Lkw bis 2040 auf 90 Prozent des heutigen Niveaus gesenkt werden. Bei näherer Betrachtung ist die Aufgabe allerdings weitaus anspruchsvoller, denn Elektroantriebe eignen sich nicht für jeden Einsatzzweck und das Ladenetz ist nicht nur lückenhaft, sondern kaum vorhanden.
An neugierigen Besuchern mangelt es an den Messeständen nicht, die Ordererwartungen sind jedoch verhalten. Daimler Truck präsentiert den eActros 600, einen vollelektrischen Schwerlast-Lkw mit 500 Kilometer Reichweite und so etwas wie einen Star der Messe. Doch „der Kunde entscheidet mit seinem Taschenrechner“, sagt Andreas Gorbach, Entwicklungschef von Daimler Truck. Emissionsfreies Fahren sei oft noch teurer, und „die Infrastruktur ist das Nadelöhr“.
Während auf der IAA die fertigen Lkw ausgestellt sind, werden Ladestationen noch geplant. Gerade erst hat die Ausschreibung für Schnellladestationen an 130 unbemannten Rastplätzen begonnen. Milence, ein Joint Venture von Daimler, Traton und Volvo, stellte Pläne für europaweit 70 Ladeparks vor, die im kommenden Jahr in Betrieb gehen sollen.
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Transportunternehmen, die jetzt umsteigen wollen, tun am besten planbare Routen und Ladestationen auf dem eigenen Gelände. Doch das ist leichter gesagt als getan. Die Wallbox reicht nicht, es braucht einen Anschluss ans Mittelspannungsnetz. Das Problem sei nicht die Ladestation selbst, sagt Daimler-Manager Gorbach, sondern die Zuleitung. Und die Zeit: Bis alle Genehmigungen vorliegen, dauere es Jahre. Und der Platz: Schon jetzt mangelt es an Parkplätzen für Trucker, von neuen Ladeparks ganz zu schweigen.
„Ich bezweifle, dass alles batterieelektrisch sein wird“, sagt Wirtschaftsprofessorin Veronika Grimm in einer IAA-Diskussion. Die Ladezeiten seien lang, das Gewicht hoch. Auf den Bildern von Iveco-Chef Persson kommt der batterieelektrische Antrieb nur im Stadtverkehr und bei Baufahrzeugen vor. Für schwere Fahrzeuge im Fern- und Regionalverkehr setzt er kurzfristig auf Biomethan und langfristig auf „Wasserstoff“. Auch Arnd Franz, Chef des Zulieferers Mahle, ist sich sicher: „Wasserstoff wird die effizienteste Lösung sein.“
MAN plant Kleinserie mit Wasserstoff
Allerdings ist das Angebot in diesem Bereich noch bescheiden. MAN präsentiert in Hannover den hTGX – den ersten Lkw aus Europa, dessen Verbrennungsmotor mit Wasserstoff läuft. Auch hier sind die Erwartungen vorerst bescheiden: Geplant ist eine Kleinserie, 200 Exemplare will MAN im nächsten Jahr ausliefern.
Auch für Wasserstoff fehlt es an Infrastruktur – vor allem, wenn er „grün“, also mit Ökostrom, produziert werden soll. Doch es spreche einiges dafür, sagt Hylane-Chef Schiffer: Anders als bei Batterien sei die Reichweite unabhängig von der Außentemperatur, das Tanken gehe schneller. Zudem brauche es für viele weitere Anwendungen eine Wasserstoff-Infrastruktur, erklärt Wissenschaftlerin Grimm. Der Truck könne etwa das Starten erleichtern. Deshalb ist sie für den Ausbau der Strom- und Wasserstoffnetze: „Wir sind schneller, wenn wir beides nutzen.“
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Bei Cespira glaubt man, die beste Lösung gefunden zu haben. Das schwedische Start-up, ein Joint Venture des Lkw-Herstellers Volvo und des Kraftstoffspezialisten Westport, hat ein Einspritzsystem für fast alles entwickelt. HPDI soll alternative Kraftstoffe von Erdgas über E-Fuel und Biomethan bis hin zu Wasserstoff für Verbrennungsmotoren nutzbar machen.
Die Branche schwankt also zwischen demonstrativer Begeisterung für das eigene Produkt, Frust über zögerliche Kunden und Ärger über schlechte Bedingungen. „Wir liefern“, sagt VDA-Präsidentin Hildegard Müller, wo immer sie auftritt. Da sind längst andere gefragt: „Die von der Wirtschaft geforderte Geschwindigkeit muss auch die Politik liefern.“ Ihre Kollegin Sigrid de Vries vom europäischen Verband Acea sagt schlicht: „Ziele schaffen keine Märkte.“
Den Lkw-Herstellern drohen dieselben Drohungen, die ihren Pkw-Kollegen zunehmend Sorgen bereiten. Auch sie müssen hohe Strafen zahlen, wenn sie die vorgegebenen Flottengrenzwerte für CO₂ nicht einhalten. Und auch sie fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. „Es wird wirklich ein Dilemma“, sagt Daimler-Vorstand Gorbach. Am Donnerstag forderte Acea bei Pkw und Nutzfahrzeugen ungewöhnlich eindringlich „dringende Maßnahmen“: „Es fehlen die entscheidenden Voraussetzungen, um der Produktion und Nutzung emissionsfreier Fahrzeuge den nötigen Schub zu geben.“
Die Liste der Schwachstellen reicht von der Infrastruktur für Strom und Wasserstoff über bezahlbare Ökoenergie bis hin zu planbaren Kaufhilfen und Rohstoffversorgung. Wenn all das nicht vorankommt, werden die vorgegebenen Klimaziele nicht erreicht. Er klinge jetzt vielleicht ein wenig zynisch, sagt Gorbach, aber er will es trotzdem loswerden: „Die Politiker schauen uns beim Scheitern zu.“