
Manuel Gava knallt eine Dose auf den Konferenztisch. Daumennagelgroß, braun, mit weißem Pulver darin. Etikett: „Wildkraut Energy Sniff“. Ein legales Stimulans. Der österreichische Hersteller empfiehlt es vor dem Sport, in Prüfungsphasen und beim Feiern. „Es hat die fünffache Wirkung von Red Bull“, sagt Gava. In diesem Moment sollte es ein Beweis sein. Der Osnabrücker SPD-Bundestagsabgeordnete will beweisen, dass er nicht drogenabhängig ist.
Für Gava33 Jahre alt und seit einer Legislaturperiode im Bundestag, es steht viel auf dem Spiel. Hat er die Öffentlichkeit, die Wähler, seine Partei getäuscht oder ist er Opfer eines großen Missverständnisses? Darüber sprachen der Tagesspiegel und die Neue Osnabrücker Zeitung mit Gavas Parteifreunden und Parteiexternen, mit Mitarbeitern des Abgeordnetenhauses, Zeugen – und mit Gava selbst.
Pistorius musste es wegen Gava vermeiden
Der Osnabrücker Abgeordnete ist in diesem Jahr ein bundesweites Thema, weil Verteidigungsminister und SPD-Hoffnungsträger Boris Pistorius seinetwegen zur Bundestagswahl in einen Wahlkreis in Hannover wechseln muss. Pistorius hat Wurzeln in Osnabrück und erfreut sich großer Beliebtheit. Doch Gava bleibt bei seiner Kandidatur – auch als der Osnabrücker SPD-Vorstand überraschend einen Gegenkandidaten nominiert. „Die Vertrauensbasis ist gebrochen“, sagte Gavas Co-Vorsitzende Melora Felsch Mitte Oktober gegenüber der Neuen Osnabrücker Zeitung über den amtierenden Abgeordneten.
Während dieser Zeit, im Herbst dieses Jahres, erklärte Gava Abwesenheiten im Bundestag und im Wahlkreis öffentlich mit der Autoimmunerkrankung Lupus. Das Immunsystem greift den eigenen Körper an und löst Entzündungen aus. Haut- und andere Organschäden, Müdigkeit und Schmerzen sind möglich.

© picture Alliance/dpa/Christoph Soeder
Ein SPD-Landtagsabgeordneter nennt das Verhalten der örtlichen Parteispitze, die sich öffentlich von Gava distanziert, „menschlich beschämend“. Es scheint, als hätten die Genossen vor Ort keinerlei Mitleid mit einem kranken Menschen – vor allem mit jemandem, der in der Osnabrücker SPD wie ein Familienmitglied wirkt. Zu diesem Zeitpunkt ist Gava zusammen mit Melora Felsch, der Vorsitzenden des dortigen SPD-Unterbezirks.
Der Abgeordnete wurde in Italien geboren und kam als Kind mit seiner Familie nach Deutschland. Nach der Schule, sagt Gava, arbeitete er in der Eisdiele seines Vaters, dann im Großhandel und schließlich als Verkaufsleiter.
Auf Instagram zeigt er sich als „manuelosna“. Das erste Foto: ein Juso-Treffen in Osnabrück. Gava präsentiert sich mit bekannten SPD-Mitgliedern, mal mit Olaf Scholz, mal mit Svenja Schulze und immer wieder mit Pistorius. Zum Tod von Thomas Oppermann postete er ein „Mögen Sie in Frieden ruhen“. Die SPD, so scheint es, ist seine neue Heimat. Plakate aufhängen, Glühwein ausschenken, auf der Straße Wahlkampf machen: Gava engagiert sich, wird schließlich Bezirksvorsitzender und gewinnt 2021 überraschend das Direktmandat für Osnabrück.
Gavas Geschichte überzeugt viele in Osnabrück
Seine Geschichte ist die eines jungen Mannes, der sich hochgearbeitet hat. Von der weiterführenden Schule, von der Eisdiele bis zum Bundestag – und das für die Sozialdemokraten, nur vorübergehend geschwächt durch eine chronische Krankheit.
