Bei fast jeder großen Modenschau sitzt eine Frau mit Bob-Schnitt und übergroßer Sonnenbrille in der ersten Reihe.
Sie ist natürlich die ikonische Anna Wintour, Chefredakteurin des Magazins „Vogue“.
Seit über drei Jahrzehnten steht Wintour an der Spitze der amerikanischen „Vogue“ – sie betreut auch den Inhalt aller Magazine des Unternehmens Conde Naste, dem die Modebibel gehört.
Am 3. November wird die Stilmogulin 75 Jahre alt. Sie zeigt keine Anzeichen einer Entschleunigung.
Wintour hat nicht nur die Art und Weise beeinflusst, wie sich die Menschen in den USA kleiden, sie war auch an der Gestaltung der Mode auf der ganzen Welt beteiligt, unter anderem in Afrika und Indien.
Natürlich ist ihr fortwährendes Vermächtnis nicht ohne Kritik.
Ist Wintour wirklich „der Teufel, der Prada trägt“?
Es gibt zahlreiche Spekulationen darüber, ob der herzlose Antagonist im Film „Der Teufel trägt Prada“ von 2006 – und im gleichnamigen Buch der Wintour-Assistentin Lauren Weisberger – direkt von der Chefredakteurin der „Vogue“ inspiriert wurde.
Im Film terrorisiert eine skrupellose Modebossin, gespielt von Meryl Streep, ihre Angestellten.
Während Wintour selbst das Buch und den Film als „Fiktion“ bezeichnete, bestätigt eine Biografie von Amy Odell aus dem Jahr 2022, dass die Modefanatikerin eine Assistentin hatte, die dafür sorgte, dass ihr tägliches Frühstück aus extraheißem Grande Starbucks Latte und Blaubeermuffin auf ihrem Schreibtisch wartete.
So wahr die Behauptung auch sein mag, dass Wintour mehr als nur eine lose Inspiration für den Erfolgsfilm war, so spiegelte die Figur doch die Fähigkeit des „Vogue“-Chefs wider, die Modewelt zu beherrschen.
Fast 40 Jahre als „Vogue“-Chef
Wintour wurde 1949 in eine wohlhabende Londoner Familie hineingeboren. Ihr Vater, ein Herausgeber der Tageszeitung „London Evening Standard“, verhalf ihr im Alter von 20 Jahren zu ihrem ersten Job als Modeassistentin beim Magazin „Harpers & Queen“. 20.
Schließlich zog sie mit ihrem damaligen Partner nach New York City und stieg bei einer Reihe von Publikationen weiter die Redaktionsleiter hinauf.
1988 wurde ihr die Position bei der US-amerikanischen Vogue angeboten, die sie nun „auf unbestimmte Zeit“ innehat – wie Condé Naste vor einigen Jahren inmitten einer Flut von Gerüchten über den Ruhestand erklärte.
Als Wintour die Leitung des berühmten Modemagazins übernahm, wurden seine Werbeeinnahmen durch ein neues Frauen-Lifestyle-Magazin, „Elle“, gefährdet.
Doch dank Wintour hat sich „Vogue“ eine eigene Nische geschaffen und die Nase vorn.
Die Veröffentlichung entfernte sich davon, nur noch Models auf dem Cover zu zeigen. Prominente Frauen in der Politik und in Hollywood wie Angelina Jolie und Hillary Clinton hatten bald Starauftritte.
Auf den Covern der „Vogue“ waren seitdem Männer wie Timothee Chalamet und sogar prominente Aktivisten wie der Transgender-LGTBQ+-Aktivist Ariel Nicholson zu sehen.
Die 102-jährige Holocaust-Überlebende und Fürsprecherin Margot Friedländer wurde Anfang des Jahres in der deutschen „Vogue“ vorgestellt.
Und wer kann die Kontroverse um das „Vogue“-Cover von Kamala Harris vergessen?
Wintour half der Muttergesellschaft des Magazins, Condé Naste, bei der Einführung einer Reihe von Spin-off-Magazinen, darunter „Teen Vogue“, das 1993 in die Regale kam.
