
Christine Lagarde, Präsidentin der EZB, beim „Monetary Dialogue“ des EU-Ausschusses für Wirtschaft und Währung im Juni. Foto: Laurie Laurie Dieffembacq, © Europäische Union 2025 – Quelle: EP
EZB plant digitalen Euro für 2029. Bargeld soll ergänzt, nicht ersetzt werden. Aber wurden die Bedenken wirklich ausgeräumt? Analyse und Bewertung.
Über digitale Zentralbankwährungen wurde in den letzten Jahren viel diskutiert. Telepolis hat mehrfach über solche Initiativen berichtet und darüber, dass die Sorge vor einer Auflösung der Privatsphäre und einer möglichen Abschaffung des Bargelds zumindest nicht unbegründet ist.
Lesen Sie mehr nach der Anzeige
Während die USA unter Donald Trump eine klare, formelle Absage an digitale Zentralbankwährungen erteilten – allerdings im Verdacht standen, nur den Rücken privater Zahlungsanbieter zu schützen – ist die Europäische Union ihrem erklärten Ziel, diese Zahlungsanbieter bzw. deren Monopolstellung zu überholen, einen Schritt näher gekommen.
Pilotphase voraussichtlich im Jahr 2027
Am 30. Oktober 2025 gab die Europäische Zentralbank (EZB) bekannt, dass die Entwicklung des digitalen Euro in die nächste Phase eintritt. Nach Abschluss der Vorbereitungsphase, die im November 2023 begann, sollen nun bis 2029 die technischen Voraussetzungen für eine mögliche Erstausgabe des digitalen Euro geschaffen werden.
Die EZB betont, dass der digitale Euro die Währungssouveränität und wirtschaftliche Sicherheit Europas gewährleisten und Innovationen im Zahlungsverkehr fördern und gleichzeitig „die Wahlfreiheit und Privatsphäre der Europäer wahren“ werde. EZB-Präsidentin Christine Lagarde erklärte, das Projekt ziele darauf ab, den Euro in Form von „digitalem Bargeld“ fit für die Zukunft zu machen.
Nach der (wiederholten) Aussage der EZB soll der digitale Euro lediglich als „Ergänzung“ zum Bargeld dienen und dessen Vorteile – wie Einfachheit, Zuverlässigkeit und Privatsphäre – auf den digitalen Zahlungsverkehr übertragen.
Lesen Sie mehr nach der Anzeige
Die EZB unterstützt auch den Vorschlag der Europäischen Kommission, das Recht auf Barzahlung zu stärken, um sicherzustellen, dass Bargeld weiterhin eine zugängliche Zahlungsoption bleibt.
Die Entscheidung darüber, wie und wann der digitale Euro eingeführt wird, hängt noch von der Verabschiedung entsprechender Gesetze auf europäischer Ebene ab. Die EZB geht davon aus, dass die notwendigen Regelungen im Jahr 2026 verabschiedet werden könnten. Ein Pilotprojekt und erste Transaktionen könnten dann ab Mitte 2027 starten. Bis 2029 soll das Eurosystem für die vollständige Einführung bereit sein.
Im Rahmen der nächsten Phase der Entwicklung des digitalen Euro wird sich die EZB auf drei Hauptbereiche konzentrieren: technische Vorbereitung, Zusammenarbeit mit Marktteilnehmern und Unterstützung des Gesetzgebungsprozesses.
Die geschätzten Entwicklungskosten bis zur ersten Ausgabe des digitalen Euro liegen bei rund 1,3 Milliarden Euro, während die jährlichen Betriebskosten ab 2029 voraussichtlich bei rund 320 Millionen Euro liegen werden. Ähnlich wie bei der Herstellung von Euro-Banknoten würden diese Kosten durch die erwirtschaftete Seigniorage gedeckt – also den Gewinn, den die Zentralbank durch die Ausgabe von Geld erzielt.
Kritik vorab
Datenschützer und Bürgerrechtler hatten bereits vor der inzwischen abgeschlossenen Vorbereitungsphase erhebliche Bedenken gegen das Projekt geäußert.
So bezweifelte beispielsweise der niederländische IT-Wissenschaftler Jaap-Henk Hoepman am 7. Februar auf der nationalen „Privacy Conference“ die technische Machbarkeit eines digitalen Euro, der die zentralen Eigenschaften von Bargeld – vor allem Anonymität, aber auch Transaktionsfreiheit und Unabhängigkeit von zentralen Infrastrukturen – glaubhaft nachbilden könnte.
Obwohl technische Lösungen wie Trusted Execution Environments (TEE) und sogenannte „Secure Elements“ auf Mobiltelefonen mögliche Ansätze zur Gewährleistung der Anonymität bei Offline-Zahlungen sind, hängt die Wirksamkeit dieser Technologien von der Zuverlässigkeit der Hardwarehersteller und der sie steuernden Infrastruktur ab.
Eine mögliche Abhängigkeit von zentralen Akteuren widerspricht den Grundeigenschaften von Bargeld, das unabhängig von zentralen Systemen funktioniert.
