Eigentlich hätte Richard Bruce („Dick“) Cheney als Kriegsverbrecher vor Gericht gestellt und verurteilt werden müssen. Nun ist der ehemalige Vizepräsident von George W. Bush im Alter von 84 Jahren in Freiheit gestorben.
Cheney, geboren 1941 in Nebraska, war ein konservativer Berufspolitiker. Nach dem Studium der Politikwissenschaften in Yale schlug er seinen Weg in Washington – von Praktika bei republikanischen Kongressabgeordneten über Beraterpositionen in der Regierung von Richard Nixon und dem Posten des Stabschefs unter Gerald Ford bis hin zum Verteidigungsminister unter George HW Bush.
Obwohl Cheney selbst nie beim Militär war, galt er stets als Hardliner. Er war verantwortlich für die US-Militäroperation im Jahr 1991, mit der die USA irakische Truppen aus Kuwait zurückdrängten, nicht ohne Bagdad großflächig zu bombardieren. Die Propagandakampagne mit Lügen über das Herausreißen von Föten aus Brutkästen durch die Iraker dürfte auch auf Cheneys Schreibtisch gelandet sein.
Während der Präsidentschaft von Bill Clinton (1993 bis 2001) zog sich Cheney in die Privatwirtschaft zurück und wurde Manager bei Halliburton, einem der Giganten im Ölgeschäft. Dies ist einer der Gründe, warum ihm ein besonderes Interesse am ölreichen Irak nachgesagt wurde. 1997 gehörte Cheney zu den Erstunterzeichnern des Gründungsdokuments des „Project for a New American Century“ (PNAC) – der Grundsatzerklärung der nach Macht strebenden Neokonservativen, zu deren Zielen ein Regimewechsel im Irak und eine massive Erhöhung der US-Militärausgaben gehörten.
Aufstieg und Fall der Neokonservativen
Bei der Wahl im Jahr 2000 kandidierte Cheney als Vizepräsidentschaftskandidat von George W. Bush, dem Sohn seines ehemaligen Chefs im Weißen Haus. Nach der schändlichen Wahlkatastrophe in Florida, in deren Folge Bush vom Obersten Gerichtshof mit einem Vorsprung von 537 Stimmen zum Sieger erklärt wurde, zog Cheney im Januar 2001 als mächtigster Vizepräsident aller Zeiten nach Washington – und platzierte alle seine neokonservativen Kumpanen von der PNAC in den Außen- und Sicherheitsabteilungen der Bush-Regierung.
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 setzte Cheney die Pläne der Neokonservativen um. „Krieg gegen den Terror“, geheime CIA-Gefängnisse, massive Folter von Gefangenen, Guantánamo und die Invasion des Irak, die gegen das Völkerrecht verstößt und auf der Lüge über die angeblichen Massenvernichtungswaffen Saddam Husseins basiert, mit all ihren Kriegsverbrechen und dem Ergebnis, dass Hunderttausende irakische Zivilisten getötet wurden, sind allesamt die Schuld von Cheney und seinem Volk.
Doch alle Versuche internationaler Menschenrechtsorganisationen, Cheney, Bush und dann Verteidigungsminister Donald Rumsfeld als Kriegsverbrecher anzuklagen, scheiterten – auch wenn Rumsfeld aus Angst vor einer Verhaftung auf europäischem Boden eine Zeit lang nicht mehr zum Nato-Hauptquartier in Brüssel reiste.
Nach dem Ende von Bushs Amtszeit im Jahr 2009 zog sich Cheney aus der Politik und dem öffentlichen Leben zurück. Nicht so jedoch seine älteste Tochter Elizabeth, bekannt als Liz, die ebenfalls in der Bush-Regierung tätig war und zunehmend auf der Seite der Republikaner politisch aktiv wurde, bis sie 2016 als Vertreterin von Wyoming in das Repräsentantenhaus gewählt wurde.
Streit zwischen Töchtern und väterlicher Verrat
Mit den katastrophalen Kriegen in Afghanistan und im Irak war der Stern der Neokonservativen längst aus der Öffentlichkeit verschwunden. Mit der Übernahme der Republikanischen Partei durch Donald Trump und seine MAGA-Ideologen war auch dort kein Platz mehr für sie. Liz Cheney gehörte zu den wenigen, die Trump aus den eigenen Reihen kritisierten, und schloss sich 2021 dem zweiten Amtsenthebungsverfahren an. Bei der nächsten Wahl schied sie aus.
Auch Liz Cheney war eine Erzkonservative. Während ihres eigenen Wahlkampfs im Jahr 2016 versuchte sie unter anderem damit zu punkten, dass sie sich gegen die gleichgeschlechtliche Ehe aussprach – in der ihre lesbische Schwester Mary hingegen seit vielen Jahren glücklich mit ihrer Frau Heather zusammenlebt. Cheney, der Mary unterstützt hatte, als sie 2003 im Bush-Cheney-Wiederwahlteam arbeitete, stimmte nun Liz zu. Der Streit sorgte wochenlang für Schlagzeilen, doch die drei versöhnten sich erst Jahre später.
Dick Cheney selbst hat nie einen Hehl aus seiner Verachtung für Donald Trump gemacht. Letztes Jahr forderte er wie seine Tochter die Wahl von Kamala Harris – was wiederum progressive Kräfte auf demokratischer Seite schockierte.
Herzprobleme haben Cheney sein ganzes Leben lang begleitet; Schon als Vizepräsident trug er einen Herzschrittmacher und unterzog sich 2012 einer Herztransplantation. Jetzt ist er an einer Gefäßerkrankung in Kombination mit einer Lungenentzündung gestorben.
