Die Ex-Grünen-Chefin wirft der US-Demokratin Kamala Harris Selbstgerechtigkeit vor und verteidigt den „alten weißen Mann“. Auch Ricarda Lang spricht über den Neuanfang nach ihrem Rücktritt – und auch über ihren Gewichtsverlust.
Die Grünen-Politikerin Ricarda Lang thematisierte in einem Interview alte grüne Tabus und sprach offen über ihren Rücktritt und ihren persönlichen Wandel. Lang, der im vergangenen Jahr gemeinsam mit Omid Nouripour vom Grünen-Vorsitz zurücktrat, bezeichnete diese Entscheidung in einem Interview mit der „Berliner Zeitung“ als bewusst und selbstbestimmt.
Der Rücktritt war eine Reaktion auf das schlechte Abschneiden der Partei bei der Landtagswahl in Ostdeutschland. „Es fühlte sich an wie ein negativer Sog“, sagt der 31-Jährige. „Heute bleibt vor allem das Gefühl, Verantwortung übernommen zu haben. Wer einen Fehler macht, soll die Verantwortung dafür übernehmen.“ Weder habe sie sich Robert Habeck „aufgeopfert“, noch fühle sie sich als Opfer: „Mein Rücktritt als Parteivorsitzende war eine selbstbestimmte Entscheidung.“
Der Schritt sei zwar schwer, aber im Nachhinein ein „großer Freiheitsgewinn“ gewesen. Erst dann wurde ihr klar, „was für eine Schere im Kopf“ sie als Vorsitzende hatte und wie sehr sie sich im Amt eingeschränkt hatte: „Ich bewegte mich immer mehr im Hamsterrad, wurde in meiner Sprache immer roboterhafter, ohne es zu merken“, beschreibt sie ihre damalige Situation.
Seitdem, sagt Lang, habe sie ihr Leben neu geordnet. Sie schloss ihr Studium ab, heiratete – und nahm 40 Kilogramm ab. Sie spricht bewusst öffentlich über ihren Gewichtsverlust, um die Kontrolle über ihre Geschichte zu behalten: „Mein Gewicht war schon immer ein Thema“, sagt sie. Ernährungstipps will sie aber nicht geben, weil sie weiß, dass das andere auslösen könnte. Ihr Anliegen ist der offene Umgang mit Körperbildern und gesellschaftlichen Erwartungen. Auch die Body-Positivity-Bewegung könne Druck erzeugen, sagt Lang: „Wenn ich mir vor dem Spiegel sage, dass alles super ist, kann mich das daran hindern, gesund mit meinem Körper umzugehen.“
Politisch ist Lang kämpferisch, aber auch selbstkritisch. Sie warnt vor Zynismus in der Politik und kritisiert die Schuldzuweisungen an Wähler für Niederlagen – eine Haltung, die sie auch bei US-Vizepräsidentin Kamala Harris beobachtet. Auf ihrer Büchertour wirkte sie „trotzig“, als hätte sie alles richtig gemacht, doch die Wähler hätten das nicht verstanden: „Das ist selbstgerecht und zynisch. Zynismus beginnt spätestens dann, wenn Politiker den Bürgern unterschwellig klar machen: Du bist zu dumm, um zu verstehen, was gut für dich ist“, sagte Lang. Dies sei ein „gefährlicher Reflex“, der Menschen entfremde.
Begegnung statt Moralisierung
Die Parteien müssen sich fragen, warum Menschen ihr Vertrauen entziehen, anstatt es ihnen beizubringen. Laut Lang sollten sich die Grünen weniger in Kulturkämpfe verstricken und sich stärker auf soziale Themen konzentrieren – etwa Mieten, Vermögen und Chancengleichheit. Sie möchte nicht länger, dass der „alte weiße Mann“ als Symbol des Privilegs gesehen wird; Außerdem leben sie „in strukturschwachen Regionen, haben zwei Jobs und kommen trotzdem kaum über die Runden“, beschrieb sie: „Wenn ich ihnen sage: Jetzt bist du dran, aufzugeben – das ist absurd.“
Lang sieht ein tiefes Misstrauen gegenüber dem Parteiensystem, insbesondere in Ostdeutschland. Die Grünen müssen sich damit befassen, anstatt es zu moralisieren. Mehr Bürgerbeteiligung und neue Formen der Mitbestimmung, etwa Bürgerräte, könnten helfen, das Vertrauen zurückzugewinnen.
Der Grünen-Politiker sieht in einem neuen Wirtschaftsmodell eine der dringendsten Aufgaben in Deutschland. Das alte deutsche Modell – billige Energie aus Russland, Exportorientierung und Abhängigkeit von China – hat ausgedient. Die Wirtschaft muss künftig stärker auf die Binnennachfrage und das Gemeinwohl ausgerichtet sein. „Wir werden die Dinge grundlegend ändern müssen“, sagt sie. Freihandelsprinzipien werden heute eher von China und Donald Trump als von linken NGOs in Frage gestellt.
Lang sieht der Ernennung von Annalena Baerbock zur Präsidentin der UN-Generalversammlung gelassen entgegen. Die Aufregung darüber ist übertrieben; Baerbock wird den Vereinten Nationen gut tun. Allerdings hält sie an der Kritik an der SPD wegen ihrer Kontakte zu Russland fest – sie warnt aber vor einer pauschalen Verurteilung derjenigen, die diplomatische Lösungen fordern.
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