„Was zum Teufel ist das?“ fragt Memo seinen Kumpel Mark, während sein ohnehin schon extrem gruseliger Doppelgänger zunächst unsichtbar wird und dann als augenloses, kreideweißes Monster materialisiert. Die Kreatur – Spoiler beginnen dieses Mal früher –, die sich Man-Ith nennt, ist ein Gestaltwandler, der sich auf der Erde verändert, um sich auf die Herrschaft des Greifen vorzubereiten.
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Das allwissende Sagenwesen, auch „Großer Adler“ genannt, der der neuen Amazon-Prime-Videoserie den Titel gibt, herrscht über den Schwarzen Turm, eine Parallelwelt mit mehreren „Etagen“ – eine weniger angenehm als die andere. Nein, hat nichts mit Stephen King zu tun – wo Junker Roland nach dem „dunklen Turm“ suchte.
Auch der mythische Greif erreicht unsere Welt
Die gehörnten „Sklavenjäger“, die wie lebender Granit aussehen, entführen dort Menschen und quälen sie mit knochenharter Plackerei in Basaltminen – warum wird erst spät verraten. Der Greif muss den sogenannten Planeswalker in der Menschenwelt finden und töten, um dadurch sein Talent zu absorbieren und anschließend alle anderen Welten zu versklaven. Als Zuschauer muss man das alles als selbstverständlich hinnehmen. Für Horror- und Fantasy-Fans sollte das kein Problem sein – im Grunde läuft alles wie gewohnt.
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Dunkle Erinnerungen verfolgen den Helden Mark
Im Mittelpunkt der Geschichte steht Mark (Jeremias Meyer, bekannt aus „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“). Mit seinem älteren Bruder Thomas (Theo Trebs) und dem etwas tollpatschigen Angestellten Memo (Zoran Pingel, „Sloborn“) betreibt der 16-Jährige 1994 einen Plattenladen in der Kleinstadt Krefelden, stellt am liebsten Mixtapes zusammen und ist dabei gefüllt mit düsteren Kindheitserinnerungen an den mysteriösen Brandtod seines Vaters (Golo Euler) zehn Jahre zuvor.
Damals waren die Brüder und Vater Karl eilig aus der Wohnung geflohen, auf der Flucht vor etwas Unheimlichem, das Steinskulpturen zum Leben erwecken könnte. Ein Fluch, der irgendwie mit einem alten Buch zusammenhängt, lastet auf der Familie Zimmermann.
Zwei Außenseiter sprechen über Sorgen, Lieder und Sehnsüchte
In der Schule gilt Mark als Außenseiter, als musikverrückter Freak und als Prügelknabe eines sadistischen Lehrers. Das ändert sich, als Becky Peters (Lea Drinda, ebenfalls zu den Protagonistinnen von „Wir Kinder vom Bahnhof Zoo“) in die Klasse kommt – die Tochter seines Therapeuten (Thorsten Merten, „Babylon Berlin“), die eine Zeit lang bei ihrem Vater bleiben soll und die Marke sieht anders, komplexer als die anderen.
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Bald brutzeln die beiden über einem Fassfeuer auf dem Dach des Plattenladens und unterhalten sich über Lieder, Sorgen, Sehnsüchte – über das Leben, das sich plötzlich anmutiger und sanfter anfühlt als sonst.
Doch gerade als sich die Welt für Mark endlich normal zu drehen scheint, kommt Thomas mit der Chronik, die sich als Familienerbe herausstellt. Und im nächsten Moment stellt sich heraus, dass der kleine Bruder der gesuchte Planewalker ist, der in die Turmwelt springen kann. Thomas wird entführt, woraufhin der Greif Mark überreden will, ihn zu retten. Eine Falle.
Die Serie basiert auf dem Netflix-Hit „Stranger Things“
Der Roman wurde vom Phantastika-Team Wolfgang Hohlbein und seiner Frau Heike geschrieben. Was die Entwickler Erol Yesilkaya und Sebastia Marka (er führte auch bei vier der sechs Episoden Regie) daraus machen, basieren zweifellos auf dem Netflix-Hit „Stranger Things“. Auch hier geht es um Teenager, denen es schon schwer genug fällt, mit Freundschaften und Feindschaften, mit Erwachsenen und dem eigenen Erwachsenwerden klarzukommen.
