Die gebührenfinanzierten Rundfunkanstalten könnten durchaus reformiert werden, sagen Anwälte. Sie zeigen aber auch Grenzen auf. Ein aktuelles Urteil könnte noch eine wichtige Rolle spielen.
Selbst die Linken-Politikerin Heidi Reichinnek fand die Entwicklung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zuletzt „höchst problematisch“.
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Es zeichnet sich ein Mentalitätswandel im Verhältnis der Deutschen zu ihren öffentlich-rechtlichen Sendern ab. Seit es das System gibt, gibt es Rufe nach Reformen – doch immer mehr Menschen wollen wirklich, dass sich etwas ändert.
Das haben in den vergangenen Wochen zahlreiche Äußerungen aus ganz unterschiedlichen politischen Lagern gezeigt. Anfang Oktober kritisierte der CDU-Kulturstaatsminister Wolfram Weimer den obligatorischen Rundfunkbeitrag als „Pflichtbeitrag“ – bis auf wenige Stimmen gab es keinen größeren Aufschrei. Selbst die Linken-Fraktionschefin Heidi Reichinnek bezeichnete im September die Entlassung der eher konservativen Journalistin Julia Ruhs aus ihrer eigenen Sendung „Klar“ im Norddeutschen Rundfunk als „höchst problematisch“.
Ein weiteres Zeichen für einen solchen Mentalitätswandel könnte ein Prozess vor dem Bundesverwaltungsgericht in Leipzig sein, bei dem am Mittwoch ein Grundsatzurteil erwartet wird. Eine Frau weigerte sich, den obligatorischen Rundfunkbeitrag von derzeit 18 36 Euro zu zahlen, weil sie das Programm des öffentlich-rechtlichen Senders für politisch unausgewogen hält.
Reformvertrag sieht die Einrichtung eines Medienrates vor
Die Tatsache, dass das Bundesverwaltungsgericht dieses Verfahren überhaupt zugelassen hat, kann als Hinweis darauf verstanden werden, dass sich die Haltung der Gerichte zu dieser Frage ändert. Hubertus Gersdorf, Professor für Medienrecht an der Universität Leipzig, sagte in einem Interview mit der NZZ, dass Gerichte es bislang abgelehnt hätten, dass Beitragszahler „einen Anspruch gegen den öffentlich-rechtlichen Sender haben, den „Auftrag“ zu prüfen und zu erfüllen“. Um diesem Auftrag nachzukommen, bedarf es einer ausgewogenen und vielfältigen Berichterstattung.
Ein grundsätzliches Problem stellt die Datenlage zum öffentlich-rechtlichen Programm dar – es mangelt völlig an empirischen Belegen. Auch wenn sich viele Zuschauer des Eindrucks einer voreingenommenen Berichterstattung nicht erwehren können, müsste zunächst eigenständig ermittelt werden, wie ausgewogen und vielfältig das öffentlich-rechtliche Rundfunkprogramm tatsächlich ist.
Ob dieses Problemfeld tatsächlich die Aufgabe eines Verwaltungsgerichts ist, wird wohl Teil des Leipzig-Urteils sein. Denn der öffentlich-rechtliche Rundfunk verfügt bereits über eigene Kontrollmechanismen in Form von Rundfunkräten. Allerdings hält Gersdorf es für ein „Relikt der Bonner Republik“, das sich „nicht als zuverlässig“ für die Vielfalt im Programm erwiesen habe.
Eine Konsequenz des Urteils könnte eine stärkere „Gleichgewichtskontrolle“ des Programms sein, wie Gersdorf erklärt. Wie dies jedoch aussehen würde, müsste politisch geklärt werden. Der Reformstaatsvertrag, der im Dezember dieses Jahres in Kraft treten soll, gehe bereits in eine „gute Richtung“, sagt Gersdorf. Denn es sieht die Schaffung eines Medienrats vor, der die „Auftragserfüllung“ überwacht.
Allerdings müsste ein solcher Rat außerhalb der öffentlich-rechtlichen Ordnung gebildet werden, was im Reformstaatsvertrag bisher nicht vorgesehen ist. Große Hoffnungen setzt Gersdorf auf eine „externe, professionelle Steuerung“: Sie könne dafür sorgen, dass der Rundfunk seine „Integrationsfunktion“ wieder übernimmt. In anderen Ländern wie der Schweiz, Tschechien und Großbritannien gibt es solche Kontrollräte bereits.
