
Weit draußen in der niedersächsischen Provinz soll eine neue Superlative der Energiewende entstehen. Die Bauarbeiten für Europas größten Batteriespeicher beginnen nächstes Jahr in einem Industriegebiet in der Kleinstadt Alfeld, zwischen Hildesheim und Göttingen.
Die neue Mega-Batterie wird unspektakulär aussehen: ein kleines Containerdorf aus mehr als hundert Metallkästen, in denen tonnenweise Lithium-Eisenphosphat-Batterien verbaut sind, verteilt auf einer Fläche von etwa zwei Fußballfeldern.
Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.
Doch Großspeicher wie in Alfeld werden dringend benötigt, denn das Stromnetz stößt durch die Energiewende zunehmend an seine Grenzen – und die Batterien könnten Abhilfe schaffen. Daher sind überall im Land solche Stromspeicher in Planung.
Das einzige Problem besteht darin, dass viele der Speicherprojekte entweder gar nicht oder nur mit großer Verzögerung umgesetzt werden können, weil die Stromnetzbetreiber mit dem Bau der notwendigen Netzanschlüsse nicht hinterherkommen. In Alfeld ging es schnell, aber das ist alles andere als die Norm. Marktteilnehmer berichten von Wartezeiten von bis zu acht Jahren.
Jahrelanges Warten
Es klingt seltsam: Obwohl die großen Batterien helfen würden, eine Überlastung des Stromnetzes zu vermeiden, gehen sie nicht in Betrieb, weil das Netz bereits zu voll ist, um sie schnell anschließen zu können.
„Aufgrund fehlender Netzanschlüsse geht der notwendige Speicherausbau viel zu langsam voran“, sagt Florian Antwerpen, Co-Geschäftsführer des Münchner Stromspeicherunternehmens Kyon Energy. Das 2021 gegründete Start-up gehört zu den Marktführern in diesem Geschäft in Deutschland und baut auch den Großspeicher in Alfeld. „Der Trend bei den Wartezeiten für Netzwerkverbindungen nimmt extrem schnell zu“, berichtet Antwerpen. „24 bis 30 Monate sind mittlerweile die Regel. Immer häufiger werden Anträge gänzlich abgelehnt.“
Der fehlende Netzanschluss sei „eindeutig der größte Engpass“ für den Bau von Stromnetz-Batteriespeichern, sagt Urbanwickelen, Geschäftsführer des Speicherbranchenverbandes BVES. „Die Netzbetreiber behindern faktisch den Speicherausbau“, kritisiert er. „Sie stufen Speicher noch immer als potenzielle Gefahr für die Netzstabilität ein und nicht als Helfer bei Engpässen.“ Auch ein „Netzanschlussgipfel“, zu dem Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck im Frühjahr eingeladen hatte, brachte wenig Besserung.
„Ein Tsunami“ an Anfragen
Die Netzbetreiber hingegen fühlen sich überfordert. Das Dortmunder Unternehmen Amprion, das eines der vier großen Hochspannungsübertragungsnetze in Deutschland betreibt, spricht von einem „Tsunami an Anschlussanfragen“ für Batteriespeicher. Allein bei Amprion gibt es derzeit rund 200 Anschlussanfragen für große Batterieprojekte. Bei anderen Netzbetreibern ist der Rückstand an Anfragen ähnlich lang. Um leistungsstarke Batterien an das Netz anzuschließen, müssen Umspannwerke und meist auch zusätzliche Freileitungen gebaut werden.
Der Run auf die Stromspeicherung hat solide wirtschaftliche Gründe; Es herrscht Goldgräberstimmung. Stromkonzerne wie RWE, ENBW und der österreichische Verbundkonzern engagieren sich. Darunter sind Start-ups wie Kyon, das Anfang des Jahres vom französischen Konzern Total Energies übernommen wurde. Das Geld lockt auch Neulinge an: Volkswagen hatte im Sommer angekündigt, in das Geschäft mit Großbatterien für das Stromnetz einzusteigen. Das erste Werk will der Autokonzern nächstes Jahr in Betrieb nehmen.
Schnelle Gewinne locken
Obwohl große Batterieprojekte zwei- bis dreistellige Millionen kosten, kann die Branche sagen, dass sich die Investition angesichts der aktuellen Marktbedingungen innerhalb eines Jahres amortisieren kann. Große Batterien, wie sie im niedersächsischen Alfeld geplant sind, nehmen überschüssigen Strom aus dem Netz auf, wenn dieser günstig ist, und geben ihn wieder ab, wenn der Großhandelspreis für Strom später höher ist. Der Gewinn der Batteriebetreiber liegt in der Preisdifferenz zwischen Speicherung und Entnahme.
Wirklich lukrativ ist dieses Geschäft erst in den letzten ein, zwei Jahren durch den Ausbau erneuerbarer Energien in Deutschland geworden. Die Stromerzeugung aus Windkraftanlagen und Solaranlagen lässt sich nicht wie die von Kohle- oder Gaskraftwerken bedarfsgerecht regulieren. Sie schwankt je nach Wetter und Tageszeit – und das wiederum führt dazu, dass der Strompreis stärker nach oben und unten schwankt als zuvor.
