Gehen der deutschen Wirtschaft die Ideen für neue Produkte aus?
(Foto: Motor für Wandel und Digitalisierung)
Berlin Deutschland droht als Erfinderland international noch weiter ins Hintertreffen zu geraten. Denn nur jedes fünfte Unternehmen hierzulande kann sich als besonders innovativ bezeichnen. Im Jahr 2019 traf dies noch auf jedes vierte Unternehmen zu. Fast vier von zehn Unternehmen haben aufgehört, aktiv nach Innovationen zu suchen.
Eine neue Studie der Bertelsmann Stiftung weist auf die wachsende Innovationsschwäche hin. „Unser Wohlstand ist massiv gefährdet, wenn sich immer weniger Unternehmen als technologische Vorreiter verstehen oder sich nicht mehr an weitreichende Innovationen trauen“, warnt Armando García Schmidt, Wirtschaftsexperte der Bertelsmann Stiftung.
Für die repräsentative Studie befragte das Forschungs- und Beratungsinstitut IW Consult mehr als 1000 Industrieunternehmen und branchennahe Dienstleister. Es knüpft an eine Studie aus dem Jahr 2019 an.
Zu einem ähnlichen Ergebnis kam eine am Mittwoch vorgestellte Civey-Umfrage im Auftrag des Verbandes Forschender Pharmaunternehmen (vfa). Demnach stimmte mehr als jeder zweite Deutsche der Aussage nicht zu, dass Deutschland immer noch ein Land der Erfinder sei.
An der Befragung haben 2511 Personen teilgenommen, die Antworten sind auch nach Führungskraft und Selbstständigen aufgeschlüsselt. 77 Prozent dieser Gruppe gaben an, dass Bürokratieabbau als Maßnahme zur Sicherung des Wohlstands in Deutschland vorangetrieben werden müsse. Mehr als die Hälfte nannte auch gut bezahlte Jobs als Erfolgsfaktor. Auch die Hightech-Produktion ist ein Schlüsselfaktor.
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Die Zahlen werfen ein düsteres Licht auf den Wirtschaftsstandort Deutschland, den Unternehmen durch steigende Kosten und steigende Sozialabgaben gefährdet sehen. Fehlen dann noch die neuen Ideen, kann das zum Wettbewerbsnachteil werden.
Die Studie für die Bertelsmann Stiftung bewertete wie schon 2019 die Innovationskraft von Unternehmen anhand von 30 Kriterien. Dazu gehört beispielsweise, ob sie Produkt- oder Prozessinnovationen auf den Markt gebracht haben oder wie gut sie mit der Wissenschaft und anderen Unternehmen vernetzt sind.
Anschließend werden die Unternehmen in sieben Gruppen eingeteilt – von den Technologieführern und disruptiven Innovatoren an der Spitze bis zu den Unternehmen ohne Innovationsfokus am unteren Ende der Skala.
Dabei zeigt sich, dass der Anteil der Technologieführer, die sich durch ihre Innovationsaktivitäten und den Erfolg ihres Geschäftsmodells deutlich vom Rest der Unternehmen abheben, im Jahr 2022 mit sieben Prozent nur knapp über dem Niveau der Vorstudie im Jahr 2019 lag Der Anteil der disruptiven Innovatoren, die für revolutionäre Innovationen stehen, ist in den drei Jahren sogar von 19 auf zwölf Prozent gesunken.
Starkes Wachstum gibt es dagegen bei den Unternehmensgruppen, die mehr oder weniger zufällig neue Produkte oder Verfahren entwickeln oder sich ganz aus dem Innovationsprozess zurückgezogen haben. Gaben 2019 noch 27 Prozent der Unternehmen an, nicht aktiv nach Innovationen zu suchen, ist der Anteil im vergangenen Jahr auf 38 Prozent gestiegen.
Corona-Pandemie als Grund für Innovationsschwäche
Ein Grund für die zunehmende Innovationsschwäche ist die Corona-Pandemie, in der wenig innovative Unternehmen noch risikoaverser wurden. In vielen Fällen haben Unternehmen geplante Erneuerungsmaßnahmen verschoben oder ganz abgesagt. Auch die Zusammenarbeit mit der Wissenschaft wurde nicht wesentlich ausgeweitet.
Doch die Pandemie ist nicht der einzige Grund für die Entwicklung. „Innovationszyklen werden immer kürzer“, sagt Schmidt. Zudem muss immer mehr Kapital aufgewendet werden, um eine Innovation zu entwickeln und am Markt zu halten. Auch der Fachkräftemangel ist ein Problem.
Im Einzelfall erweist sich der eigene Erfolg jedoch nicht als Segen, sondern als Fluch. Viele einst innovative Unternehmen konzentrieren sich darauf, ihre Kunden innerhalb etablierter Geschäftsmodelle zufrieden zu stellen und ihre Produkte bedarfsgerecht weiterzuentwickeln.
Laut der Studie geht dies zu Lasten radikaler Neuentwicklungen oder völlig neuer Geschäftsideen. Die Nähe zum Kunden behindert oft bahnbrechende Ambitionen.
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Die nachlassende Innovationsdynamik sei eine Gefahr für den Standort – nicht nur, weil sich die innovativen Unternehmen durch eine deutlich höhere Nettoumsatzrendite und einen stärkeren Beschäftigungsaufbau als die anderen Unternehmen auszeichnen, sagt Schmidt.
Die Transformation zu einer nachhaltigeren Wirtschaft kann nur mit neuen technologischen Lösungen im Bereich der Klimaneutralität gelingen. Und mit der Nationalen Kreislaufwirtschaftsstrategie arbeitet die Politik bereits am nächsten Schritt hin zu einer ressourcenschonenden Wirtschaft.
„Deutsche Unternehmen haben immer noch die Chance, zu den Besten der Welt zu gehören und technologische Maßstäbe zu setzen“, betont der Experte der Bertelsmann Stiftung. Dafür müssten sie allerdings schon jetzt ihr Innovationsprofil stärken.
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