München – Seit mehreren Wochen berichtet die Presse über steigende Corona-Infektionszahlen. Die AZ sprach mit einem Experten aus der bayerischen Landeshauptstadt über Ansteckungsgefahr und Gefahren.
AZ: Herr Professor Spinner, Medienberichten zufolge nehmen die Covid-19-Infektions- und Erkrankungszahlen wieder zu. Das betrifft auch schwere Verläufe. Können Sie das bestätigen, auch aus Ihrer klinischen Praxis?
CHRISTOPH SPINNER: Aktuell gibt es in Deutschland mehr Berichte über Atemwegsinfektionen als sonst zu dieser Jahreszeit. Rhinoviren, Sars-CoV-2 und andere Erreger spielen dabei eine wichtige Rolle. Die Zahl der Patienten mit schweren Symptomen, die im Krankenhaus behandelt werden müssen, ist derzeit allerdings nicht ungewöhnlich hoch. Auch hier behandeln wir derzeit keine auffällige Zahl von Patienten mit Atemwegsinfektionen.
Ist eine Auffrischungsimpfung sinnvoll? Die Stiko empfiehlt diese grundsätzlich ab dem 60. Lebensjahr. Ist der neue Biontech-Impfstoff gegen JN.1. dafür der richtige?
Für Menschen über 60 und chronisch Kranke ist im Herbst eine saisonale Auffrischungsimpfung gegen Covid-19, und natürlich auch gegen die echte Grippe (Influenza), ratsam. Damit lässt sich ein schwerer Krankheitsverlauf zuverlässig verhindern. Bei jüngeren Menschen ohne schwere Grunderkrankung kann eine Impfung die Wahrscheinlichkeit einer symptomatischen Erkrankung etwa halbieren, wird von den Krankenkassen aber meist nicht erstattet.
Nutzen der Impfung überwiegt Risiken: „Immunität in der Bevölkerung deutlich erhöht“
Es wird darüber debattiert, ob die Covid-19-Impfungen mehr Schaden als Nutzen gebracht haben. Dabei wird auf die Übersterblichkeit im Jahr 2021 verwiesen. Was ist davon zu halten?
Für mich als Infektiologe ist die Antwort auf diese Frage ganz klar: Durch die Covid-19-Impfung wurde die Immunität in der Bevölkerung deutlich erhöht. Dadurch konnten eine signifikante Zahl schwerer Covid-19-Verläufe und Todesfälle durch Covid-19 verhindert werden. Betroffen waren davon vor allem ältere und chronisch Kranke.
Wie beurteilen Sie Bedeutung und Ausmaß der behaupteten Impfschäden?
Rund 50 Prozent aller in Europa gemeldeten potenziell schweren Impfschäden wurden in Deutschland als Verdachtsfälle gemeldet. Das ist im Vergleich zur Bevölkerungsstruktur in Europa ungewöhnlich. Zumal nicht jede gemeldete angebliche Impfnebenwirkung tatsächlich auf die Impfung zurückzuführen ist. Gerade für die Covid-19-Impfungen liegen mittlerweile Studiendaten und klinische Daten aus aller Welt vor: Die auf dem Markt befindlichen Covid-19-Impfstoffe haben sich als sicher und wirksam erwiesen.
Wie weit verbreitet ist das Phänomen der langanhaltenden Infektionsfolgen? Gibt es Schätzungen über das Ausmaß der Long-Covid-Probleme? Es wird berichtet, dass solche Spätfolgen auch nach einer „normalen“ Grippe oder Erkältung auftreten können.
Es ist bekannt, dass es nach Infektionskrankheiten zu anhaltenden Symptomen kommen kann. Allerdings sind davon nur wenige Menschen betroffen. Die überwiegende Mehrheit übersteht Infektionskrankheiten folgenlos. Aktuelle Studien haben zudem deutlich gezeigt, dass Long- und Post-Covid-19 bei Geimpften deutlich seltener auftreten.
Haben die im Umlauf befindlichen Corona-Varianten wie KP.3 das Potenzial, gefährliche Mutationen hervorzurufen?
Derzeit zirkuliert weltweit keine vorherrschende Variante, da die Immunität gegen Sars-CoV-2 deutlich zugenommen hat. Es wird immer ein Wechselspiel zwischen Anpassungen des Virus und des menschlichen Immunsystems geben, sodass auch neuere Varianten kein Grund zur Sorge sind. Menschen mit einem höheren Risiko für einen schweren Krankheitsverlauf – also ältere Menschen und Menschen mit chronischen Erkrankungen – sollten ihre Impfungen regelmäßig auffrischen lassen, um dieses Risiko zu senken.
Maske nicht mehr nötig? „Das Immunsystem kommt meist alleine klar“
Was tun bei Covid-19-Symptomen? Wie wichtig ist jetzt die Quarantäne?
Wer Symptome eines fiebrigen Atemwegsinfekts hat, sollte unbedingt zu Hause bleiben. So kann man wieder gesund werden – und gefährdet andere nicht. Eine Quarantäne im Sinne einer behördlich angeordneten Maßnahme ist bei Covid-19 allerdings grundsätzlich nicht mehr nötig.
Wäre es sinnvoll oder übertrieben, in geschlossenen Räumen mit vielen Menschen, etwa im öffentlichen Verkehr oder am Arbeitsplatz, weiterhin einen Mund-Nasen-Schutz zu tragen, wie es in Asien teilweise gängige Praxis ist?
Mund-Nasen-Bedeckungen können das Risiko von Atemwegsinfektionen senken – sie müssen allerdings konsequent getragen werden. Bei gesunden Menschen ist das meist nicht nötig: Das Immunsystem kommt mit den Viren meist gut zurecht.
Droht die nächste Pandemie?
Können Vogelgrippe und Schweinegrippe eine neue globale Pandemie auslösen? Gibt es noch andere Krankheitserreger, die Anlass zur Sorge geben?
Atemwegserreger, die Menschen infizieren können, haben immer das Potenzial, Krankheitswellen auszulösen – insbesondere, wenn die Immunität gegen sie in der Bevölkerung gering ist. Glücklicherweise können Impfungen sowohl vor Grippe als auch vor Covid-19 schützen. Derzeit gibt es keine Hinweise darauf, dass die Vogelgrippe regelmäßig bei Menschen auftritt. Die Situation wird dennoch international genau beobachtet und es gibt auch Impfstoffe, die speziell gegen die Vogelgrippe schützen.
Ist das deutsche Gesundheitssystem auf eine erneute Pandemie im Ausmaß von Covid-19 ausreichend oder zumindest spürbar besser vorbereitet?
Aus der Corona-Pandemie haben alle viel gelernt – auch das deutsche Gesundheitssystem. Und es besteht eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass die nächste Pandemie durch Atemwegserreger hoffentlich noch eine Weile auf sich warten lässt.
Vielen Dank für das Interview, Herr Spinner.
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