Auch die Selbstfindung steht im Mittelpunkt, allen Widrigkeiten zum Trotz seinen Platz in der kalten Welt zu finden. Die Liebesgeschichte von Mark und Becky ist süß und trotz aller etwas unangenehmen Missverständnisse voller echter Tränen. Allerdings sind – anders als in der US-Serie – über die Hauptfiguren hinaus einige der jugendlichen Figuren kaum mehr als Bildfüller.
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Deutscher Teenie-Horror ist eher düster-romantisch
Die paranormale Sphäre ist der Prüfstein von Beziehungen und wird von den Beteiligten nicht sofort für bare Münze genommen, sondern muss sich ihre Glaubwürdigkeit hart erkämpfen. Der Witz, der aus dem dynamischen „Stranger Things“ trotz aller Schwächen kraftvolle Unterhaltung machte, ist in „Der Greif“ eher gedämpft. Deutscher Teenie-Horror ist – dem deutschen Wesen entsprechend – ernster, düsterer und romantischer.
Die Geschichte bleibt erzählerisch teilweise etwas auf der Stelle, lässt sich aber in puncto Gewalt und Blutverlust nicht lumpen. Auch die Computer-Trick- und Maskenabteilungen liefern zufriedenstellende Dinge. Und die zentralen Songs – „Creep“ von Radiohead, „Even Flow“ von Pearl Jam oder „Black Hole Sun“ von Soundgarden – sind der kongeniale Soundtrack zum jugendlichen Geisteszittern.
Es ist kein Zufall, dass wir uns im Todesjahr von Kurt Cobain befinden – der Selbstmord des Nirvana-Sängers, des Königs des Verzweiflungsrocks namens Grunge, spielt hier letztlich eine wichtigere Rolle als alles Fantastische.
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Bis das Titelmonster erscheint, muss man lange warten
Man ist gespannt auf den Titelschurken. Der von den Granitmännern „Vater“ genannte Greif war lange Zeit nur ein Schatten, der einen Menschen als Marionette missbrauchte, um den gehörnten Untertanen seinen Willen kundzutun. Erst am Ende, er hat genug von den ständigen Versäumnissen seiner Truppe, kriecht er selbst aus seinem Versteck, um zu fliegen, seine dunkle Pracht zur Schau zu stellen und sich Mark zu schnappen.
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Nun, er ist leider kaum beeindruckender als der Vogel Rok aus dem Kult-Märchenfilm „Sindbads siebte Reise“ in den 1950er-Jahren.
Das Treiben der Peiniger: nur ein stiller Schrei nach Liebe?
Warum hat er es nicht einfach selbst gemacht, fragt man sich, wo doch sein Gefolge aus Stümpern besteht? Doch solche logischen Brüche wurden in „Stranger Things“ schnell ignoriert. Natürlich: Wenn zwei der Menschenquäler allen Ernstes davon reden, nett zu sein und dabei auch mal eine Träne vergießen, möchte man ihnen bunte Hornsocken stricken. So ist das blutige Treiben der Monster letztlich nur ein stiller Schrei nach Liebe. Wer hätte das gedacht?
Ach ja: Eine Fortsetzung ist, die letzten Bilder lassen diesen Schluss zu, in greifbare Nähe gerückt.
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„Der Greif“, erste Staffel, sechs Folgen, von Sebastian Marka, Erol Yesilkaya, mit Jeremias Meyer, Zoran Pingel, Lea Drinda, Sabine Timoteo, Flora Li Thiemann, Yuri Völsch, Thorsten Merten, Flora Li Thiemann, Armin Rohde (ab 26. Mai auf Amazon Prime Video )
„Der Greif – die Vorboten“, Hörspiel, sechs Folgen, mit Luna Wedler, Lena Urzendowsky, Michelangelo Fortuzzi – Spin-off zur Prime Video-Serie über das beschauliche Krefelden, das auf mystische Weise mit einer Parallelwelt verbunden ist (ab 26. Mai bei Audible)
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