Sie machte sich mit dem Magazin auch einen Namen, indem sie es mit einer Reihe hochwertiger philanthropischer Veranstaltungen in Manhattan in Verbindung brachte, insbesondere mit der Met Gala, die sie in eine mit Stars besetzte Promi-Veranstaltung verwandelte, die als die Antwort der Ostküste auf die Oscars bekannt ist.
Wintour wird für ihre Fähigkeit gelobt, die Modewelt mit Hollywood zu verbinden und Modedesignern und Marken dabei zu helfen, die Öffentlichkeit zu erreichen.
Wintour macht „Vogue“ zu einer globalen Marke
Die ursprüngliche US-Ausgabe der „Vogue“ erschien erstmals 1892, die britische Ausgabe folgte 1916.
Derzeit gibt es über 28 internationale Ausgaben des Magazins „Vogue“. Die Expansion der Marke hat die globale Modeszene geprägt.
Die redaktionellen Entscheidungen von Wintour haben eine Rolle dabei gespielt, wie die Zeitschriften in ihren jeweiligen Ländern agieren.
Der Start von „Vogue Africa“ im Jahr 2021 trug dazu bei, afrikanische Designer ins internationale Rampenlicht zu rücken.
Unterdessen startete „Vogue“ India im Jahr 2007 unter Wintours persönlicher Führung.
Die indische Ausgabe hat seitdem dazu beigetragen, das Land als wichtigen Akteur in der Modebranche zu positionieren und die Verschmelzung traditioneller indischer Kleidung mit zeitgenössischen Stilen zu fördern.
Nicht genug für Vielfalt tun
Dennoch ist Wintours Herrschaft nicht ohne Kontroversen.
Der US-amerikanischen „Vogue“ wird vorgeworfen, farbige Menschen unterrepräsentiert zu haben und nicht genug zu tun, um die Vielfalt in der notorisch privilegierten und versnobten Welt der Mode zu feiern.
Die Branche ist, wie andere auch, zu mehr Inklusion aufgerufen, insbesondere seit der Ermordung von George Floyd im Jahr 2020.
„Vogue“ hat sich in den letzten Jahren verstärkt darum bemüht, schwarze Frauen wie die Popsängerin Rhianna und die ehemalige First Lady Michelle Obama auf dem Cover zu platzieren, und Wintour selbst veröffentlichte eine Erklärung zur Unterstützung der Black Lives Matter-Bewegung.
Kritiker sagen jedoch, dass Wintour die Macht hat, noch viel mehr zu tun.
Eine Studie des digitalen Medienunternehmens „The Pudding“ fanden heraus, dass zwischen 2000 und 2005 nur 3 von 81 Models auf den Covern der „Vogue“ Schwarze waren.
Solche Zahlen deuten darauf hin, dass die 36 Jahre mit Wintour an der Spitze den Status quo nicht wesentlich verändert haben, da Weiße immer noch die Titelseiten der Modebranche dominieren.
Ein Artikel der „New York Times“ aus dem Jahr 2020 über Conde Nast schilderte ausführlich die Erfahrungen schwarzer ehemaliger Mitarbeiter.
Unter anderem sagten sie, sie seien „mit Unwissenheit und faulen Stereotypen seitens weißer Chefs konfrontiert gewesen, als das Thema der Berichterstattung über die schwarze Kultur zur Sprache kam.“
Kritik an „Vogue“ wird nicht einfach dem US-Magazin überlassen, das Wintour herausgibt. Schließlich ist sie für die Betreuung aller internationalen Inhalte verantwortlich.
Ein Cover der britischen „Vogue“ aus dem Jahr 2022 mit neun Models aus Afrika geriet in die Kritik, weil es westliche Schönheitsideale hochhielt und Schwarzheit fetischisierte – alle Models trugen Frisuren im westlichen Stil und ihre Haut soll dunkler geschnitten worden sein.
Vorerst behält Wintour ihren Posten weiterhin „auf unbestimmte Zeit“.
Während ihre Leistungen als starke Redaktionsleiterin und geschäftstüchtige Führungskraft lobenswert sind, könnte die nächste Generation bald berufen werden, die Führung zu übernehmen und eine neue Perspektive in die einflussreichste Modezeitschrift der Welt einzubringen.