Hoepman sieht ein besorgniserregendes Potenzial für einen Überwachungsstaat, insbesondere in Kombination mit anderen geplanten Maßnahmen, wie der Einführung von Systemen zur Überwachung kinderpornografischen Materials (sog. CSAM-Scantechnologien, wie in „Chat-Kontrolle“ diskutiert) und der eIDAS-Verordnung zur digitalen Identität einschließlich einer „digitalen Geldbörse“.
Neben Datenschützern haben auch Banken und Finanzdienstleister Bedenken hinsichtlich der Einführung des digitalen Euro geäußert. Wie unter anderem die Tagesschau berichtete, sehen Banken die besondere Gefahr, dass der digitale Euro zu einer Verlagerung von Einlagen führen könnte.
Kunden könnten ihr Geld von traditionellen Bankkonten auf digitale Euro-Wallets übertragen, die direkt von der Zentralbank verwaltet werden. Dies könnte die Liquidität der Banken verringern und ihre Fähigkeit zur Kreditvergabe einschränken.
Ein weiteres Problem, das Banken beschäftigt, ist die mögliche Destabilisierung des Finanzsystems, insbesondere in Krisenzeiten.
Der tägliche Nachrichten berichtet, dass Banken befürchten, dass der digitale Euro in wirtschaftlich schwierigen Situationen zu einem „Bank Run“ führen könnte, bei dem Kunden ihre Einlagen massenhaft abheben und in digitale Euro umwandeln. Dies könnte die Stabilität des Bankensystems gefährden.
Faktencheck aus qualifizierter Quelle
Das Dortmunder IT-Dienstleistungsunternehmen Adesso hat am 24. September einen Artikel zu häufig gestellten Fragen (FAQ) zum digitalen Euro veröffentlicht. Das Unternehmen gibt an, eine Reihe von Bedenken hinsichtlich der digitalen Währung ausräumen zu können.
Eines der größten Vorurteile des Unternehmens ist die Vorstellung, der digitale Euro sei „programmierbar“. Dies hat die EU-Kommission im Rahmen des Verordnungsvorschlags zur Einführung des digitalen Euro im Juni 2023 ausdrücklich ausgeschlossen.
Vielmehr handelt es sich um ein neutrales Zahlungsmittel, das Bargeld ergänzt und nicht ersetzt. Datenschutzbedenken würden durch „Privacy by Design“-Technologien sowie eine Offline-Funktion gewährleistet, die „nahezu das gleiche Maß an Anonymität“ wie Bargeld biete.
Die Befürchtung, dass der digitale Euro die Bürger „transparenter“ macht, ist unbegründet, da private Anbieter bereits über viele Daten verfügen, während der digitale Euro auf mehr Privatsphäre abzielt.
Die im Bankensektor kritisierte Finanzstabilität wird durch Betragsgrenzen gesichert, die die Nutzung des digitalen Euro als Sparkonto verhindern. Auch Negativzinsen sind beim digitalen Euro nicht zu befürchten, da er wie Bargeld zinslos bleibt.
Auch eine Konkurrenz zwischen Banken und EZB ist nicht zu befürchten, da die Zentralbank lediglich als Infrastrukturanbieter fungiert, während Banken die Kundenschnittstellen übernehmen.
Anonymität unter Bedingungen
Allerdings verdient die „Einstufung“ von Adesso selbst etwas mehr Kontext: Mit einem Inlandsumsatz von 1,07 Milliarden Euro liegt Adesso laut der branchenbekannten Liste der Analysten Lünendonk & Hossenfelder (angeführt von Accenture) auf Platz vier der größten Systemintegratoren in Deutschland. Somit profitiert das Unternehmen direkt von der bevorstehenden Einführung und den damit verbundenen Anforderungen.
Am Ende des „Faktenchecks“ zum digitalen Euro positioniert sich Adesso konsequent als unverzichtbarer Partner der Branche mit umfassender „Payment-Expertise“, Kenntnis relevanter (EU-)Regularien wie PSD2, DORA und ISO 20022 sowie Unterstützung bei der Modernisierung von Altsystemen und der technischen Umsetzung neuer Lösungen.
Am 23. Oktober berichtete die taz über einen Bericht des Europäischen Datenschutzausschusses (EDPB), der zwar weniger eindeutig, aber optimistisch lautet. Es heißt:
Eine anonyme Modalität des digitalen Euro erscheint (sic) machbar, vorausgesetzt, das System basiert auf einer geeigneten Kombination von Techniken und Kompromissen.
Es wird interessant sein zu sehen, zu welchen Kombinationen und Kompromissen die EZB in ihrem ambitionierten Großprojekt bereit ist – und welche Versicherungspolicen möglicherweise zurückgezogen werden, sobald die Infrastruktur vorhanden ist – etwa aufgrund des immer wieder betonten Kampfes gegen Kindesmissbrauch, Terrorismusfinanzierung oder Geldwäsche.
Dieser Aspekt der Bedenken hinsichtlich der Zentralbankwährungen (siehe „Funktion“ oder „Mission Creep“) wird ebenfalls angesprochen Telepolis in den oben genannten Artikeln enthalten.
