
Koalitionsausschuss
„Wahnsinn!“ – „Es brodelt“: Interner Wutausbruch in der Kanzlerpartei
Vor dem Koalitionsausschuss wächst der Druck auf Friedrich Merz, Reformen durchzusetzen. Auf einer Unionssitzung rechnen Kritiker mit Regierungsvorhaben ab – und warnen die Führung.
Es ist Dienstag, nach 15 Uhr. Friedrich Merz kommt etwas verspätet, spricht heute Nachmittag aber länger beim Treffen seiner Gruppe. Kurz vor dem wichtigen Koalitionsausschuss schwor die Kanzlerin der Unionsfraktion Geduld und Optimismus ein. Man dürfe die Lage im Land nicht schlimmer machen, als sie tatsächlich sei, mahnt Merz. Das berichten Teilnehmer.
Aber es nützt nichts. Im Gegenteil. Während der Sitzung bricht unter den Abgeordneten der Frust aus, der sich in den letzten Wochen aufgebaut hat. Ein halbes Dutzend teils namhafter Redner drängt auf Hinweise Stern für Reformen, für mehr Druck auf den Koalitionspartner SPD. Einige Teilnehmer sprachen anschließend von „einer Art Aufstand“, andere von einer Debatte, bei der die Regierung „ausgezählt“ worden sei.
Den Anfang macht Sepp Müller, Stellvertreter von Fraktionschef Jens Spahn. Er ist für das Thema Wirtschaftswissenschaften zuständig. Er fordere alle Beteiligten auf, sagt Müller in Richtung der Kanzlerin, diesen „Verrückten“ zu stoppen. Aus ihrer Sicht bedeutet Verrücktheit laut Abgeordneten, dass plötzlich Gesetze auf dem Tisch liegen, die Unternehmen noch stärker einschränken als zuvor.
Bei vielen in der Fraktion entsteht der Eindruck, dass die Sozialdemokraten bei notwendigen neuen Reformen nicht nur langsamer werden. Nein, was aus den SPD-Ministerien kommt, bleibt manchmal hinter dem Koalitionsvertrag zurück oder geht im negativen Sinne darüber hinaus.
Fraktionsvize Müller führte in der Sitzung auf: „Mit dem Tarifvertragsgesetz, der neuen EU-Nachhaltigkeitsrichtlinie und dem erneuerten Behindertengleichstellungsgesetz gehen wir weit über das hinaus, was vereinbart wurde.“ Allein die derzeit geplante Umsetzung der EU-Nachhaltigkeitsregeln wird die deutsche Wirtschaft zusätzlich 450 Millionen Euro kosten.
Warnung an Merz: „Den Unternehmen geht die Luft aus“
Dann steht Gitta Connemann auf. Der einflussreiche Chef der gewerkschaftlichen Mittelstandsvereinigung (MIT) warnt eindringlich: „„Den Unternehmen geht die Luft aus“, sagte sie laut Teilnehmern. Das höre sie immer wieder in Gesprächen mit der Wirtschaft. „Es brodelt“, soll sie gesagt haben.
Das Besondere an ihrer Kritik: Als Mittelstandsvertreterin ist Connemanns auch Mitglied der Regierung. Sie schließt mit einem eindringlichen Appell: Stehen Sie für die Unternehmen ein „Das Wasser steht uns bis zum Hals“ und „jede zusätzliche Belastung kostet Substanz“. Das muss endlich allen klar werden.
Weitere Abgeordnete, etwa der ehemalige Wissenschaftsminister, melden sich Anja Karliczek oder der Behindertenbeauftragte der Bundestagsfraktion, Wilfried Oellers. Auch der einflussreiche Chef der Jungen Union, Johannes Winkel, äußert sich kritisch.
„Im Rentenpaket lauern langfristige Kosten von über 100 Milliarden Euro, die nirgendwo im Koalitionsvertrag vereinbart wurden“, kritisierte Winkel laut Teilnehmern. Dahinter steckt ein grundsätzlicherer Streit: Die Kritiker in der Union werfen der SPD vor, die Haltegrenze für die Rentenhöhe über das vereinbarte Jahr 2031 hinaus verlängern zu wollen. Die Unionsfraktion rechnet mit Mehrkosten von 15 Milliarden pro Jahr. „So geht das nicht!“, sagt Johannes Winkel.
Der wachsende Frust in der Union wird auch durch sinkende Umfragewerte und einen regelrechten Vertrauensverlust in die Regierung angeheizt. Eine aktuelle Umfrage von „Forsa“ ergab verheerende Werte. 71 Prozent der Deutschen sind mit Friedrich Merz unzufrieden, die CDU/CSU ist auf 24 Prozent gesunken – zwei Prozentpunkte hinter der AfD.
In der Regierung haben sich eine Reihe von Problemen gehäuft
Besonders die anhaltende Stärke der extremen Rechten belastet die Stimmung in der Union. Um der AfD überhaupt etwas entgegensetzen zu können, bedarf es jetzt einer entschiedenen Führung durch die Kanzlerin im Bund – diese Sichtweise setzt sich mittlerweile auch bei CDU und CSU durch. In der Sitzung des Koalitionsausschusses müsse Merz diese Führung endlich unter Beweis stellen, fordern die Abgeordneten.
In der Regierung häufen sich inzwischen eine Reihe von Projekten, die einer Lösung bedürfen. Eigentlich wollten Union und SPD die Sitzungen des Koalitionsausschusses zu regelmäßigen Routineveranstaltungen machen. Da der Entscheidungsdruck angesichts der anhaltend schlechten Wirtschaftslage inzwischen enorm ist, wird die Sitzung an diesem Mittwoch Showdown-Charakter haben.
Erwartet wird eine grundsätzliche Einigung zur Abschaffung des Bürgergeldes sowie Erleichterungen für die Autoindustrie, beispielsweise durch die Verschiebung des Ausstiegs aus dem Verbrennungsmotor. Ergebnisse erwarten die Abgeordneten auch in den Bereichen Krankenversicherungsfinanzierung und Autobahnfinanzierung. Verkehrsminister Patrick Schnieder fehlen mehrere Milliarden Euro für bereits geplante Projekte.
Die Kritik richtete sich an diesem Dienstagnachmittag vor allem gegen die SPD. Aufmerksame Zuhörer bemerkten jedoch auch, was in den Nuancen zu hören war: die Warnung, dass die Unzufriedenheit schnell auf die Kanzlerin übergreifen könnte.