Das Beraterteam von Katherina Reiche kritisiert in einem Bericht die mangelnde deutsche Innovationskraft im Hightech-Bereich. Mittelständische Unternehmen konzentrieren sich zu sehr auf traditionelle Branchen.
Berlin – Der innovative deutsche Mittelstand gilt als Rückgrat der Wirtschaft. Doch laut dem Bericht „Wachstumsagenda für Deutschland“ des Beraterstabs von Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) liegt genau in dieser Struktur die Wachstumsbremse. Der Vorwurf der Top-Ökonomen um Veronika Grimm lautet, dass zu wenige Unternehmen in den Hightech-Branchen tätig seien. Bahnbrechende Innovationen entstehen selten – meist wird nur Feinschliff vorgenommen.
Reiches Bericht kritisiert die mittlere Technologiefalle – Deutschlands Unternehmen seien nicht innovativ genug
Vielmehr konzentrieren sich Deutschlands Unternehmer auf traditionelle Branchen wie die Automobilindustrie oder den Maschinenbau. Sie integrieren mittlerweile häufiger Technologien aus den USA und Asien, anstatt eigene Plattformen und Standards zu entwickeln. Die Autoren nennen dies die Mitteltechnologiefalle: Europa verbessert nur Technologien, die seit zwei Jahrzehnten existieren, entwickelt aber selten die Grundlagen dahinter weiter. Dies zeigt sich insbesondere in der Forschung und Entwicklung für Software und Deep Tech.
Im Jahr 2013 lagen Europa und die USA hinsichtlich der F&E-Intensität noch auf einem ähnlichen Niveau. Heute hat sich eine deutliche Lücke aufgetan. US-Konzerne haben ihre Software- und KI-Budgets deutlich ausgeweitet. Europa investiert relativ mehr in traditionelle Industrien. Seitdem dominieren US-amerikanische und zunehmend auch chinesische Technologieunternehmen die globalen Rankings der größten F&E-Investoren.
Software schlägt Autos: Wie US-Tech-Giganten davonziehen und Europa sichtbar hinterherhinkt
Europäische Unternehmen tauchen seltener in den Spitzenrängen auf – und wenn doch, dominieren immer noch Automobilunternehmen. In den USA wurden diese längst von Tech-Unternehmen wie Google, Microsoft, Apple und Nvidia abgelöst. Die Erkenntnisse sind allerdings nicht neu und basieren auf dem EIB-Investitionsbericht 2024/25 der Europäischen Investitionsbank und unter anderem einer Auswertung des ifo-Instituts unter der Leitung von Präsident Clemens Fuest aus dem Jahr 2024.
Demnach entfallen auf die USA rund 74 Prozent der weltweiten F&E-Ausgaben führender Unternehmen im Software- und Computerdienstleistungssektor. China kommt auf rund 14 Prozent. Die EU liegt bei rund sechs Prozent. In ihrem Papier schätzen Fuest und seine Co-Autoren die Verteilung der Unternehmensinvestitionen in Forschung und Entwicklung innerhalb der EU auf 45 Prozent zwischen High- und Mid-Tech.
In Deutschland dominiert der Midtech-Bereich: starker Maschinenbau, Hochtechnologie mit zu wenig Kapital und Talenten
In Deutschland fließen allerdings nur 36 Prozent in Hochtechnologie wie Software, IT, Halbleiter, Biotech und Pharma. Im Gegensatz dazu tätigen die Unternehmen rund 57 Prozent ihrer Investitionen in mittleren Technologiebereichen wie Automotive, Maschinenbau oder Chemie. Allerdings ist zu beachten, dass die Trennlinie zwischen Mittel- und Hochtechnologien oft fließend bleibt – die beiden Bereiche vermischen sich zunehmend. Teile des Maschinenbaus arbeiten bereits mit einer tiefen Softwarekomponente und eingebetteten Systemen – und auch die Automobilindustrie ist in diesem Bereich aktiv.
Nach Ansicht der Reichsökonomen bremsen insbesondere Umverteilungs- und Regulierungsprobleme Innovationen im europäischen Hightech-Bereich. Dies bedeutet, dass es in Europa nicht zu einer notwendigen Umverteilung von Arbeit und Kapital in High-Tech-Bereiche kommt. Deshalb fordern sie eine dezentrale, wettbewerbsorientierte Entdeckung inklusive umfassendem Strukturwandel statt einer hohen Regulierung.
Einhornquote als Beweis: Kapital und Talente schneller in Hightech-Bereiche und neue Märkte lenken
Das zeigt sich auch bei Unicorns: Dabei handelt es sich um Privatunternehmen mit einer Bewertung von über einer Milliarde US-Dollar vor ihrem Börsengang. Laut der CB Insights Global Unicorn Club-Liste gibt es in Deutschland derzeit nur 32 und in der gesamten EU mindestens 110. Doch im Vergleich zu den USA (712) und China (157) deutet diese Zahl laut Grimm und Co. auf eine deutlich schwächere Gründungsdynamik hin. Der Bericht schlägt schnellere Genehmigungen und niedrigere Fixkosten vor, um die Experimentiergeschwindigkeit zu erhöhen. Dieser Aspekt ist zentral für sogenannte Sprunginnovationen, die im Hightech-Bereich in den USA seit mehreren Jahrzehnten florieren.
Die Autoren weisen zudem auf die Bedeutung der Europäischen Kapitalmarktunion hin. Ohne tiefere Kapitalmärkte fehlt jungen Technologieunternehmen die Wachstumsfinanzierung. Die Folge ist eine Lücke in späten Finanzierungsphasen. Projekte wandern ab oder bleiben zu klein – oder werden in den Schlüsselindustrien einfach nicht gestartet.