Friedrich Merz fordert mehr Leistung im Land. Seine Forderungen haben mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen nichts zu tun, sagt unser Gastautor.
Ein Gastbeitrag des SPD-Bundestagsabgeordneten Macit Karaahmetoğlu.
Friedrich Merz schien sich nicht besonders gut zu fühlen, als er am vergangenen Wochenende die Bühne beim Deutschlandtag der Jungen Union betrat. Sein Marsch durch die Menge im Boxer-Stil wurde nicht nur vom wummernden Bass einer Rap-Version des Grönemeyer-Hits „Time for Something to Turn“ begleitet. Aber auch vor unzähligen Leibwächtern, die ihn vor den jungen Parteimitgliedern schützten. Man konnte den Eindruck gewinnen, dass sich der Parteichef angesichts der vielen jungen Menschen unsicher fühlte.
Friedrich Merz „praktiziert Sozialstaats-Bashing“
In seiner Rede wechselte er willkürlich zwischen „Sie“ und „Ihr“ sowie „Meine Damen und Herren“ und „Liebe Freunde“. Auch wenn der Kanzlerkandidat der Union – zu diesem Anlass ausnahmsweise ohne Unentschieden – den Eindruck erwecken wollte, dass alles anders sei, ist die Jugend weder seine Welt noch seine Komfortzone. Was mir an Merz immer wieder auffällt, ist, dass der Mann irgendwie seltsam ist und daher eine andere Sicht auf die Lebenswirklichkeiten vieler Menschen in unserem Land hat.
Er wirft den Empfängern von Bürgergeld gerne pauschal vor, dass sie darin ein bedingungsloses Grundeinkommen sehen. Mittlerweile ein Merz-Klassiker: die Behauptung, Asylbewerber würden Deutschen Zahnarzttermine wegnehmen. Und seiner Meinung nach wird in unserem Land ohnehin zu wenig getan. Dieser Kanzlerkandidat betreibt völlig schmerzloses Sozialstaats-Bashing und stellt gerne das oberste Prozent unserer Gesellschaft, also die absoluten Spitzenverdiener, als die wahren Leistungsträger unseres Landes dar. In der sozialdemokratischen Idee für die kommenden Jahre, 95 Prozent der Bevölkerung steuerlich zu entlasten, während besagtes 1 Prozent etwas mehr zahlen soll, sieht Merz einen Angriff auf den Mittelstand.
Merz gegen Scholz: „Es klingt, als ob er diesen Mann verachtet“
In einem Interview aus dem Jahr 2018 hat er sich übrigens auch selbst mit einbezogen. Im selben Interview verriet er, dass er rund eine Million Euro im Jahr verdient. Friedrich Merz und die Lebenswelten – das ist eine Sache. Merz besitzt ein Privatflugzeug und soll in einer zehnjährigen Pause aus der Politik ein beachtliches Vermögen angehäuft haben – als Partner einer Wirtschaftskanzlei, aber auch als Mitglied im Aufsichtsrat von Privatbanken, Vermögensverwaltungsgesellschaften, der Deutschen Börse Börse, Versicherungen und ein Flughafen.
Diese Goldrausch-Phase bezeichnete er jüngst als „Teil der Lebenserfahrung“, was er im gleichen Atemzug dem amtierenden Kanzler absprechen möchte. Er entschloss sich, ein „langfristiger und alleiniger Berufspolitiker“ zu werden. Es klingt, als würde er diesen Mann, Olaf Scholz, dafür verachten, dass er kein Geld auf die Karte setzt, sondern sein Leben in den Dienst der Gesellschaft stellt. Und es stimmt: Weder als Anwalt, der sich vor allem für die Arbeitnehmer einsetzte, noch als Hamburger Bürgermeister oder Arbeits- und Finanzminister der Bundesrepublik war Olaf Scholz aus gesellschaftlicher Sicht ein Spitzenverdiener.
Selbstgefällig betonte sein Vater vor einigen Jahren in einem Interview, dass Olaf Scholz als Kanzler von seinen drei Söhnen am wenigsten verdient habe. Und doch ist Berufspolitiker Scholz in schwierigsten Zeiten mit beispiellosen Krisen konfrontiert und hält Deutschland auf Kurs. Unabhängig von seinem Einkommen ist er, wie viele Millionen hart arbeitende Menschen in unserem Land, ein Leistungsträger. Der Millionär Merz hingegen betritt die Bühne der Jungen Union und stellt den Beginn von Putins völkerrechtswidrigem Angriffskrieg als eine „Chance“ dar, die Scholz nicht genutzt habe, um Deutschland auf eine „neue“ Bühne zu stellen Kurs“ im Bereich der Verteidigungspolitik und darüber hinaus.
Der Mann ist wirklich seltsam. Solche Verzerrungen der politischen Realitäten sind einfach geschmacklos – insbesondere nach 16 verlorenen Jahren für die Bundeswehr unter dem CDU/CSU-geführten Verteidigungsministerium. Vor der bevorstehenden Bundestagswahl sollten sich die Menschen in Deutschland tatsächlich fragen, welche Lebenserfahrung sie im Amt des Kanzlers repräsentiert sehen wollen – die des Mannes mit Millionen auf der Bank oder die des Mannes, der sein politisches Engagement für unser Land unter Beweis stellt Er hat sein einziges Lebensziel erreicht und sich bereits fast jeder Herausforderung im Regierungshandeln gestellt. Ohnehin hat nur einer der beiden einen Bezug zur Mehrheit der Bevölkerung und ein Verständnis für deren Lebensrealität.