Das Bundesjustizministerium möchte kleine Amtsgerichte erhalten und den Streitwert erhöhen. Verpassen Anwälte so Mandate? Der DAV befürwortet eine Entkopplung von Anwaltspflicht und gerichtlichem Streitwert.
Der Deutsche Anwaltverein (DAV) fordert, die bisherige Grenze von 5.000 Euro für die Pflichtvertretung nach § 78 ZPO beizubehalten, auch wenn das Bundesministerium der Justiz (BMJV) plant, den Gerichtswert für die Amtsgerichte von 5.000 auf 10.000 Euro zu erhöhen. Dies ist laut DAV im Interesse des Verbraucherschutzes und der Effizienz gerichtlicher Verfahren erforderlich.
Die Erhöhung des Streitwerts nach § 23 Abs. 1 Nr. 1 GVG wird seit längerem diskutiert. Demnach sind Bezirksgerichte in der Regel nur für Fälle bis zu einer bestimmten Höhe zuständig. Zu Zeiten der Ampel-Koalition galten einst 8.000 Euro als Höchstwert statt der bisherigen 5.000-Euro-Grenze. Das BMJV plant nun eine Erhöhung auf 10.000 Euro. Ein entsprechender Gesetzentwurf der Bundesregierung liegt bereits vor und wird im Bundestag beraten.
Hintergrund der geplanten Änderung sind rückläufige Eintragungszahlen bei den Amtsgerichten, insbesondere in Gebieten der Bundesrepublik. Eine entsprechende Studie des BMJV mit diesen Zahlen liegt seit 2023 vor. Durch die Erhöhung soll weiterhin ein einfacher Zugang zur Justiz gewährleistet und insbesondere kleinere Landgerichte gestärkt werden, denen ansonsten bei noch weiter sinkenden Zulassungszahlen die Schließung drohen könnte.
Auch für das Anwaltserfordernis gemäß § 78 ZPO ist die gerichtliche Bedeutung von großer Bedeutung. Denn unterhalb des Streitwerts benötigen Bürger nicht unbedingt einen Rechtsbeistand vor den Amtsgerichten. Der Entwurf des BMJV geht davon aus, dass durch die Verlagerung der Zuständigkeiten rund 4.500 Fälle der Rechtsvertretung wegfallen könnten – darunter mehrere Millionen Euro an Anwaltskosten, die Berufsträgern entgehen.
Der DAV befürchtet eine Überforderung der juristischen Laien
Der DAV nimmt nun grundsätzlich Stellung zu dem Vorhaben. Am Mittwoch gab er bekannt, dass er grundsätzlich nicht gegen die Erhöhung auf 10.000 Euro sei. „Doch ohne Pflicht zur anwaltlichen Vertretung wird den Parteien auch bei Verfahren mit einem Streitwert über 5.000 Euro fälschlicherweise suggeriert, dass es sich um einfache Verfahren handele. Dies gefährdet auch das Kräfteverhältnis zwischen den Parteien und die Effizienz des Gerichtsverfahrens“, sagt DAV-Präsident und Rechtsanwalt Stefan von Raumer.
Mit seinem aktuellen Plan suggeriert der Gesetzgeber den Bürgern, dass sie in Fällen mit einem Streitwert bis zu 10.000 Euro keinen Rechtsbeistand benötigen. In der Realität könnte sich dies zu ihrem Nachteil auswirken: „In Zeiten von Google, ChatGPT und Co. erscheint Fachwissen viel greifbarer, als es tatsächlich ist. Juristische Laien überschätzen sich teilweise maßlos“, heißt es in der Stellungnahme des DAV deutlich.
Aufgrund der geplanten Änderung fordert die Anwaltskammer auch eine Anpassung des § 78 ZPO, wonach Anwaltspflicht und Streitwert voneinander entkoppelt werden sollen. Mit anderen Worten: Aus Sicht des DAV ist klar, dass die Streitgrenze bis zu 10.000 Euro reicht, ab Streitwerten von 5.000 Euro sollen Bürger aber wie bisher einen Anwalt beauftragen müssen.
Das zweite Argument des DAV-Präsidenten: Man müsse sich darüber im Klaren sein, „welche Bedeutung ein Gegenstand im Wert zwischen 5.000 und 10.000 Euro für das Leben vieler Menschen hat: Schaut man sich das Nettomedianeinkommen in Deutschland an, kann so eine Summe durchaus vier oder fünf Monatsgehälter bedeuten.“ Insofern besteht eine staatliche Verantwortung gegenüber den Verbrauchern.
Von Raumer betont, dass die anwaltliche Vertretung letztlich auch die Justiz vor Mehrbelastungen schützt. „An dem bekannten Werbeslogan ‚Fragen Sie jemanden, der sich damit auskennt‘ ist viel Wahres dran: Auch Gerichte freuen sich, wenn sie nicht nur Sachbeteiligte vor sich haben, da Verfahren mit anwaltlicher Vertretung deutlich effizienter und ressourcenschonender ablaufen.“ Daher ist eine Entkopplung von Gerichtsaufgaben und Anwaltspflicht für alle Beteiligten von Vorteil.
jb/LTO-Redaktion
Zitiervorschlag
Trotz Anhebung der Streitgrenze auf 10.000 Euro: . In: Legal Tribune Online, 29. Oktober 2025, https://www.lto.de/persistent/a_id/58486 (abgerufen am: 29. Oktober 2025)
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