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Deutsche Drogenkuriere und die Spur zur ‚Ndrangheta

Deutsche Drogenkuriere und die Spur zur ‚Ndrangheta


exklusiv

Stand: 17.09.2024 10:06 Uhr

Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat im Antimafia-Fall Eureka Anklage gegen eine Gruppe mutmaßlicher deutscher Drogenkuriere erhoben. Offenbar unschuldige Bürger arbeiteten für die MDROffenbar recherchiert er seit Jahren für Drogenkartelle.

Von Margherita Bettoni, Axel Hemmerling und Ludwig Kendzia, MDR

Acht Frauen und Männer sollen sich zu einer kriminellen Vereinigung zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: Drogenhandel – davon geht zumindest die Staatsanwaltschaft aus. In speziell umgebauten Autos transportierten sie jahrelang Kokain durch Europa, so die Anklage, die die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft nun erhob.

Allein zwischen 2018 und 2022 fuhren sie mindestens 50 Mal. Die Anklage geht davon aus, dass sie jedes Mal mindestens 15 Kilogramm Kokain nach Italien schmuggelten. Auftraggeber der Gruppe sollen die kalabrische Mafiaorganisation ‚Ndrangheta und albanische Netzwerke gewesen sein. Das geht aus Tausenden Seiten vertraulicher Ermittlungsunterlagen im Fall Eureka hervor, die der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ) und MDR sehen konnte.

Auffällig unauffällig

So unauffällig die mutmaßlichen Drogenkuriere waren, so unauffällig begann auch das Ende der Bande: mit einer Autopanne in Süditalien im Dezember 2019. Die Panne sorgte bei einer Gruppe von Männern im 150 Kilometer entfernten Dorf San Luca für hektische Betriebsamkeit. Sie organisierten einen Abschleppdienst. Einen Tag später machte sich einer der Männer, Salvatore G., selbst auf den Weg. Er kümmerte sich um die beiden Frauen, deren Audi liegengeblieben war. Er kaufte ihnen eine Rückfahrkarte und lud sie zum Essen ein.

Das Ganze geschah unter den wachsamen Ohren italienischer Mafia-Ermittler, die im Rahmen der damals weltumspannenden Operation Eureka Dutzende mutmaßliche Mitglieder der kalabrischen ‚Ndrangheta und Verdächtige aus deren Umfeld observierten. Einer dieser Mafia-Mitglieder war Salvatore G. Ihm wird in Italien derzeit vorgeworfen, im großen Stil mit Kokain gehandelt zu haben.

In seinen von den italienischen Carabinieri abgehörten Gesprächen mit den beiden deutschen Frauen fiel auch der Name eines Deutschen. Nennen wir ihn Kalle. Dies führte zu einer Spur nach Nordrhein-Westfalen. Die italienischen Ermittler wandten sich an ihre deutschen Kollegen, die Kalle schnell als Karl-Heinz E. aus dem Ruhrgebiet identifizierten. Er ist heute 63 Jahre alt und nach allem, was die Ermittler zusammengetragen haben, vermutlich der Kopf einer Bande von Drogenkurieren.

Mit rund 40 Kilogramm Kokain im Auto zu Aldi

Ein Team von MDR und die FAZ konnten Tausende Seiten Ermittlungsmaterial aus dem Eureka-Fall einsehen und viele vertrauliche Gespräche mit Beteiligten führen. Daraus ergibt sich ein teils bizarres Bild von Menschen aus bürgerlichen Verhältnissen, die offenbar hochkriminell wurden. Immer wieder staunten die Ermittler über ihre Gefühllosigkeit – oder war es Naivität? Etwa, als eine der Kurierinnen mit rund 40 Kilogramm Kokain im Auto zu Aldi fuhr.

Die Gruppe um Karl-Heinz E. soll ein Rädchen im transatlantischen Drogennetzwerk gewesen sein. Nachdem die deutschen Ermittler durch ihre italienischen Kollegen auf die Bande aufmerksam geworden waren, liefen die Ermittlungen an. Nach Recherchen von MDR und FAZ waren auch verdeckte Ermittler (VE) im Einsatz. Sie waren als Mountainbiker getarnt und radelten um einen Teich für Hobbyangler, der E. gehörte und vom Ehepaar S. betrieben wurde.

Auch das Ehepaar S. soll in die Drogenfahrgeschäfte verwickelt sein und sitzt ebenfalls in Untersuchungshaft. Die verkleideten Polizisten auf den Fahrrädern freundeten sich mit den beiden an. Einer der beiden VEs gab an, er habe Geld in der Schweiz, das er in eine Firma in der Nähe der Teichanlage investieren wolle. Dafür müsse es aber in bar über die Grenze geschmuggelt werden. Eine Legende.

Der Ehemann Jens S. schaltete sich ein und verwies den verdeckten Ermittler mit dem Decknamen „Simon“ an „Kalle“. Dieser erzählte den verkleideten Polizisten, er sei in der Transportbranche tätig, so wie Jason Statham im Film „The Transporter“. Die Fahrt in die Schweiz übernahm Kalle alias Karl-Heinz E. schließlich selbst.

Nachweis langjähriger Tätigkeit

Wann genau E. und seine mutmaßlichen Komplizen in den Kokainhandel einstiegen, lässt sich nicht rekonstruieren. Doch es gibt einige Hinweise. In einem verwanzten Auto soll E. angegeben haben, er sei seit rund zwölf oder dreizehn Jahren im Drogenhandel tätig gewesen. Erst er, dann seine Kuriere – wie die beiden verunglückten Frauen – transportierten das Kokain zwischen den Niederlanden, Deutschland und Italien.

Die Transportfahrzeuge, allesamt Luxusmodelle, wurden offenbar in Spanien umgebaut. Ein informierter Automechaniker führte die Hauptuntersuchung durch. Die Ermittler gehen davon aus, dass E. pro geschmuggeltem Kilo 2.500 Euro erhielt. Die Kuriere sollen von ihm pro Fahrt mindestens 1.250 Euro erhalten haben.

Deutsche und italienische Ermittler vermuten, dass die Bande unter anderem im Auftrag des Albaners Denis M. unterwegs war. Denis M. gilt als wichtiger Akteur im europäischen Kokainhandel – im Umfeld des albanischen Drogenkartells „Kompania Bello“. Er wurde schon vor Jahren in Dubai aufgespürt, konnte aber angeblich durch die Zahlung von vier Millionen Euro einer Auslieferung an italienische Behörden entgehen. Gefunden wurden diese Informationen in einem geknackten Krypto-Handy des Anbieters SkyECC.

Karl-Heinz E. und seine mutmaßlichen Komplizen wurden allerdings am 3. Mai 2023 im Rahmen der Anti-Mafia-Operation „Eureka“ festgenommen. E. und sieben weitere Angeklagte wurden von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf mittlerweile in insgesamt mehr als 150 Fällen angeklagt. Gegen weitere Beklagte laufen noch Ermittlungen. Die Anwälte der Angeklagten wollten sich auf Anfrage von nicht zu der Sache äußern. MDR und FAZ wollen sich zu den Vorwürfen zunächst nicht äußern. Über die Zulassung der Anklage muss nun das Landgericht Wuppertal entscheiden.

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