Diese Geschichte überzeugt offenbar auch viele Menschen in Osnabrück. Als Gavas eigene Vorstandskollegen einen Kandidaten für den bevorstehenden Bundestagswahlkampf gegen ihn aufstellen, unterstützen die örtlichen Verbände den amtierenden Abgeordneten. Mit 33 zu 27 Stimmen wurde er im Bundestagswahlkreis 39, Stadt Osnabrück, als Direktkandidat wiedergewählt.
Der SPD-Vorstand, allen voran Felsch, zieht sich zurück. Ein neuer wird gewählt. Gava und diejenigen, die ihm zur Seite standen, siegen.
Doch vielerorts im Landkreis Osnabrück, in der SPD, aber auch darüber hinaus, in Hannover und sogar Berlin hält sich derzeit das Gerücht hartnäckig: Die angebliche Krankheit Lupus sei nicht der Grund für verpasste Termine in Berlin und Osnabrück. Der Stellvertreter ist vielmehr ein schwerer Drogenabhängiger.
Ich spürte den Wind von hinten und von vorne.
Manuel GavaSPD
Am Donnerstagabend wird Gava in seiner Heimatstadt sein, um mit dem Tagesspiegel und der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ zu sprechen. Er wirkt erschöpft und aufgeregt. Gava gibt zu: Ja, er hat vor allem im zweiten Halbjahr 2023 tatsächlich Kokain konsumiert. Der Abgeordnete begründet dies mit familiären Problemen, politischem Druck und Überforderung. „Ich habe den Wind von hinten und von vorne gespürt“, sagt Gava. „Man kommt als Realschüler rein“, beschreibt er seinen Start im Bundestag und erklärt, wie er mithalten wollte.
Gava betont: Das letzte Mal habe er Ende 2023 Kokain genommen. Danach nicht mehr. „Das war für mich ein abgeschlossenes Kapitel“, sagt er. Grund für die Ausfälle sind in diesem Jahr nicht Medikamente, sondern die Autoimmunerkrankung Lupus, Krankenhausaufenthalte, mehrfache Corona-Erkrankungen, ein Todesfall in der Familie und mehr.
In diesem Jahr wird der Osnabrücker Vertreter insgesamt sechs Minuten am Rednerpult im Deutschen Bundestag stehen – für zwei Reden am 18. Januar. Trotz regelmäßiger Mitgliedschaft in zwei Ausschüssen, nämlich Arbeit und Soziales und Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung.

© PR/ Manuel Gava
Gava war seit Mai in der Regel nicht an namentlich stattfindenden Abstimmungen beteiligt, mit Ausnahme von zwei Tagen – einmal im Juni und einmal im Oktober. Die Mitarbeiter in seinem Berliner Büro wechseln. „Die Bürger haben nicht gemerkt, dass ich einen schlechten Job gemacht habe“, verteidigt sich Gava. „Ich habe auch viel Gutes getan.“
Er erzählt von einer Arzt-Odyssee, zeigt Videos aus dem Krankenhaus, Fotos von geröteter Haut und betont, dass seine geschwollene Nase und ein Loch darin nichts mit Kokain zu tun haben.
Dann wiederum berichtet er von Schmerzen und sagt über das Medikament: „Irgendwann geht es nicht mehr, wenn man das Zeug nicht nimmt.“ Man muss Gava mehrmals fragen, wie viel er tatsächlich konsumiert hat. Im zweiten Halbjahr 2023 gab es vor allem abends am Wochenende etwa zwei bis drei Leitungen pro Tag als Partydroge. Plötzlich geht es nicht mehr um Schmerzen und Druck am Arbeitsplatz.
