Wird Michel Barnier, der erst vor drei Monaten zum französischen Premierminister ernannt wurde, am Ende der Woche noch im Amt sein? Und es schaffen, ein Haushaltsgesetz für 2025 zu verabschieden, das das hochverschuldete Land auf Sparkurs bringt?
Wahrscheinlich nicht. Denn am Montagnachmittag kündigte Marine Le Pen, die mächtige Fraktionschefin des rechtsextremen Rassemblement National (RN), an, ein konstruktives Misstrauensvotum einzureichen und mit der Linken zu stimmen.
Sie und Barnier feilschten bis zum Schluss miteinander, bevor er am Montagnachmittag der Nationalversammlung das Sozialhaushaltsgesetz vorlegte. Er brachte es schließlich ohne Schlussabstimmung durch das Parlament, indem er Verfassungsartikel 49.3 anwandte, wonach Haushaltstexte ohne Abstimmung als angenommen gelten. Die extrem linke La France Insoumise (LFI) reichte daraufhin einen Misstrauensantrag ein, über den diese Woche abgestimmt wird. Le Pen kündigte ihren eigenen Antrag an und sagte, sie werde ebenfalls mit der Linken stimmen.
Barnier hat sie tagelang gefahren
Tagelang hatten Le Pen und ihre Kollegen den Druck erhöht, indem sie andeuteten, sie wollten für den Sturz der Regierung stimmen. Angesichts der Unbeweglichkeit von Barnier sei dies praktisch unvermeidbar geworden, sagte RN-Chef Jordan Bardella am Montagmorgen – es sei denn, es gebe ein „Last-Minute-Wunder“.
Vor einer Woche hatte der Regierungschef in einem Fernsehinterview vor einem „Gewitter“ und „schweren Turbulenzen auf den Finanzmärkten“ gewarnt, sollte sein Sparhaushaltsbeschluss scheitern.
Dadurch soll die Neuverschuldung im Jahr 2025 von gut sechs auf fünf Prozent der Wirtschaftsleistung gesenkt werden. Frankreich hat Rekordschulden von 3,2 Billionen Euro.
Mehrere Anforderungen des RN wurden erfüllt
Um seine Kompromissbereitschaft zu demonstrieren, kam der ehemalige EU-Kommissar und Brexit-Unterhändler der RN als größter Einzelpartei in der Nationalversammlung in mehreren Punkten entgegen. Er verzichtete unter anderem auf Erhöhungen der Stromsteuer und Zuzahlungen für verschreibungspflichtige Medikamente.
Von Anfang an galt er als Premierminister „von Le Pens Gnaden“, weil sie versprochen hatte, Barnier im Gegensatz zu anderen Kandidaten zumindest eine Chance zu geben.

© REUTERS/Stephanie Lecocq
Seine Mitte-Rechts-Regierung verfügt über keine eigene Mehrheit und das Bündnis aus linken und grünen Parteien will ihn stürzen, weil es im Sommer die Parlamentswahlen gewonnen, aber keinen Regierungsauftrag von Präsident Emmanuel Macron erhalten hat.
Um die Regierung zu stürzen, bräuchte es die Stimmen der Rechtsextremisten, die also das Zünglein an der Waage wären.
Neue Härte seit dem bevorstehenden Gerichtsurteil
Le Pen tritt mit neuer Härte auf, seit die Staatsanwaltschaft im Prozess wegen Veruntreuung von EU-Geldern gegen sie und andere Parteikollegen den Entzug des passiven Wahlrechts mit sofortiger Wirkung gefordert hat.
Wenn das Gericht dem nachkommt, wird sie bei den nächsten Wahlen nicht mehr kandidieren dürfen. Das Urteil wird am 31. März verkündet. Beobachtern zufolge könnte es versuchen, die Regierung und Präsident Emmanuel Macron schnell zu stürzen und vorgezogene Präsidentschaftswahlen zu provozieren.
Die Situation für die RN ist nahezu ideal.
Luis SattelmayerDoktorandin am Centre for European Studies (CEE) an der Elite-Universität Sciences Po Paris
Die Rechtsextremisten wissen, wie sie Macrons aktuelle Schwächung für sich nutzen können, sagt Luis Sattelmayer, Doktorand am Centre for European Studies (CEE) der Pariser Eliteuniversität Sciences Po, im Interview mit dem Tagesspiegel.
„Le Pen ist es gelungen, ihre Machtposition im Parlament zu festigen und von der Seitenlinie ins Zentrum der französischen Politik zu rücken.“ Einerseits rühmt sie sich, von der Regierung Zugeständnisse gefordert zu haben, andererseits wird sie zum Dreh- und Angelpunkt der politischen Entscheidungen des Landes.
„Die Situation für den RN ist nahezu ideal, da die Zeit knapp ist und noch vor Weihnachten über den Haushalt abgestimmt werden muss“, erklärt Sattelmayer.
Le Pen hat wenig zu verlieren, denn das Risiko, für das politische und wirtschaftliche Chaos verantwortlich gemacht zu werden, bleibt überschaubar. Schuld an der schwierigen Lage sehen die Menschen in erster Linie bei der Regierung und dem Präsidenten selbst.
Einer Umfrage zufolge wollen 53 Prozent der Franzosen den Sturz Barniers und sogar 62 Prozent den Sturz Macrons.