Kritiker sehen in der Doppelstruktur von ARD und ZDF eine teure Sonderoption
Schon vor dem Urteil der Leipziger Richter war klar, dass der öffentlich-rechtliche Rundfunk derzeit Schwierigkeiten hat, seine gesellschaftliche Integrationsfunktion zu erfüllen.
Das zeigen die Diskussionen um den Rundfunkbeitrag. Um die Akzeptanz in der Bevölkerung zu erhöhen, fordert Medienrechtsexperte Gersdorf eine „grundlegende Strukturreform“ des öffentlichen Rechts.
Doch einer grundlegenden Reform des öffentlich-rechtlichen Rundfunks sind rechtliche Grenzen gesetzt. Eine vollständige Abschaffung wäre laut Anwalt Hubertus Gersdorf rechtswidrig. Die Rundfunkfreiheit ist im Grundgesetz verankert. Daraus wurde in verschiedenen Urteilen des Bundesverfassungsgerichts abgeleitet, dass der Staat positive Rahmenbedingungen schaffen muss, um diese Freiheit – und damit die Existenz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks jenseits des Marktes – zu gewährleisten. Erst 1984 wurden private Rundfunkdienste erstmals zugelassen.
Der öffentlich-rechtliche Rundfunk bietet derzeit eine Vielzahl an Angeboten, Sendern und Programmen. Auf Landesebene gibt es verschiedene Institutionen wie beispielsweise den RBB für die Bundesländer Berlin und Brandenburg. Sie haben ihre Grundlage in den jeweiligen internationalen Verträgen. Auf Bundesebene gibt es ARD und ZDF sowie den Deutschlandfunk und Landesradios. Viele Reformvorschläge sehen die Zusammenlegung und Straffung dieser umfangreichen Rundfunkorganisation vor.
Aufgrund der Doppelstruktur von ARD und ZDF wird das deutsche Rundfunksystem von Kritikern teilweise als teure Sonderoption bezeichnet. Politiker der CDU Sachsen-Anhalt, die zu den schärfsten Kritikern des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zählen, forderten, dass die ARD 2022 als bundesweiter Sender aufgelöst werden solle und nur noch das ZDF als bundesweiter Sender bestehen bleiben solle.
Kündigung von Staatsverträgen? „Nichts soll das Alte ersetzen“
Auch der Vorschlag, das ZDF abzuschaffen oder zu verkaufen, kursiert. Der Wirtschaftswissenschaftler Justus Haucap sagte letztes Jahr in einem Interview, er könne sich „sehr gut vorstellen, ZDF an Privatinvestoren zu verkaufen. Die Marke wäre gefragt.“ Haucap und mehrere andere renommierte Juristen und Ökonomen hatten ein Reformpaket zur Rettung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks vorgeschlagen.
Rechtlich wäre die Abschaffung eines Landessenders möglich, sagt der Leipziger Anwalt Gersdorf, solange es nicht um den öffentlich-rechtlichen Rundfunk als solchen gehe. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genieße es eine „Bestands- und Entwicklungsgarantie“, sagt Gersdorf.
Das bedeutet, dass einzelne Bundesländer ihre Staatsverträge kündigen könnten, wie nicht nur die AfD-Landesverbände, sondern auch CDU-Politiker in einigen ostdeutschen Bundesländern angekündigt haben. Aber dafür müssten sie etwas Neues schaffen. „Nichts sollte das Alte ersetzen.“
Zudem sei rechtlich „völlig unklar“, was genau unter die Garantien fällt. Also auch, um wie viel die Sendelautstärke reduziert werden könnte. Dennoch dürften die Forderungen des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke vor der Landtagswahl im vergangenen Jahr, den öffentlich-rechtlichen Sender auf zehn Prozent seiner jetzigen Größe zu verkleinern, vor Gericht kaum Bestand haben.
Denn ein „Basisradio“, das nicht nur Höcke im Sinn hat, entspricht nicht der vom Verfassungsgericht definierten „Grundversorgung“, die der öffentlich-rechtliche Rundfunk gewährleisten muss. „Grundversorgung bedeutet nicht Minimalversorgung“, sagt Gersdorf. „Alle Themen – Bildung, Beratung, Information, aber auch Unterhaltung – müssen angemessen berücksichtigt werden.“