Der Solarboom verschärft das Problem
Vor allem Solarstrom sorgt für Preissprünge. Besonders viel Strom produzieren Solarkraftwerke um die Mittagszeit, wenn die Sonne am höchsten steht. Der Verbrauch ist jedoch meist in den Abendstunden am höchsten, wenn viele Menschen nach Hause kommen, kochen und elektronische Geräte nutzen. Gleichzeitig endet auch die Solarstromerzeugung, wenn die Sonne untergeht. Aus diesem Grund ist der für große Batteriebetreiber relevante Börsenstrompreis mittags oft niedriger als abends.
Es lohnt sich also, Strom in großen Mengen gegen Mittag einzukaufen und zu speichern, um ihn einige Stunden später am Abend zu einem höheren Verkaufspreis wieder ins Netz einzuspeisen. Die Batterien, die im niedersächsischen Alfeld installiert werden, haben eine Gesamtleistung von 138 Megawatt und eine Speicherkapazität von 275 Megawattstunden. Rechnerisch werde der Großspeicher genug Strom liefern, um eine Million Haushalte eine Stunde lang zu versorgen, sagt Investor Kyon.
Batterien entlasten das Netz
Die Mega-Batterien sind nicht nur für die Betreiber profitabel, sie tragen auch dazu bei, das Stromnetz effizienter zu nutzen – gerade weil sie es in Zeiten von zu viel Strom aus dem Netz nehmen und es dadurch entlasten. Für die Energiewende muss das Netz dann weniger ausgebaut werden, als es ohne Speicher nötig wäre, was Milliarden einsparen und so zu niedrigeren Strompreisen beitragen kann.
Sind diese Energiespeicher in ausreichender Menge vorhanden, können sie eine wichtige Pufferfunktion übernehmen, um die wachsenden Schwankungen von Stromangebot und -nachfrage im System auszugleichen. Die sogenannten „Sonnenspitzen“ der Stromerzeugung um die Mittagszeit sind bereits heute ein Problem.
Drohen Notabschaltungen?
Die Besorgnis über Stromleitungen ist mittlerweile akut. Vor zwei Wochen warnte Klaus Müller, der Präsident der Bundesnetzagentur, in einem Interview mit der FAS vor „Stress im Stromnetz“. Deutschlands oberster Stromnetzaufseher räumte ein, dass das Tempo beim Bau von Solaranlagen unterschätzt wurde. Allein im vergangenen Jahr wurden hierzulande mehr als eine Million neue Solaranlagen installiert, im Jahr 2024 soll ein weiterer Ausbaurekord erreicht werden.
Der Energieversorgerverband BDEW befürchtet eine Überlastung der Netze durch die vielen neuen Solarmodule. Gegebenenfalls könnten Stromabschaltungen in einzelnen Netzsträngen nötig sein, um einen Zusammenbruch zu verhindern, so der Verband.
Bis 2030 werden 100 Gigawattstunden Batterien benötigt
Weitere große Stromspeicher im Verbund würden helfen. Schätzungen zeigen, wie groß der Bedarf ist. Nach Berechnungen der Datenplattform Battery Charts der Universität Aachen gibt es in Deutschland derzeit große Batteriespeicher mit einer Kapazität von 1,9 Gigawattstunden, was 1,9 Millionen Kilowattstunden entspricht. Das Institut des Fraunhofer ISE in Freiburg geht davon aus, dass bis 2030 100 Gigawattstunden Stromspeicher benötigt werden. Die Freiburger Energieforscher schreiben in einer neuen Studie, dass bis 2045 voraussichtlich zwischen 350 und 600 Gigawattstunden Speicher benötigt werden.
Die gute Nachricht ist jedoch, dass wahrscheinlich nicht alles durch den Bau großer Batterien erreicht werden muss. Denn immer mehr Haushalte mit Solaranlagen auf dem Dach verfügen auch über kleine Batterien zur Speicherung des selbst erzeugten Stroms. Darüber hinaus verfügen Elektroautos über leistungsstarke Batterien, die künftig als Zwischenspeicher zur Netzstabilisierung eingesetzt werden könnten. Schließlich stehen Autos normalerweise den größten Teil des Tages still. Experten halten die sogenannten Vehicle-to-Grid-Lösungen (V2G) für vielversprechend.
Doch bislang ist das Zukunftssache. Noch ist unklar, wie gut es gelingt, die vielen kleinen Speicher in den Kellern von Häusern und Privatautos so zu vernetzen und intelligent zu steuern, dass sie tatsächlich wie erhofft als großer Puffer für das Stromsystem dienen können. Je besser dies funktioniert, desto geringer wird langfristig der Bedarf an großflächigem Speicher im Netzwerk sein.
Daran führt vorerst kein Weg vorbei, sagt Energiemarktexperte Bernhard Wille-Haußmann vom Fraunhofer ISE: „Derzeit ist jede Erweiterung von Großspeichern in Deutschland sinnvoll.“