Seit 1988 gibt es die Institution des Gastlandes der Frankfurter Buchmesse. Fünf Tage lang steht die Literatur eines Staates oder einer Sprache im Fokus der weltgrößten Bücherschau, mit eigenem Pavillon zur Geschichte und Kultur des Landes sowie Lesungen und Übersetzungsförderungen. Während große Literaturnationen wie Brasilien, Frankreich oder Italien schon mehrfach Gastland waren, wurde Israel diese Ehre noch nie zuteil.
Nun liegen Organisation und Finanzierung nicht bei der Messe. Die Ehrengäste bezahlen ihren Auftritt selbst. Während viele Kulturminister alles daransetzen, dass ihr Land ausgewählt wird, soll Israel nie interessiert gewesen sein. So hieß es jedenfalls, wenn man sich alljährlich bei der Frankfurter Buchmesse erkundigte, warum die Heimat so bedeutender Autoren wie Amos Oz, David Grossman, Zeruya Shalev oder Etgar Keret wieder nicht Ehrengast geworden war.
Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor sechzig Jahren
Doch für die kommende Buchmesse im Oktober gab es Interesse aus Israel. Zwar nicht für den Gastlandauftritt. Der wird bekanntlich Jahre im Voraus geplant und ist in diesem Jahr den Philippinen gewidmet. Aber Israel wollte an einem gemeinsamen deutsch-israelischen Auftritt teilnehmen anlässlich der Aufnahme diplomatischer Beziehungen vor sechzig Jahren. Doch diesmal war es die Bundesregierung, die ablehnte.
In einem Schreiben, das der F.A.Z. vorliegt, bestätigt Susanne Baumann, Staatssekretärin im Auswärtigen Amt, die Idee eines gemeinsamen Messestandes. Auf die Frage von Jürgen Hardt (CDU/CSU) nach den Gründen für die Absage der Bundesregierung antwortet sie, bei einem Gedankenaustausch sei es üblich, „dass nicht alle Ideen, die eingebracht werden, am Ende auch umgesetzt werden“. Zuerst hatte das israelische Portal „ynetnews“ über die Absage des Auswärtigen Amtes berichtet. In dem Artikel hieß es, das Ministerium habe Israel in einer kurzen Nachricht darüber informiert. Eine Begründung sei nicht enthalten gewesen.
Jubiläum als Chance begreifen
Für den Bundestagsabgeordneten Hardt bleibt der geringe „Elan für das sechzigjährige Jubiläum der deutsch-israelischen Beziehungen“ unverständlich. Dass die Bundesregierung „nicht einmal einem Gemeinschaftsstand“ zustimmen wollte, zeuge von wenig diplomatischem Gespür, das Jubiläum als Chance zu begreifen: „Ein gemeinsamer Stand könnte auch Zeichen in die deutsche Literaturszene sein“, so Hardt, für den die Entscheidung den Mangel an Mut belegt, „die Beziehungen zur einzigen Demokratie im Nahen Osten zu feiern und parallel für unsere Überzeugungen zur Zweistaatenlösung zu werben“.
Nun kann man sich für die Frankfurter Buchmesse wahrlich leichtere diplomatische Aufgaben vorstellen, als mitten im Nahostkrieg das sechzigjährige Bestehen der Beziehungen zu feiern. Die arabische Welt, die auf einen israelischen Gastlandauftritt in früheren Jahren vermutlich mit geschlossenem Fernbleiben reagiert hätte, würde ihre für 2024 gebuchten Messestände jetzt wohl erst recht wieder absagen.
Vorbild Italien
Dabei hätte gerade die Einladung von Literaten und Intellektuellen, die sich seit Jahren kritisch mit Netanjahu und seiner Politik auseinandersetzen, der israelischen Gegenöffentlichkeit eine starke Stimme gegeben. In Israel ist das bekannt, hierzulande jedoch viel zu wenig. Auch im vorigen Jahr, als Italien Gastland in Frankfurt war, setzten Autoren wie Antonio Scurati oder Roberto Saviano mit ihren Auftritten einen Kontrapunkt zu den offiziellen Verlautbarungen ihrer Heimat.
In Israel gehen seit Jahren regelmäßig Tausende Bürger gegen den Premier Netanjahu, seine Besatzungspolitik und seine Koalition mit den Ultrarechten auf die Straße. Auch der Krieg, der auf den brutalen Angriff der Hamas am 7. Oktober 2023 folgte, ist nicht unumstritten. Doch gerade diejenigen, die Protest anmelden, Künstler, Autoren und Wissenschaftler, werden immer seltener nach Europa eingeladen, unabhängig davon, wie sie zur israelischen Politik stehen.
Laut „ynetnews“ habe Israel schon vor der offiziellen Absage die Zeichen zu deuten gewusst, als bekannt wurde, dass für die Gedenkveranstaltungen auf deutscher Seite kein Budget zur Verfügung stehe. In der Vergangenheit hat man keine Kosten gescheut und nicht nur den fünfzigsten, sondern sogar den 55. Jahrestag gemeinsam gefeiert. Es wäre die noble Aufgabe der Bundesregierung gewesen, die sich den Schutz Israels als Staatsräson auf die Fahnen geschrieben hat, israelischen Intellektuellen auf der Buchmesse ein Forum zu bieten. Die Chance wurde vertan.