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Manchmal argumentiert Gava, dass er zwischen echter Drogensucht und seinem eigenen Konsum unterscheide. Er ist kein Süchtiger, er hat es unter Kontrolle. „Bisher konnte ich es in meinem Leben immer ein- und ausschalten“, behauptet er. Dann wiederum sagt Gava: „Ich hatte es nicht unter Kontrolle, sonst hätte ich es nicht genommen.“
Das Ganze hat nicht im Bundestag begonnen. Gava berichtet, wie er mit etwa zwölf Jahren anfing, Gras zu rauchen, und mit 14 oder 15 Jahren Kokain. Er trank vor allem dann Kokain, wenn er sich allein fühlte – in seinen frühen Zwanzigern und Mitte Zwanzigern.
Das Kokain hat er nun durch „Energy Sniff“, das frei erhältliche Stimulans, ersetzt – also ersetzt.
Gava wirkt nervös, aber erfahren
Der 33-Jährige wirkt über weite Strecken des Gesprächs unsicher in seinem Gesichtsausdruck, in seinen Antworten jedoch erfahren, fast einstudiert. Er hat auf alle Fragen eine Antwort. Er antizipiert Einwände, bringt zusätzliche Vorwürfe und angebliche Beobachtungen aus seinem Umfeld ein und versucht, alles, was auftauchen könnte, zu entkräften.
Wie, argumentiert Gava, hätte er als Parlamentsabgeordneter ins Ausland reisen können, wenn er wirklich abhängig war? Er zeigt immer mehr Fotos, WhatsApps und SMS von führenden SPD-Mitgliedern, die ihm Unterstützung zusichern. Viele Beweise, aber keine für die Diagnose Lupus.
Aus seinem Umfeld heißt es, dass sich Freunde schon lange Sorgen um Gava machten und dass es auch innerhalb der Partei Versuche gegeben habe, ihn ohne öffentliche Aufmerksamkeit zum Rückzug zu bewegen. Gava behauptet, die Partei habe Druck auf ihn ausgeübt, ihm aber keine Hilfe angeboten. „Niemand hat sich jemals zu mir gesetzt“, sagt Gava. Das ist seine Version. Andere erinnern sich anders.
Ich mache mir Sorgen, dass er sein Leben nicht ändern kann.
Anonyme E-Mail nach Gavà
Irgendwann wird der Druck zu groß. Letzte Woche erhielt die SPD in Osnabrück eine E-Mail. Jemand, der anonym bleiben möchte, bietet an, Beweise zu liefern und dabei um jeden Preis seine Anonymität zu wahren.
Er mache sich große Sorgen um Gavas körperliche Verfassung, heißt es in der E-Mail. Der Absender schreibt, dass er hofft, dass ein Weg gefunden werden kann, Manuel Gava rechtzeitig zu helfen, und legt eine Zeugenaussage und Beweise vor, dass er Gava bei mehreren Gelegenheiten Kokain konsumieren sah – über einen Zeitraum von bisher rund zwei Jahren.
„Ich tue das nicht, um Manuel Gava zu schaden, sondern aus Verwirrung darüber, dass er seinen Drogenkonsum scheinbar nicht in den Griff bekommt. Mehrere Personen haben ihm bereits dringend geraten (Originalschreibweise, Anm. d. Red.), sich Hilfe zu suchen. Leider ohne Erfolg. Ohne einen wirklich ernsthaften und klaren Anstoß von außen befürchte ich, dass er sein Leben nicht ändern kann“, heißt es in der E-Mail.
Ende letzter Woche hatte sich Gava nach einem Gespräch mit der Partei offiziell von der Kandidatur der SPD für Osnabrück zurückgezogen. Die Partei begründet dies mit einem „gesundheitlichen Rückfall“.
Ausschlaggebend waren laut Gava nicht die Drogen, sondern die Gerüchte. Er möchte nicht mehr, dass „jeder Zweite mich danach fragt“.
Er will immer noch keinen Entzug machen. Er trinke kein Koks mehr, sagt der Abgeordnete. Manuel Gava konnte mehrere Tage lang nicht nachweisen, dass bei ihm Lupus diagnostiziert worden war. Über seine Zeit im Bundestag sagt er, dass ihm die Zeit sehr gut gefallen hat: „Ich denke, dass es größtenteils sehr gut gelaufen ist.“