Rund 256.000 wehrpflichtige Ukrainer leben in Deutschland und werden in ihrer Heimat gebraucht. Die Opposition verlangt nun, dass die Bundesregierung ihren Bürgern notfalls Leistungen kürzt.
Viele Ukrainer kämpfen seit zwei Jahren ununterbrochen an der Front – ohne Urlaub, ohne Ruhe. Es gibt jeden Tag Todesfälle. Die ukrainische Armee braucht daher dringend neue Kämpfer, und zwar viele. Allein um Verluste auszugleichen und die Truppe zu entlasten, sind bis zu 500.000 Soldaten nötig.
Weil die Not so groß ist, wirft die Regierung nun auch einen Blick auf die rund 256.000 in Deutschland lebenden Wehrpflichtigen. Sie sollten nicht länger verschont bleiben.
Nach langem Ringen hat das ukrainische Parlament ein strengeres Mobilisierungsgesetz verabschiedet. Wer 25 Jahre alt ist, kann nun zwei Jahre früher als bisher an die Front geschickt werden. Der Grundwehrdienst muss ab dem 18. Lebensjahr abgeleistet werden. Alle Wehrpflichtigen müssen sich innerhalb bestimmter Fristen bei den Militärkommissariaten melden. Der Abrufauftrag kommt nicht mehr per Post, sondern per E-Mail – und erreicht damit Ukrainer im Ausland problemlos. Es gibt auch ein entscheidendes Detail: Männer im Alter zwischen 18 und 60 Jahren erhalten in Botschaften im Ausland keine Papiere mehr und der konsularische Dienst wurde eingestellt.
Der ukrainische Außenminister Dmitro Kuleba schrieb zum Thema „So funktioniert das nicht.“ Unser Land befindet sich im Krieg.“ Das galt auch für die Ukrainer in Deutschland. An anderer Stelle schien es, als würde Kuleba die Bundesregierung verantwortlich machen. „Wir rechnen damit“, sagte er, „dass auch andere Staaten unseren Standpunkt zu diesen ukrainischen Männern teilen.“ Militäralter.“
Deutschland befindet sich daher in einem politischen und moralischen Dilemma. Sollte Berlin auf der Erfüllung der Passpflicht bestehen, müssten ukrainische Männer ihre Dokumente zu Hause erneuern. Andernfalls würden sie sich illegal in Deutschland aufhalten, was kein Land will. Zu Hause droht ihnen jedoch ein Einberufungsbefehl.
Wenn deutsche Behörden jedoch Ersatzdokumente ausstellen, bietet der Bund Wehrpflichtigen Schutz und damit die Möglichkeit, den Wehrdienst dauerhaft zu vermeiden. Deutschland würde gegen den ausdrücklichen Willen der Ukraine vorgehen.
Der Schutzstatus der Ukrainer in Deutschland bleibt bestehen
Das Land muss daher Stellung beziehen. Bisher zappelt die Bundesregierung und vermeidet Entscheidungen. Die Antworten auf die entsprechenden Fragen sind schmallippig. Die Änderungen bei den konsularischen Dienstleistungen hätten keine Auswirkungen auf den Schutzstatus, sagte ein Sprecher des Innenministeriums gegenüber der NZZ. Auch wenn Ausweisdokumente nicht mehr gültig sind, ist dies nicht gefährdet.
Gleichzeitig stellen Ukrainer bereits erste Anträge auf Ersatzdokumente bei deutschen Behörden. Nach den geltenden Vorschriften dürfen Papiere nur dann ausgestellt werden, wenn eine Passverlängerung im Inland unzumutbar ist. Desertion gehört nicht dazu. Ein Asylantrag hat dann keine Chance. Wer den Militärdienst verweigert, gilt nicht als Flüchtling.
Opposition fordert Zivilschutzangebote
Nach Ansicht der Opposition muss nun die Bundesregierung Stellung beziehen. Der Verteidigungspolitiker und Christdemokrat Roderich Kiesewetter sagte der NZZ: „Wir dürfen den Bemühungen der Ukraine nicht in den Rücken fallen.“ Er forderte die Bundesregierung auf, zügig Abkommen mit der Ukraine über die freiwillige Ausreise wehrpflichtiger Männer zu schließen. „Dazu gehört auch die Zusicherung, dass den Männern ein Ersatz im Zivilschutz angeboten wird, wenn jemand nicht an der Front kämpfen möchte“, sagte Kiesewetter.
Liegt ein solches Angebot vor, müssen nach Meinung Kiesewetters die Anreize zur Ausreise erhöht werden, beispielsweise durch die Aussetzung von Bürgergeldern. Es ist auch eine Frage des Zusammenhalts und der Kameradschaft, den Kampf der Ukraine zu unterstützen. Kiesewetter verknüpft dies mit einer stärkeren militärischen Unterstützung des Landes, denn kein Ukrainer würde sich freiwillig auf einen aussichtslosen Kampf einlassen. Wenn Deutschland zur Rückkehr der Ukrainer beitragen will, „muss es das Land auch massiv militärisch unterstützen, mit Munition, Taurus und Flugabwehr.“
Allerdings sah sich die Regierungskoalition bislang nicht in der Pflicht, die Ukraine bei der Rekrutierung von Wehrpflichtigen zu unterstützen. „Die Bundesregierung sollte nur dann tätig werden, wenn eine solche Anfrage vorliegt. Das ist noch nicht geschehen“, sagt der liberale Außenpolitikexperte Marcus Faber gegenüber der NZZ. Er weist darauf hin, dass die Ukraine seiner Einschätzung nach weder ein Mobilisierungsproblem noch einen Personalmangel habe. „Es gibt 15 bis 16 Millionen Männer im wehrfähigen Alter“, sagt er. „Bei der Mobilisierung geht es um eine Gerechtigkeitsdebatte.“
Hofreiter: Wehrdienstverweigerungsrecht
Um eine Abschiebung müssen sich die Ukrainer keine Sorgen machen. Der Bundesjustizminister Marco Buschmann stellte Ende letzten Jahres klar: „Es wird nicht so sein, dass wir Menschen gegen ihren Willen zum Wehrdienst oder zur Wehrpflicht zwingen.“
Ähnlich sieht es der Grünen-Politiker Anton Hofreiter. „Grundsätzlich halte ich es trotz aller Dilemmata für sinnvoller, Ersatzdokumente auszustellen“, sagte er in der ARD. „Menschen, die sich nicht in der Lage sehen, sollten nicht zum Kampf gezwungen werden.“ Hofreiter verwies auf das im Grundgesetz verankerte Wehrverweigerungsrecht.
Die Frage ist, wie lange sich die Bundesregierung diese Haltung noch leisten kann. Mit jedem Tag, den der Krieg dauert, werden die Probleme der Ukraine größer. Überall mangelt es an gut ausgebildeten und jungen Soldaten. Die Armee braucht IT-Experten, Ärzte, Sanitäter und Logistiker. Und es gibt kaum noch Freiwillige, anders als zu Kriegsbeginn.
Gleichzeitig fliehen immer mehr Wehrpflichtige illegal über die Grenze nach Polen, in die Slowakei oder nach Moldawien – daran hat auch der verstärkte Grenzschutz bislang nichts geändert. Viele ziehen weiter nach Deutschland. Zu Beginn des Krieges waren 70 Prozent der Flüchtlinge Frauen. Mittlerweile kommen weniger Ukrainer ins Land, aber es sind etwa genauso viele Frauen wie Männer. Die Ukraine kann einen solchen Exodus auf Dauer nicht bewältigen. Der Druck auf die Bundesregierung steigt.