Manche mögen es erbärmlich. Um zu erklären, was ein möglicher Einmarsch nordkoreanischer Truppen in den Ukraine-Krieg bedeuten würde, griff ein Spezialist des konservativen American Enterprise Institute (AEI) auf die alte Kernlandtheorie des Briten Halford Mackinder aus den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg zurück. Wer auch immer das Heartland kontrolliert, ein riesiges Territorium im Herzen Eurasiens, hatte Mackinder damals analysiert, kontrolliert die Weltinsel, weite Teile Europas, Asiens und Afrikas; Aber wer die Weltinsel kontrolliert, kontrolliert die Welt. Wenn man dies auf die heutige Weltlage anwendet, sagte der AEI-Mitarbeiter, dann müsse man sich Sorgen um die Heartland-Allianz machen, die gerade entsteht: Russland, Iran, Nordkorea und sogar China rücken immer näher zusammen. Sie griffen in Europa an – Russland griff die Ukraine an –, im Nahen Osten – wo der Iran Israel angriff –; Und ist es möglich zu wissen, was als nächstes mit Taiwan in Ostasien passieren wird? Die „Konföderation der Heartland-Diktatoren“ ist eine ernsthafte Bedrohung.
Wer sich nun mit der Frage eines möglichen Einsatzes nordkoreanischer Truppen im Ukraine-Krieg näher befassen möchte, muss nicht auf pompöse Konstrukte alter Imperialisten zurückgreifen. Es ist jedenfalls noch unklar, was wirklich passiert. Hat Pjöngjang wirklich Truppen nach Russland geschickt? Wenn ja, wie viele – und was genau machen sie? Der Nutzen, den der Westen aus der Debatte zieht, liegt auf der Hand. Südkorea verspricht – schließlich seufzen viele –, der Ukraine Kriegswaffen zu liefern, was es bislang jedoch ablehnt. Seoul verstärkt seine Solidarität mit der Nato, gegen die es noch Einwände gab. Hardliner fordern erneut „Taurus“-Lieferungen und die Entsendung von NATO-Soldaten in die Ukraine: Die Kriegstrommeln schlagen lauter denn je.
Und doch: Sollte sich bestätigen, was manche vermuten, dass Moskau asymmetrisch auf die Zustimmung des Westens zum ukrainischen Einmarsch in Kursk reagiert, indem es das Beistandspakt mit Pjöngjang in Anspruch nimmt, dann könnten die Folgen gravierend sein. Die Strategien des westlichen Militärs für Ostasien basierten bisher auf einem selbst im Kriegsfall eher isolierten Nordkorea. Sie rechneten nicht damit, dass ihre Streitkräfte in Europa jemals auf etwas anderes als russische – und weißrussische – Truppen stoßen würden. Bereits die Drohnen und Munition, die Iran und Nordkorea an die russischen Streitkräfte geliefert haben, stellen deren Berechnungen in Frage. Ein Einsatz Nordkoreas im Ukraine-Krieg würde sie noch mehr überraschen. Allein die Debatte hat westliche Strategen plötzlich aus dem Gleichgewicht gebracht – wie die Argumente des oben genannten US-Experten zur Heartland-Theorie zeigen. Bei asiatischen Kampfsportarten – etwa dem von Putin so geschätzten Judo – ist das ein echter Vorteil.
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