Zwei Monate vor Weihnachten schickte die Bundesregierung ihre Wunschliste für den sogenannten digitalen Omnibus nach Brüssel. Und da ist einiges drin: Auf gut zehn Seiten ist ausführlich notiert, welche Änderungen sie sich bei der geplanten Überarbeitung der Digitalgesetzgebung durch die EU-Kommission wünscht. Allerdings sind die Änderungswünsche zum Teil gravierend und gehen in ihrer Wirkung weit über die in solchen Verfahren eigentlich üblichen kleineren Änderungswünsche hinaus. Auch deshalb wurde in der Bundesregierung wochenlang intensiv verhandelt.
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Berlin für Aufschub der Hochrisiko-KI-Regulierung
Besonders lang ist die Liste der Änderungswünsche zur KI-Verordnung. Bei seiner Verabschiedung waren die Mitgliedsstaaten zunächst stolz darauf, eine neue Technologie frühzeitig zu regulieren. Nun stehen wesentliche Änderungen an. Der wohl wichtigste Vorschlag: Für die beiden Hochrisikogebiete der Anlagen I und III der KI-VO sollte die Antragstellung um ein Jahr verschoben werden. Anhang I deckt eine Reihe von Systemen ab, die bereits anderswo geregelt sind, darunter Spielzeug und Motorboote. Anhang III umfasst unter anderem biometrische Überwachungssysteme und kritische Infrastrukturen.
Der Vorschlag, den Digitalminister Karsten Wildberger vor einigen Monaten erstmals vorgelegt hat, sieht nun vor, dass die erweiterte Regelung im Rahmen der KI-Verordnung ein Jahr später, also erst 2027 statt 2026, greift. Darüber hinaus schlägt die Bundesregierung vor, die Kriterien zur Feststellung, ob ein General-Purpose-KI-Modell (gpAI) über „hochwirksame Fähigkeiten“ verfügt und daher als gpAI-Modell mit systemischem Risiko eingestuft wird, zu überarbeiten. Bisher wurde dieser vor allem durch den Schwellenwert der Rechenleistung für den Trainingsdatensatz definiert, was von Anfang an für Kritik sorgte. Hier will die Bundesregierung künftig über die reine Rechenleistung hinaus differenzieren.
Einzelne Löschungen mit großen Auswirkungen
Die Forderung, die Folgenabschätzung für Hochrisiko-Menschenrechtssysteme ersatzlos zu streichen, dürfte für einige Diskussionen sorgen. Die Frage, ob algorithmisch „erlernte“ oder durch Trainingsdatensätze geförderte Diskriminierung fortbesteht oder konzentriert wird und ob außereuropäische Modelle aktiv im Widerspruch zu europäischen Werten gestaltet wurden, war bei der Genese der KI-Regulierung von großer Bedeutung.
Berlin möchte zudem weitere Ausnahmen für die Forschung etablieren. Die Bundesregierung schlägt vor, die Forschungsverbesserung in Artikel 2 der KI-Verordnung künftig auch in realen Anwendungen beizubehalten – was bisher nicht zulässig war. Da es sich bei der Ausbildung von KI-Modellen jedoch immer um Forschung und Entwicklung handelt und die Ausnahme nicht auf Forschungseinrichtungen beschränkt ist, könnte dies de facto eine vollständige Erosion der Vorschriften bedeuten.
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KMU-Ausnahmen würden die KI-Verordnung untergraben
Die Bundesregierung schlägt außerdem vor, dass die Ausnahmen nach Artikel 63 Absatz 1 der KI-Verordnung nicht nur für Kleinstunternehmen, also Unternehmen mit weniger als 10 Mitarbeitern und einem Jahresumsatz von weniger als 2 Millionen Euro, gelten sollen, sondern für alle sogenannten kleinen und mittleren Unternehmen. Hierzu zählen Unternehmen mit einem Jahresumsatz von bis zu 50 Millionen Euro und bis zu 249 Mitarbeitern. Würden auch KMU ausgenommen, wären laut EU-Statistik 99 Prozent der Unternehmen in der EU von vielen Pflichten im KI-Gesetz ausgenommen. Der Berliner Beitrag für Brüssel lässt außer Acht, dass die bisherigen Kriterien bereits ihre Tücken haben, da Digitalunternehmen auch mit wenigen Mitarbeitern und formal niedrigen Jahresumsätzen schnell große Wirkung entfalten können.
Die Regierung äußert außerdem den Wunsch, einheitliche Begriffe über verschiedene Rechtsakte hinweg zu definieren. Bislang gab es einige Begriffe, die denselben Namen tragen, aber je nach Gesetz unterschiedlich definiert werden – im Papier der Bundesregierung wird die Definition des Inverkehrbringens eines Modells oder notwendiger Sicherheitsmaßnahmen zwischen der KI-Verordnung und der Maschinenverordnung erwähnt.
Fragwürdiger Cookie-Kompromissvorschlag
Auch über das KI-Gesetz hinaus hat Berlin Vorschläge für gesetzliche Änderungen gemacht. Während sich die Bundesregierung in ihren Vorschlägen zum Omnibus zum Thema Datenschutz zurückhaltend verhält und sich nur vage für eine möglichst weitreichende Ausnahme für kleine, mittlere und risikoarme Datenverarbeitungen ausspricht, drängt sie auch auf eine Änderung der E-Privacy-Richtlinie: „Eine Einwilligung ist nicht erforderlich, wenn die technische Speicherung oder der Zugriff offensichtlich keine Auswirkungen auf die Privatsphäre und den Datenschutz hat“, heißt es in dem Papier. Auch den Bundesministerien dürfte bewusst gewesen sein, dass diese Klarheit selten gegeben ist. Mittelfristig wünscht sich Deutschland eine stärkere Berücksichtigung der Wettbewerbsfähigkeit im Datenschutzrecht – allerdings ohne eine Absenkung des Niveaus. Wie das funktionieren soll, verrät die Stellungnahme allerdings nicht.
Konkreter sind die Vorstellungen, mit denen die Bundesregierung das Datengesetz überarbeiten will: Von der Definition dessen, was genau unter dieses Gesetz fällt, über die damit verbundenen Pflichten bis hin zur Löschung ganzer Teile und der Abschaffung der Regelung zum freien Verkehr nichtpersonenbezogener Daten in der EU – hier sind die Ideen, die Berlin nach Brüssel geschickt hat. Offenbar herrscht in Berlin der Eindruck vor, dass die verschiedenen Regulierungsstränge, an denen alle bisherigen Bundesregierungen beteiligt waren, derzeit vor allem für Chaos sorgen.
Nur wenn es um den Staat selbst als Akteur geht, ist die Wunschliste besonders spärlich: Beim Thema Verwaltungsdigitalisierung bleibt Berlin in seiner Aussage vage: Der Wunsch sei, dass die unterschiedlichen Regelungen hier besser aufeinander abgestimmt werden sollten. Die EU-Kommission will ihre eigenen Pläne am 19. November vorstellen, und die Beteiligten hoffen, dass das als „Digitaler Omnibus“ bezeichnete Artikelgesetz relativ schnell verabschiedet werden kann, korrigiert um umstrittene Punkte.
(emw)
